"Dr. Bauer war vor seiner Einberufung ein eifriger SA-Mann. Der Besuch der Versammlungen war stets ein guter. Seine politische Einstellung ist einwandfrei und [es] wird auch weiterhin sein voller Einsatz für Staat und Bewegung erwartet". So sprechen nach Recherchen der Wochenzeitung "Die Zeit" Akten aus dem Bundesarchiv über die Vergangenheit von Alfred Bauer - von 1951 bis 1976 erster Leiter des Filmfestivals Berlinale. Das Zitat stamme aus einem Schreiben der Gauleitung Mainfranken an die Reichsfilmintendanz, die sich offenbar nach Bauer erkundigt hatte, so "Zeit"-Filmkritikerin Katja Nicodemus im Deutschlandfunk. Hingewiesen habe auf den Fall zuerst der Hobby-Filmwissenschaftler Ulrich Hähnel: "Er hat uns seine Recherche vorgestellt, die wir dann mit ihm vertieft haben. Dabei kam heraus, dass Alfred Bauer eine tiefe Verstrickung hatte in nationalsozialistische Filmbürokratie, dass er an zentraler Stelle in der Reichsfilmintendanz gearbeitet hat."
Freistellungen vom Kriegseinsatz
Den Akten zufolge kontrollierte und überwachte Alfred Bauer die personelle Seite der laufenden Spielfilmproduktion des so genannten "Dritten Reichs": den Einsatz der Schauspieler, der Regisseure, der Kameramänner zum Beispiel. Als Goebbels den "totalen Krieg" ausrief, so die "Zeit"-Recherche, sei Bauer Bearbeiter der sogenannten "Unabkömmlichkeitsstellungen der Filmschaffenden" gewesen. Er entschied mit, wer vom Kriegseinsatz freigestellt wurde und wer an die Front musste.
Nach dem Krieg habe die Entnazifizierungskommission Alfred Bauer mit einem Berufsverbot belegt, so Nicodemus. Dennoch gelang ihm der Weg zurück bis an die Spitze der "Berlinale": "Es waren wahrscheinlich mehrere Stufen", so Nicodemus. "Die erste war das Entnazifizierungsverfahren, in dem er kontinuierlich verschleiert und gelogen hat. Er hat sich sozusagen eine neue Alfred-Bauer-Erzählung zurechtgezimmert. Er hat fleißig Persilscheine gesammelt und sich zum Antifaschischsten im Herzen stilisiert." Dass das möglich war, liege wohl daran, dass die Entnazifizierungsstellen nicht selbst historische Ereignisse ermittelt hatten. Später ging auch die Berlinale in verschiedenen Publikationen nicht auf diesen Teil ihrer Geschichte ein.
Brauner Bär
Nach Alfred Bauers Tod im Jahre 1986 benannte die Berlinale den "Silbernen Bären für neue Perspektiven in der Filmkunst" nach ihm. Ausgezeichnet wurden damit in den vergangenen Jahren unter anderem Zhang Yimou, Andrzej Wajda, Alain Resnais und im vergangenen Jahr die Regisseurin Nora Fingscheidt, deren Film "Systemsprenger" über ein verhaltensauffälliges Mädchen zum Publikumserfolg wurde.
In der "Zeit" fordert Nicodemus nun als Konsequenz aus ihren Recherchen: "Der Alfred-Bauer-Preis braucht einen neuen Namen - und die nun ins siebzigste Jahr gehende Berlinale eine Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit".