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Berliner Bahnhofsmission
Nur noch kalte Küche

Warmes Essen nur noch vor der Tür und ehrenamtliche Helfer, die mit Spenden abgewiesen werden: Ausgerechnet im strengen Winter schränkt die Berliner Bahnhofsmission ihr Angebot ein. Ein Besuch in der Einrichtung, die nicht nur klimatisch von eisiger Kälte umgeben ist.

Von Anja Nehls |
    Bedürftige warten vor der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo in Berlin auf die Ausgabe von Essen und warmen Getränken (Archivbild)
    Bedürftige vor der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo in Berlin: Zurzeit gibt es warmes Essen nur vor dem Gebäude. (dpa/ Florian Schuh)
    Auf einem langen Tapeziertisch auf dem Gehweg vor der Bahnhofsmission am Zoo stapeln sich große Warmhalteboxen - davor stehen mindestens drei Dutzend Obdachlose und warten auf ihre warme Suppe: "Ist richtig gut, durch die Kälte die herrscht und dann das warme Essen im Körper, das wärmt auch nochmal."
    Ehrenamtliche aus Brandenburg und Berlin bringen warmes Essen für die Obdachlosen vom Zoo und servieren vor der Bahnhofsmission. Denn in der Bahnhofsmission, die nach eigenen Angaben jeden Tag bis zu 700 Gäste versorgt, gibt es so etwas seit mehreren Wochen nicht mehr. Und das ausgerechnet im Winter, beklagt einer der Obdachlosen:
    "In der letzten Zeit gar nichts mehr warm, dann wird das ganz wohlfeil angeboten von den Damen, Sie können entweder haben, kaltes Gulasch oder kalte Rouladen oder kalte Nudeln und dazu ne kalte Quiche und wenn man das hinterfragt, ja wir dürfen nicht, wir dürfen nicht, wir dürfen nicht."
    Große Angst vor Rausschmissen
    In der Tat, den Helfern in der Bahnhofsmission sei nicht nur das Kochen, sondern sogar das Aufwärmen von Speisen verboten worden, bestätigt diese Helferin, die nicht erkannt werden möchte, weil sie sonst ihren sofortigen Rausschmiss befürchtet:
    "Da gab es auch einen Vorfall, dass ein junger Mann, der irgendwelche Nudeln warmmachen wollte. Und da wurde direkt gesagt, wenn er das jetzt macht, dann fliegt er raus. Es wurde so stringent gehandhabt, dass es welche gab, die haben sich nicht mal getraut Würstchen warmzumachen, weil jeder Angst hatte, er fliegt raus, wenn er das macht. Und die Hauptamtlichen haben uns gesagt, dass nichts entgegengenommen werden darf, also wurden die Spender, die draußen mit heißen Kochtöpfen standen weggeschickt."
    Tatsächlich werden jetzt Menschen mit Essensspenden weggeschickt, bestätigt der Leiter der Bahnhofsmission, Dieter Puhl. Jahrelang habe er das anders gehandhabt mit dem Risiko, auch mal verdorbene Speisen zu bekommen: "Ganz ehrlich, das darf in Deutschland keiner annehmen, weil ich überhaupt nicht garantieren kann, ist das Hühnchen, das Sie uns bringen, ich kann darauf vertrauen, dass sie damit sorgsam umgegangen sind, aber ich habe überhaupt keine Möglichkeit das nachzuprüfen."
    Vorräte und Aufwärmgerät weggegeben
    Den Magen verdorben habe sich allerdings noch nie jemand. Über Jahre seien in der Bahnhofsmission wenigstens Essenspenden, zum Beispiel von Hotels, aufgewärmt oder eigene Konserven erhitzt worden, sagen die Helfer. Jetzt habe man alle gespendeten Vorräte und ein großes Gerät zum Aufwärmen weggeben, in der Küche gebe es kaum noch Töpfe, und der Herd sei marode, obwohl bereits expliziert dafür gespendet worden sei. An freiwilligen ehrenamtlichen Helfern mangele es auch nicht. Aber genau für die sei das Austeilen heißer Suppe wichtiger als für die Obdachlosen selber, behauptet Dieter Puhl. "Diese heiße Suppe, ich will das nicht abstreiten, ist gut für die obdachlosen Menschen, wärmt aber auch die Seele, derjenigen, die sie geben."
    Kaltverpflegung plus heißer Tee und Kaffee sei ebenso gut und außerdem sicherer als warmes Essen, so Puhl. Darüber hinaus bekäme die Bahnhofsmission keine Mittel für Lebensmittel vom Berliner Senat, lediglich die Personalkosten für die hauptamtlichen Mitarbeiter. Knapp 250.000 Euro gab es bisher für die Bahnhofsmission, jetzt ist der Etat auf 450.000 Euro im Jahr aufgestockt worden. Die Räume sind mietfrei.
    Zahl der Obdachlosen in Berlin steigt stetig
    Die Zahl der Obdachlosen in Berlin steigt allerdings seit Jahren. Zwischen 2.000 und 10.000 leben dauerhaft auf der Straße, schätzen Hilfsorganisationen. Die Zahl der Notübernachtungsplätze in der Stadt ist gerade erst auf 1.200 erhöht worden. Auch die Bahnhofsmission am Zoo hat in diesen bitterkalten Nächten nachts einen Raum zum Aufwärmen geöffnet. Hier ist und bleibt der wichtigste Anlaufpunkt für Obdachlose aus der ganzen Stadt. Noch mehr sollen es allerdings nicht werden. 500 Quadratmeter Fläche hat die Deutsche Bahn am Zoo jetzt zusätzlich zur Verfügung gestellt. Entstehen soll dort ein Begegnungszentrum, Konferenzmöglichkeiten und Ruheräume, kritisiert diese Helferin der Bahnhofsmission. Für die Obdachlosen sei aber Wärme und Essen wichtiger:
    "Der Essensraum ist so klein, dass die Obdachlosen im Drei-Schicht-System Essen müssen, aber die sind es ja die, die die Hilfe brauchen und alles was die da jetzt bauen, hat ja gar nicht mit denen zu tun."
    Das bestreitet Ortrud Wohlwend von der Berliner Stadtmission, die die Bahnhofsmission betreibt. In Zukunft solle mehr Wert auf Beratung gelegt werden, um Obdachlosigkeit zu beenden oder zu verhindern:
    "Dieses neue Zentrum am Zoo, in Kombination mit der Bahnhofsmission, in Kombination mit dem Hygienecenter soll ja Auswege schaffen, wir wollen ja die Wohnungslosigkeit der Menschen nicht zementieren."
    Reaktion auf die Kritik an der kalten Küche
    Und man wolle sich in der Beratung auch verstärkt um obdachlose Demenzerkrankte, Frauen und Behinderte kümmern.
    Die viele Kritik an der kalten Küche hat aber nun dazu geführt, dass die Bahnhofsmission in Zukunft vielleicht doch wieder regelmäßig warmes Essen anbieten will. Dieter Puhl sucht jetzt einen professionellen Anbieter, Caterer oder Hotel, der täglich 200 Portionen warmes Essen liefert, die dann in der Bahnhofsmission auch warmgehalten werden dürften, bis sie verteilt worden sind.