Archiv

Berliner Abend mit Alexander Kluge
Zwischen den Nullen und Einsen

Im Haus der Kulturen der Welt in Berlin geht es derzeit um digitale Technologien und das binäre Alphabet. "Auch Google kocht nur mit Wasser", ist eine der Erkenntnisse vom Eröffnungsabend mit Filmemacher und Autor Alexander Kluge. Mit dabei: Helge Schneider.

Von Cornelius Wüllenkemper |
    Alexander Kluge und Helge Schneider sitzen sich gegenüber, im Hintergrund läuft eine Videoprojektion, auf der ebenfalls Helge Schneider zu sehen ist
    Alexander Kluge und Helge Schneider im Haus der Kulturen der Welt (Stephanie Pilick)
    Wir buchen Hotels bei Unternehmen, die keine Hotels betreiben, bestellen Taxen bei Firmen, die kein einziges Taxi besitzen und beziehen Bücher dort, wo nie jemand ein Buch geschrieben hat. Unser Leben wird in Einsen und Nullen eingeteilt, um daraus ein Geschäftsmodell zu machen, davon ist der Filmemacher und Autor Alexander Kluge überzeugt. Er hat den Eröffnungsabend des Festivals "Das Neue Alphabet" kuratiert.
    "Die Leute in Silicon-Valley, die halten uns für Eingeborene. Wir sind nicht auf Augenhöhe. Die sehen uns vielleicht gar nicht. Und es ist wichtig, dass wir mit denen zusammenarbeiten einerseits, aber auch einen Gegenalgorithmus aufbauen. Und dazu brauchen wir das neue Alphabet. Und wenn Sie diese Abkürzung richtig lesen: "DNA". Das tragen wir täglich in unseren Körpern. Das ist ein paar Millionen Jahre alt. Und das ist sehr klug."
    Begehbares babylonisches Theater
    Eine Gesellschaft lebt auch von Magie und Sinnlichkeit, Elemente, die nicht im binären Zeichencode abzubilden sind. Das eigentliche menschliche Leben finde gerade zwischen den Nullen und Einsen der digitalen Welt statt, so Intendant Bernd Scherer. Eine schwindelerregende Anzahl an Themen, zeitgleichen Diskussionspanels und Fachperspektiven machten den Eröffnungsabend des Festivals über "Das neue Alphabet" zu einem begehbaren babylonischen Theater. Dabei wurde schnell klar, dass digitale Technologien, das binäre Alphabet, menschliche Lebenswelten nicht ansatzweise erschöpfend darstellen oder gar imitieren können.
    "Das ist die Herausforderung bei künstlicher Intelligenz. Weil das größte Missverständnis ist, dass man glaubt, sie verstanden zu haben."
    So etwa Jürgen Groß aus der Forschungsabteilung des Technologiekonzerns Bosch. Das neue Alphabet, das wäre für die Technikbranche vor allem eine gemeinsame Sprache verschiedener Anwendungen und Systeme, um sie technisch kompatibel zu machen. Damit ist es aber noch nicht weit her.
    Erlernte Zivilisationstechniken
    "Wir versuchen zu verstehen, was wir tun. Auch Google kocht nur mit Wasser."
    Gab etwa der Technikphilosoph beim Internetriesen Google, Max Senges, zu Protokoll. Körperintelligenz, Intuition, Kreativität oder Empathie sind Zivilisationstechniken, die sich der Mensch über Jahrtausende angeeignet hat. Eine Nachbildung in Form von Einsen und Nullen bleibt bis heute eine Chimäre. Wie unzureichend reine Datensammlungen und alphabetische Zeichen per se zur Erforschung und Darstellung des menschlichen Lebens und seiner Geschichte sind, betonte der Prähistoriker Hermann Parzinger.
    "Und trotzdem wissen wir natürlich, jeder der Geschichte studiert hat, dass schriftliche Quellen zu interpretieren sind. Sie haben immer eine Intention. Sie haben ein Ziel. Sie wollen etwas erreichen. Sie wollen Geschichte beschönigen, Heldentaten strahlend erscheinen lassen, und, und, und. Bei der archäologischen Überlieferung, bei vorschriftlichen Kulturen, ist es anders. Dort haben sie die schriftliche Überlieferung nicht. Sie haben das, was der Mensch hinterlassen hat, was in Schichten und in Ablagerungen geordnet wird. Und dort gab es keine Manipulation."
    "Logik der Zusammensetzung"
    Die unterschiedlichen Alphabete und Technologien von der Frühgeschichte bis zur Digitalisierung spiegeln zugleich die Entwicklung der menschlichen Intelligenz und ihrer kognitiven Fähigkeiten. Die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston erklärte, wie die digitalen Möglichkeiten der Vervielfältigung, Verschiebung und Neu-Kombination von einzelnen Wissenselementen heute zur wichtigsten Arbeitstechnik der Studierenden werde.
    "Wir sind in einer Umbruchszeit, wo insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften das Wort Kontext, insbesondere Verstehen durch Kontext, am Verschwinden ist."
    Auch das Irrationale, das sich den Maschinen gänzlich entzieht, wurde im Haus der Kulturen der Welt zelebriert. Auf der Hauptbühne besuchte Kurator Alexander Kluge den Musiker und Kabarettisten Helge Schneider als "Maschinenflüsterer" in seiner Werkstatt. Spätestens dort wurde klar, dass bereits ein wenig Humor ausreicht, um sich als Mensch gegenüber der Logik der Maschinen zu behaupten.