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Berliner Cohousing-Projekt
Das Miteinander stärken - nicht nebeneinander her leben

Knapp die Hälfte der Berliner sind Single. Aber nicht alle Alleinstehenden möchten alleine wohnen, genauso wie nicht alle kinderlosen Paare ohne Kinder leben möchten. In einem Cohousing-Projekt finden diese und andere Lebensmodelle ihren Platz, wie in einer Cohousing-Gemeinschaft in Berlin-Kreuzberg, die Teil einer Genossenschaft ist.

Von Azade Pesmen |
    Farbfoto von einem großen Raum mit holzgerahmten Fenstern, in dem eine Gruppe Leute um einen Tisch herum sitzen, ein Cohousing-Projekt in Berlin-Kreuzberg
    Angesichts steigender Mieten, Gentrifizierung und der Immobilienkrise wird ein Cohousing-Projekt wie hier in Berlin-Kreuzberg attraktiv (Azade Pesmen )
    Die großräumige Küche sieht aus wie neu: Bordeauxrote Wände, weiße Schränke, eine riesige Arbeitsplatte aus hellem Holz und große Fenster, die den Blick auf die Spree öffnen. Die Wohnküche bietet viel Platz und wirkt eher loftartig, Hausbesetzer-Charme sucht man hier vergeblich, auch wenn das Wohnprojekt zumindest von der Größe her in diese Richtig geht. 21 Bewohner kommen hier regelmäßig zum Kochen zusammen und pflegen einen Ansatz der unterschiedlichen Geschwindigkeiten: Alles kann, nichts muss. Während die einen noch fleißig Zucchini schneiden, sitzen andere bereits am Tisch und essen. Die Meinungen über das Gericht sind gespalten.
    "Leicht verschimmelt. - Lecker!"
    Farbfoto einer Gruppe von Leuten verschiedenen Alters, die um einen Tisch herum in der Küche eines Wohnprojekts sitzen
    In der Küche des Cohousing-Projekts in Berlin-Kreuzberg (Azade Pesmen )
    Am Tisch sitzt auch Michael LaFond, Architekt und Bewohner der Spree-WG, ein Cohousing-Projekt. Cohousing, erklärt er, steht dafür das Miteinander zu stärken und sich gegenseitig unterstützen, statt nebeneinander her zu leben.
    "Wir haben relativ viel Gemeinschaft, oder haben diese Möglichkeit Gemeinschaft zu leben, das heißt zum Beispiel wie hier heute Abend kochen und essen zusammen oder Partys zu organisieren, verschiedenes und vielleicht ganz wichtig, im Durchschnitt haben wir kleinere Privaträume und dafür die Gemeinschaftsräume, also hier Gemeinschaftsküche und oben Wohnzimmer, für die WG."
    Genossenschaft soll stabilisierend auf Wohnungsmarkt wirken
    Die Privatwohnungen sind im oberen Geschoss über der Wohnküche und bestehen jeweils aus einem Schlafzimmer, einem kleinen Wohnzimmer und einem Bad. Die Wohnküche im dritten Stock teilen sich die Bewohner. Die Bewohner kommen oft zusammen.
    Junge und alte Menschen, mit und ohne Kinder, Singles und Paare. Dass sich Familienkonstellationen ändern im Laufe eines Lebens ist Teil der Konzeption des Hauses.
    "Die Kinder, Teenager, gehen irgendwohin, die werden ausziehen, dann haben wir freie Zimmer. Die große Hoffnung mit der WG oder mit der Genossenschaft hier insgesamt ist, das wir mit der Zeit und mit den Änderungen hier bleiben, das heißt wir könnten uns verkleinern und vergrößern, langfristig gesehen, also nicht von heute auf morgen."
    Ein Paar ändert sich und jemand bleibt allein. Das ist auch die Idee der Genossenschaft, die Architektur ist relativ flexibel, Innenwände sind relativ leicht.
    Wenn sich ein Paar trennt oder Nachwuchs erwartet, lässt sich nicht nur der Grundriss der Wohnung ohne großen Aufwand ändern. Weil die Spree-WG genossenschaftlich organisiert ist, ist es auch einfacher, innerhalb der Gemeinschaft die Wohnung zu wechseln.
    Michael LaFond ist ein Befürworter dieses Modells, weil es das Gegenteil von einem profitorientierten Wohnungsbauunternehmen ist. Der Architekt erkennt einen ganz wesentlichen Unterschied zum herkömmlichen Immobilienmarkt:
    "Es gibt Blasen, es stürzt ab, Leute können kaufen und im Prinzip an Wert verlieren, mit der Genossenschaft ist es eben stabiler gedacht, also wohnpolitisch gesehen, heißt es, wir wollen Wohnungsmarkt stabilisierend wirken."
    Genossenschaftsmodell wird wieder attraktiv
    Der Hauptauftrag einer Wohnungsbaugenossenschaft ist es also, Wohnraum zu fairen Preisen zu schaffen. Steigende Mietpreise, Gentrifizierung und die Immobilienkrise haben dazu geführt, dass das Genossenschaftsmodell wieder attraktiv wird. Menschen, wie in dem Cohousing-Projekt, schließen sich zusammen und gründen eine Genossenschaft, um gemeinsam Wohnraum zu verwalten.
    Alexander Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW erklärt die wieder auflebende Beliebtheit:
    "Ich glaube, dass Genossenschaftswesen hat spätestens seit der Weltwirtschaftskrise seit 2007 und in den Jahren danach eine Renaissance gehabt, von der man gar nicht erwartet hätte, dass es sie so geben könnte, wieder. Die Insolvenzfestigkeit ist stärker als bei jeder anderen Rechtsform und insofern ist der Gedanke, nachdem unglaublich viel wirtschaftlich kaputt gegangen ist, bei vielen, dass das die richtige Form sein könnte, in der man sich erprobt."
    Dank der genossenschaftlichen Organisationsform können sich auch Menschen beteiligen, die über weniger finanzielle Ressourcen verfügen. Häufig ist die soziale Durchmischung in Genossenschaften größer. Darauf, so Alexander Gedaschko, wird bei der Auswahl der Mieter geachtet. Klingt nach einer guten Antwort auf die steigenden Mieten in Großstädten. Um da aber wirklich etwas zu bewegen, sei das Angebot an Genossenschaftswohnungen immer noch viel zu gering.