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Berlinale: Castorf-Doku "Partisan"
Die volle Wucht der Volksbühne

Die Berliner Volksbühne unter Frank Castorf war ein Theater des Exzesses. Provokativ, umstritten – aber von der Kritik gefeiert. Im Panorama der Berlinale läuft nun ein Dokumentarfilm, der die großen Jahre der Ära Castorf Revue passieren lässt.

Von Christian Berndt |
    Sebastian Klink und Frank Castorf bei der Arbeit. Film-Stil aus "Partisan".
    Sebastian Klink und Frank Castorf bei der Arbeit. Film-Stil aus "Partisan". (© solo:film / Wolfgang Gaube)
    Die Szene, in der verlorene Gestalten im trostlosen Wartesaal das Danke-Lied singen, hat Theatergeschichte geschrieben. Christoph Marthaler wurde mit seiner ersten Inszenierung an der Volksbühne "Murx den Europäer" 1993 berühmt. Der melancholisch-schöne Abgesang auf die DDR und die alte Bundesrepublik festigte bereits im ersten Jahr der Intendanz von Frank Castorf den Ruhm der neuen Volksbühne. Natürlich darf auch dieses Lied nicht fehlen in Lutz Pehnerts Dokumentarfilm "Partisan", dessen Titel einem Satz Castorfs entlehnt ist:
    "Da anzugreifen, wo es keiner erwartet, das ist Partisanentaktik, und das ist natürlich auch die Aufgabe des Theaters heute."

    Wo die Skins im Parkett randalierten

    Die Volksbühne war Kult, Theater-Tempel und Provokation. Castorf hatte den Ruf des Stücke-Zerstörers, die Volksbühne sollte als ästhetisches Experimentierfeld ein Ort der Utopie sein. Sperrig, schrill, politisch und sinnlich zog sie junges Publikum an, bei "Clockwork Orange" randalierten Skins im Parkett. Sehr lustig ist es, wenn der ehemalige Volksbühnen-Star Sophie Rois damalige Kritiken zitiert:
    "Die Süddeutsche Zeitung schreibt: ‚In der Volksbühne geht mal wieder die Post ab. Es fehlt an nix: Männer spielen Frauen, Frauen Männer.‘ Hey, hey, hey, ganz schön irre, was?"
    Überhaupt Sophie Rois. In den ausgiebigen Aufführungsausschnitten bekommt man vorgeführt, was für ein einzigartiges Ensemble dort wirkte. Schon die Proben sind ein Erlebnis, und die Backstage-Szenen vermitteln, wie das Leben am Haus in die Bühne einfloss. Die Garderoben und die Kantine, wo man Schauspieler und Bühnenarbeiter beim Feierabendbier sieht, sehen aus wie Volksbühnenkulissen. Man nimmt den Schauspielern, wie Kathrin Angerer, das Brennen für diese Extrem-Theaterkunst mit ihren 6-Stunden-Aufführungen ab:
    "So Leute, die mit wahnsinniger Inbrunst um ihr Leben schreien, damit dabei irgendwas herauskommt, das sind Menschen, die mir nahe sind."

    Einer, der bewahrt, statt zu zerstören

    Man erlebt noch einmal die volle Wucht der Volksbühne, die international ausstrahlte und zugleich in ihrer Umgebung im Osten Berlins verankert blieb – bis zum Ende der Castorf-Ära 2017. Zu Wort kommen Bühnenarbeiter wie Volksbühnen-Heroen. Einige prägende Figuren, wie René Pollesch, kommen dagegen viel zu kurz. Es war ja gerade eine Stärke Castorfs, sperrige Künstler wie Pollesch und Christoph Schlingensief ans Haus zu holen und damit die Volksbühne zu einem zentralen Diskurs-Ort der Theater-Republik zu machen.
    Trotzdem ist der Film ein mitreißendes Porträt, das auch die Krisen nicht ausspart und anschaulich macht, wie sehr der texttreue Castorf an der Volksbühne nicht Zerstörer, sondern Bewahrer war. Sohie Rois:
    "Das ist ein alter Theatermann. Als ich sagte, in meiner Rolle als menschenfressende Königin in Wien, ach Frank, am Ende der Szene, kann ich da nicht noch den Satz da sagen? Und da sagt er: ‚Ja, det is richtich, da haste recht, ne Königin muss die Schlusspointe haben‘. Der weiß, dass die Königin die Schlusspointe haben muss. Ist nicht einfach, wir laufen auf die Bühne und zeigen unsere Ärsche und schreien und so weiter. Dahin kann es eventuell kommen, aber die Königin muss die Schlusspointe haben. Und wer weiß das heutzutage noch?"