Selbstbewusst und selbstbestimmt - das ist sie, Linda, die Bauleiterin und Heldin in "Die Taube auf dem Dach", einem Defa-Film von Iris Gusner aus dem Jahr 1973. In der DDR wurde er verboten und nie gezeigt, war dann lange verschollen. Das Farbnegativ blieb verschwunden. 1990 konnte der Film in einer Schwarz-Weiß-Kopie gezeigt werden, verschwand dann aber wieder, bis er 2010 in einer rekonstruierten und restaurierten Schwarz-Weiß-Kopie noch einmal uraufgeführt werden konnte.
"Ich glaube, diese sexuelle Freiheit, also diese Selbstbestimmung, dass sie sich den Jungen im Prinzip nimmt und dass sie sich nicht von Anfang an klar entscheidet zwischen den beiden Männern, das hat missfallen", sagt Iris Gusner, heute 78 Jahre alt. "Aber noch mehr missfallen hat das Bild des Arbeiters, dass der eigentlich eher eine tragische Figur war."
Das Verbot sei damals schmerzlich gewesen, "Die Taube auf dem Dach" war ihr Debütfilm. Sie habe danach zwar weiterarbeiten können, aber:
"Trotzdem hab ich, als ich ihn jetzt wieder auf der großen Leinwand gesehen habe, gemerkt, dass da viele unaufgelöste Verletzungen übrig geblieben sind. Ja, weil meine Karriere hätte von Anfang an einen anderen Schwung bekommen. Und da kommt auch noch dazu, dass man anfing, danach mehr Kompromisse zu machen. Ich fing an, traditioneller zu erzählen in den nächsten Filmen".
Nur wenige weibliche Defa-Regisseurinnen
"Die Taube auf dem Dach" ist einer von 26 Spiel- und Dokumentarfilmen in der Retrospektive von Regisseurinnen aus Ost und West und dem wiedervereinigten Deutschland. Alltag und Arbeit, Familie, Beziehungen, der Umgang mit dem Körper, das sind Themen. Entstanden sind sie unter unterschiedlichen Voraussetzungen: in der alten Bundesrepublik oft im Kontext der Frauen- oder Studentenbewegung. In der DDR in einem staatlich gelenkten Studiosystem. Iris Gusner war eine der nur wenigen weiblichen Defa-Regisseure.
"Dass ich eine der wenigen war, das lag aber nicht an der DDR", sagt sie, "das lag daran, dass die Frauen nicht den Mut dazu hatten. Also, wer sich darum bemüht hat, und die Aufnahmeprüfung bestanden hat, da hätten alle möglichen Frauen die Chancen gehabt dazu. Ich wollte das und da hab ich das gemacht."
Im Cinemaxx 8 am Potsdamer Platz steht am nächsten Tag Hermine Huntgeburth auf der Bühne:
"Hallo, ich freu mich wirklich sehr, hier zu sein mit meinen ersten Filmen, meinem ersten langen und einem meiner Kurzfilme."
Hermine Huntgeburth stammt aus Paderborn, sie ist Jahrgang 1957. Sie hat ganz andere, aber auch ähnliche Erfahrungen gemacht.
"Ich wusste, dass ich das machen wollte und dann hab ich versucht, meinen Wunsch in die Realität umzusetzen."
Seit Anfang der 90er Jahre ist sie eine der erfolgreichsten Regisseurinnen hierzulande. Die Retrospektive zeigt "Im Kreise der Lieben" - ihren ersten langen Spielfilm von 1991 über ein mörderisches Frauentrio - ihre Eintrittskarte ins Filmgeschäft damals. Es sei damals fast zu einfach gewesen, den Film zu produzieren, erzählt Huntgeburth. Danach aber wurde es schwieriger. Aber nicht etwa, weil sie eine Frau ist, betont sie:
"Ich hab das persönlich nie so empfunden, ehrlich gesagt. Das heißt aber nichts, weil ich glaube, ich bin eine Ausnahme gewesen. Ich kenne das von vielen anderen Frauen und die Dinge waren und sind auch immer noch nicht paritätisch und gleichberechtigt."
Diskussion um Quote
Deshalb engagiert sich Hermine Huntgeburth im Bündnis Pro Quote Film, das sich dafür einsetzt, dass Aufträge, Fördergelder und Rollen zu gleichen Teilen an Frauen und Männer vergeben werden sollen. Ohne Quote geht das leider nicht, findet sie. Auch wenn sich gerade vieles verändere. Iris Gusner sieht das anders:
"Ich bin nicht für Quote, ich bin für Qualität". Sie schiebt aber hinterher: "Ich bin da etwas am Zweifeln. Es hat vielleicht seine Berechtigung im Moment, weil, es gibt wirklich Männerbündnisse. Und die vielleicht zu durchbrechen, bis wirklich eine gewisse gleiche Aufteilung vorhanden ist, da ist die Quote höchstwahrscheinlich berechtigt".
Am Wochenende hat Noch-Berlinale-Chef Kosslick - in Abstimmung mit seinen Nachfolgern - eine Selbstverpflichtung unterschrieben, die sogenannte "5050x2020"-Pledge. Bis 2020 sollen die Leitungen und Auswahlgremien des Festivals paritätisch besetzt werden. Auch in diesem Jahr setzt die Berlinale schon Zeichen: sieben von 17 Wettbewerbsfilmen kommen in diesem Jahr von Frauen, das sind 41 Prozent, so viel wie noch nie. Die Retrospektive feiert Filmemacherinnen. Hört man sich auf der Berlinale um, dann werten die meisten das als Aufbruch -so wie die Schauspielerin Aylin Tezel, 36 Jahre alt:
"Ich würde mir wünschen, dass es jetzt einfach so weitergeht. Weil ich glaube, das gibt so eine ganz besondere weibliche Kraft, die die Welt vertragen kann."