"Ich komme aus Berlin."
"Ich komme aus Syrien."
"Aus Syrien kommst Du?"
"Syria, Syria."
Franziska Giffey zu Besuch in einer Notunterkunft für Flüchtlinge. Seit letzten Dezember wohnen 600 Asylbewerber in einem hastig umgebauten ehemaligen Kaufhaus, beim Rathaus Neukölln um die Ecke. Kein Tageslicht, kaum Privatsphäre.
"Ich deutsch. Schon ein bisschen! Gehst Du in die Schule? Ja!"
Der Leiter der Notunterkunft, Raphael Duetemeyer, bittet Neuköllns Bürgermeisterin auf eine der Bierbänke, die im Erdgeschoss im Essensbereich aufgestellt sind.
"Wollen wir uns mal kurz hinsetzen, dann erzähle ich mal, wie´s gerade so läuft."
Die blonde, zierliche Franziska Giffey mit der hellen Stimme ist optisch der Gegenentwurf zu ihrem Vorgänger Heinz Buschkowsky. Doch die 38-Jährige tritt nicht minder entschieden auf. Den Bewohnerinnen und Bewohnern der Flüchtlingsunterkunft blickt sie gerade in die Augen, fordert einen Händedruck ein – auch und gerade von muslimischen Männern. Die Kinder liegen ihr allerdings am meisten am Herzen.
"Sind jetzt alle Schulpflichtigen in der Schule bei uns oder haben Sie noch welche offen?"
"Wir haben den Anspruch, dass möglichst kein Kind lange Wartezeiten hat"
Neun von zehn Kindern sind eingeschult, lautet die Antwort von Heimleiter Duetemeyer. Giffey nickt, freut sich.
"Das heißt, es funktioniert, was wir uns vorgenommen haben. Wir wollen ja schnell reagieren. Wir haben den Anspruch, dass möglichst kein Kind lange Wartezeiten hat, wenn es hier ankommt, um in die Schule zu kommen."
Raphael Duetemeyer zeigt die Küche, die gerade eingebaut wird, den Kummerkasten – ganz wichtig – und die Schlafetagen. Wir haben unser Ziel erreicht, wenn sich hier tagsüber niemand aufhält, sagt der Leiter der Notunterkunft. Die Flüchtlinge sollen raus ins Neuköllner Leben, Deutsch lernen. Giffey nickt erneut. Das neue Integrationsgesetz findet die SPD-Politikerin für ihre tägliche Arbeit nur bedingt hilfreich.
"Was wir hier kritisch sehen oder nicht als etwas, was wir vor Ort hier dringend brauchen, ist die ganze Frage der Sanktionierung, wenn jemand nicht am Deutschkurs teilnimmt. Wir erleben das so hier nicht. Wir haben eine riesige Nachfrage nach Deutschkursen bei uns, wir haben allein im letzten Jahr in der Volkshochschule Neukölln über 600 Kurse für Deutsch als Zweitsprache angeboten."
Heimleiter Duetemeyer sieht das etwas anders. Er begegnet jeden Tag fleißig Deutsch lernenden Heimbewohnern, aber auch denjenigen, die sich in die Hängematte legen.
"Dann gibt´s die, die gar nicht integrationswillig sind. Das heißt, die haben gar nicht das Ziel, die Sprache zu erlernen. Sondern? Die wollen ehrlich gesagt erst mal abhängen. Das klingt traurig. Ist aber so. Die wollen abhängen, die haben kein Ziel. Ja, es gibt solche und solche."
Könnte der Leiter des Flüchtlingsheims das Integrationsgesetz schreiben, er würde Deutschkurse vom ersten Tag an zur Pflichtveranstaltung machen. Pflicht ja, sagt Neuköllns Bürgermeisterin, aber keine Sanktionen verhängen.
"Pflicht ist was anderes als Sanktion. Wenn ich ein verpflichtendes, verbindliches Angebot mache, das ist etwas, wofür wir in ganz vielen Punkten streiten in Neukölln. Wir sind auch dafür, dass es ein verbindliches Kita-Angebot gibt, eine Kita-Pflicht. Wir sind dafür, dass der Schwimmunterricht Teil der Schulpflicht ist und für alle verbindlich. Das ist aber etwas anderes, als wenn ich sage, wenn ihr das nicht macht, gibt es die und die Sanktion."
Franziska Giffey bewegt sich jeden Tag zwischen Fördern und Fordern, zwischen Willkommenskultur und Kampf gegen Islamisten und kriminelle Clans. Wie vermitteln wir Einwanderern unsere Normen und Werte? Neuköllns Bürgermeisterin hat gemeinsam mit anderen schon vor zehn Jahren das Projekt Stadtteilmütter ins Leben gerufen –Familienhelferinnen, die selber ausländische Wurzeln haben.
"Damit haben sie einen ganz anderen Zugang zu diesen Familien, ein ganz anderes Verständnis. Und sie gehen da eben geschult rein, sie bekommen ein Zertifikat, sie haben einen klaren Auftrag. Und sie sind mit uns im ständigen Gespräch. Das heißt, wir bekommen von den Stadtteilmüttern als Bezirk sehr viele Rückmeldungen, was eigentlich los ist in diesen Familien."
Noor Zayed zu Besuch bei Nariman Abolkir. Die gebürtige Jordanierin lebt seit acht Jahren in Neukölln, die Syrerin erst seit acht Monaten. Zayed stellt ihre Umhängetasche mit der Aufschrift "Stadtteilmutter" auf den Tisch, legt sich einen dunkelroten Schal um, steckt ein Namensschild an, streckt den Rücken durch. Jetzt ist sie im Amt.
"Tasche und Schal, so erkennt man die Stadtteilmutter. Roter Schal und das Schild."
Für Nariman Abolkir, die vierfache Mutter aus dem syrischen Homs, ist Noor Zayed ein Geschenk des Himmels – die gemeinsame Muttersprache und die gemeinsame Kultur stellen von Anfang an eine Vertrautheit her. Die Stadtteilmutter hat die Familie begleitet, zum Kinderarzt, in die Schule, bei der Wohnungssuche.
"Es war wie eine neue Tür, die sich für mich geöffnet hat, erzählt die 37-Jährige. Wenn Noor nicht dabei gewesen wäre, wenn sie mich nicht begleitet hätte, wir wären nicht so weit wie jetzt. Ich habe jetzt Hoffnung, weil meine Kinder in der Schule gut klarkommen, mein Sohn will studieren, Informatik."
Noor Zayed redet auf Nariman Abolkir ein. Wir suchen jetzt einen Kindergartenplatz für Ranim, sagt sie und dann fängst du an mit dem Deutschkurs.
"Deutsch ist sehr wichtig. Ohne Sprache kommt keiner klar in Deutschland. Das ist sehr wichtig."
Nariman Abolkir lächelt schüchtern, streicht über ihr strahlendblaues Kopftuch. Sie sei doch zu Hause, kümmere sich um die Kinder und den Haushalt, ihr Mann sei wichtiger, der müsse zuerst Deutsch lernen.
"Aber ich habe ihr gesagt: hier ist nicht. Hier ist Mann und Frau ungefähr gleich. Hier sind Frauen manchmal wichtiger als Männer."
Das ist Wertevermittlung im Berliner Bezirk Neukölln – ganz ohne Integrationsgesetz.