Mit erstaunlich kühlem Kopf begründet der Autor Björn SC Deigner noch vor der Premiere, warum Sebastian Hartmanns Inszenierung seines Stücks nicht als Uraufführung gelten kann. Der Regisseur habe 50 Prozent des Textes gestrichen – und die anderen 50 Prozent neu geschrieben:
"Das zeitgenössische Theater arbeitet so, dem muss man sich stellen als Theaterautor. Aber als Uraufführung war das für uns nicht möglich zu benennen. Es gibt einfach in der Theaterlandschaft, die wir gerade erleben, eine sehr starke Regieinstanz. Für mich als Autor ist es gerade im Rahmen dieses Festivals wichtig festzuhalten: Das ist eine Beschäftigung, die diese Produktion geführt hat, an die sie gekommen ist durch den Text, aber nicht mit dem Text. Das ist nicht gleichzusetzen mit einer Inszenierung, die versucht, im Sinne des Textes zu agieren."
Nicht nur Deigner, auch die Jury distanziert sich von Hartmanns Inszenierung – zu recht. Dessen Bearbeitung dementiert den Text, verkehrt ihn ins Gegenteil und verstümmelt ihn auf einzelne ins Mikrofon gestöhnte Schlagworte:
"Kindheit. Nicht gehabt. Kinderarzt. Kind. Hochhaus. Schüttelt sich. Nur kurz. Stunden. Schlaf. Ich. Immer. Hart."
"In Stanniolpapier" ist die unsentimentale Geschichte einer Berliner Prostituierten, die der Autor anhand von dokumentarischem Material aus der Perspektive dieser Maria erzählt. Ungewöhnlich, wie Maria ihr Leben, geprägt von Missbrauch, Gewalt, Straßenstrich, sich selbst gegenüber als gelungen behauptet. Wie sie sich weigert, sich als Opfer zu definieren.
Moderne Sex-Hölle
Vollkommen unverständlich, dass das Deutsche Theater ausgerechnet Hartmann mit der Präsentation betraut hat – einen Regisseur, der Stoffe immer höchst eigenmächtig weiterfantasiert. Bei Ibsen führte das zu guten Ergebnissen, neue Stücke aber muss man behutsam anfassen. Hartmann reduziert Maria zum Sexobjekt, zum bloßen Stück Fleisch, steckt sie auf der Bühne in eine Folterkammer, eine moderne Sex-Hölle. Nach draußen dringen fast nur Video-Bilder: Ein endloser, penetranter, brutaler Porno, unterlegt mit Techno-Beats.
Für ein Uraufführungsfestival ist das ein Desaster und zeigt einmal mehr, wie wenig der Theaterautor heute wirklich gilt, wie allmächtig der Regisseur agieren kann, wie bedeutungslos Dramaturgen geworden sind. Die Dramaturgie hätte eine solche Inszenierung verhindern müssen.
Das wirft ein ungutes Licht auf die Autorentheatertage – zumal das Festival ja schon früher schlechte Erfahrungen mit Regisseuren gemacht hat, die ihre Handschriften neuen Texten willkürlich überstülpen. Umso paradoxer, als dieses Festival doch ausdrücklich Autoren stärken und ihnen Nachhaltigkeit sichern will: Ihre Stücke werden in Kooperation mit Wien und Zürich in Uraufführungen präsentiert, die dann in den regulären Spielplan wandern.
Harmlose Satire
Das Wiener Burgtheater zeigte Miroslava Svolikovas Stück "Europa flieht nach Europa". Einen traurigen Abgesang auf das zerstrittene, sich selbst zerstörende Europa, mit Mythen und lyrischem Pathos aufgeladen. Eine politische Lektion in Moral, Gerechtigkeit und Friedfertigkeit. Auch Satire will es sein – bleibt darin aber harmlos. Franz-Xaver Mayr macht daraus viel Jux und Dollerei – gelegentlich auch verspielte Wortakrobatik:
Die Zeit hat uns und jetzt zappeln wir
Wir zucken und zappeln und zetern
Wir suchen und sabbern uns Seepferd
Wir sehnen und singen
Wir jauchzen und glucksen und springen
Fehlender Autorennachwuchs
Der dritte Text, Simone Kuchers "Eine Version der Geschichte" wurde 2016 schon beim Stückemarkt des Theatertreffens szenisch gelesen. Bereits damals zeigte sich, dass das papierene Stück über eine junge Amerikanerin auf der Suche nach ihren armenischen Wurzeln eher als Hörspiel denn für die Bühne geeignet ist. Naheliegend, dass Marco Milling vom Zürcher Schauspielhaus es nun in ein Tonstudio verlegt, wo die Spieler nicht viel mehr zu tun haben, als den Text zu sprechen.
Starke Dramen sind auch bei diesem Festival rar – dass es an Nachwuchs fehlt, verwundert allerdings nicht angesichts eines Regiekults, der jede autonome Autorenstimme platt walzt.