Kindergesang vor der beeindruckenden Kulisse des Himalayas im nordindischen Ladakh. Padma Angdu ist ein ganz normaler kleiner Junge, er liebt Schneeballschlachten und Schlittenfahren. Padma Angdu ist aber auch von Geburt an besonders: Er gilt als wiedergeborener Rimpoche, einer der höchsten Würdenträger des tibetischen Buddhismus. Das ist eine große Bürde.
"Alle anderen Meister werden gefunden und in ihr Kloster mitgenommen", sagt der elfjährige Padma Angdu. "Es scheint, ich bin verlassen worden."
Der Dokumentarfilm "Becoming who I was" folgt Padma Angdu über acht Jahre seines Lebens. Ein wiedergeborener Rimpoche kann eine fast unerträgliche Last sein, das ist deutlich zu sehen: Denn auch wenn viele überzeugt sind, in dem fröhlichen Jungen in orangerot einen hohen Geistlichen vor sich zu haben: Niemand ist als Abgesandter eines Klosters gekommen, um ihn als Meister heimzuholen. Also wird der kleine Wiedergeborene von dem Kloster, in dem er aufs Gefundenwerden wartete, schlicht vor die Tür gesetzt. Wollte der koreanische Regisseur von "Becoming who I was" mit seinem Film die Härten zeigen, die das Konzept der Wiedergeburt bedeuten kann?
"Es geht im Film nicht um den tibetischen Buddhismus an sich", sagt Regisseur Chang-Yong Moon. "Es geht um die aufopfernde, bedingungslose Liebe zwischen diesem Kind und Mönch und seinem Lehrer. Daran können wir alle anknüpfen."
Zwischen der geistlichen Heimat von Padma Angdu in Tibet und seiner körperlichen in Nordindien liegt inzwischen eine chinesische Grenze – und die soll genau die Grenzüberschreitung und Erneuerung des tibetischen Buddhismus verhindern, die sich der junge Rinpoche so sehnlichst wünscht. Zu Fuß und im Schneesturm kämpft sich der Junge mit seinem Mentor bis an die Grenze vor – der Ruf seines Muschelhorns an seine Anhänger klingt sehr verloren vor der Kulisse der Berge.
Dann fließen bittere Tränen. Das weitere Schicksal des Wiedergeborenen? Ungewiss.
Keine Insel der Seligkeit
Auch "Honeygiver among the dogs" erforscht den Buddhismus, allerdings in der Form des Spielfilms. Oder, sehr spezifisch: in einer buddhistischen Variante des Film noir. Nur in gründ statt schwarz, denn der Film spielt im kleinen Himalaya-Königtum Bhutan. In Bhutan ist der Umweltschutz Verfassungsziel und der Wald deswegen allgegenwärtig, in Bhutan ist der Buddhismus Staatsreligion und das Fernsehen erst seit knapp 20 Jahren erlaubt. Und doch ist auch Bhutan keine aus der Zeit gefallene Insel der buddhistischen Seligkeit.
Polizist Kinley ist durch das Handy direkt mit seinen Vorgesetzten in der Hauptstadt verbunden – aber er wird auch immer tiefer in buddhistische Mythen hineingezogen. Der Film "Honeygiver among the Dogs" erzählt von Rohstoffhandel, versuchtem Mord, verschwundenen Nonnen und Korruption im Gewand einer buddhistischen Geistergeschichte. Dabei gibt sich der Polizist ausdrücklich säkular. "Ich glaube nicht an Geschichten", sagt er einmal, "die Realität ist viel interessanter". Aber mit der Macht der Götter ist auch in der säkularisierten Moderne noch zu rechnen.
Was in dem Film aus Bhutan nur angedeutet wird, stellt sich der indische Film "The Kali of Emergency" ganz konkret als Frage: Wo würde die Göttin Kali in ihren schreckerregenden Manifestationen heute eingreifen? Der Film zelebriert das in Bildern, die gleichzeitig modern und kontrovers sind und Themen behandeln von menschlicher Nacktheit und Sexualität bis hin zum Umweltschutz.
Glaube an das Gute
Der ebenfalls indische Film "Lady of the Lake" zeigt stattdessen Menschen, die sich von einer spirituellen Welt jenseits der prächtigen Welt der hinduistischen Götter Hilfe erwarten. Der Film folgt einem Fischerpaar auf dem Loktak-See im Bundesstaat Manipur, ganz im Nordosten von Indien. Die Fischer leben unter einfachsten Bedingungen auf schwimmenden Inseln aus dichtgewachsenen Wasserpflanzen, ein schwebender Zustand, der nicht mehr ins Konzept eines modernen Verwaltungsstaates passt. Die Fischer sollen die Hütten deshalb räumen.
"Alles bei uns dreht sich um Waffen und Gewalt", sagt Regisseur Paban Haobam. "Ich wollte mit meinem Film nach einer Lösung für die Zukunft suchen." Diese Lösung findet der Regisseur in einem lokalen Mythos:
"Es ist der Glaube daran, dass es eine Beschützerin gibt. Dass es eine Göttin im See gibt, die die Fischer schützt. So ein spiritueller Glaube ist nicht wirklich logisch, das haben mir viele gesagt. Aber es ist ein Glaube an das Gute, der Veränderungen bewirken kann. Das glaube ich."
Was hat Buddha gesagt?
Diese Sehnsucht nach spiritueller Hilfe stellt in den Berlinale-Filmen ganz neu die Frage nach Gott – auch vor hinduistischem oder buddhistischem Hintergrund. So auch im chinesischen Film "Ghost of the Mountain". Der Film folgt in langen, wunderschönen Einstellungen einem Mann, der nach langer Zeit in seiner Heimatdorf irgendwo in einer abgelegenen Bergregion zurückkehrt. Er sucht alte Freunde und wichtige Orte auf – und begegnet irgendwann den Mönchen des Klosters, das vorher nur still am Bildrand zu sehen war. Einer der Mönche schweige, seit er in einer Vision Buddha gesehen habe, heißt es. Regisseur Yang Heng war es wichtig, in seinem Film die Frage zu stellen: Was hat Buddha denn gesagt?
"Ich wollte die Mönche zeigen, weil man einmal damit etwas über den Hintergrund der Hauptfigur erfährt: sein Lehrer ist Mönch geworden. Und zweitens wollte ich die Gelegenheit haben, religiösen Glauben zeigen zu können in dem Film."
Was Buddha allerdings gesagt hat, erfahren die Zuschauer nicht. Und Trost gibt es auch keinen, höchstens ein wenig mehr Klarheit vor dem unvermeidlichen Tod. Der Berlinale nimmt den Buddhismus ernst. Die Zeit der Wellnessreligion ist auch im Film vorbei.