Jorinde und Claudio sind mit ihrer kleinen Tochter Lara noch einmal an den Ort gekommen, der ihnen vor sechs Wochen einen massiven Schrecken eingejagt hat. Der Spielplatz am Wassertorplatz in Kreuzberg. Mitte August war die Fünfjährige mit ihrer Oma hier, es war heiß. Aus der Spielplatzpumpe lief das Wasser in den warmen Sand. Lara lief barfuß durch den Matsch.
"Dann kam eine Wespe und sie wollte ihre Schuhe wieder anziehen. Dann kam sie zu meiner Mutter gelaufen und hat gesagt, sie hat sich gerade gestochen. Es gab so eine Verletzung am Fuß."
Angst vor HIV und Hepatitis
Doch es war nicht die Wespe: Lara war in eine Heroinspritze getreten. Jorinde ist sofort mit ihrer Tochter ins Krankenhaus - in Panik. Schließlich könnte sie sich an der Spritze mit HIV oder Hepatitis infiziert haben, sagt Claudio. Eine Entwarnung gab es dort nicht.
"Wir waren erstmal ziemlich in Panik, weil man sich fragt, was das Kind für schlimme Krankheiten gekriegt haben könnte. Bei HIV und Hepatitis C ist es so, dass man es nicht sofort testen kann. Man kann erst nach sechs Wochen testen, ob man sich infiziert hat. Aber anscheinend ist es so, dass die Wahrscheinlichkeit, sich mit einer alten Spritze zu infizieren eher gering ist. Das ist eine Beruhigung, aber ich finde es trotzdem schrecklich."
Lara heißt eigentlich anders. Ihre Eltern wollen nicht, dass sie erkannt wird, auch ihren Nachnahmen wollen sei deshalb nicht im Radio hören. Aber sie wollen darüber sprechen, was passiert ist. Denn den beiden war nicht klar, dass so etwas an einem geschützten Ort - einem umzäunten Spielplatz passieren könnte.
"Wenn die Kinder noch nicht mal auf dem Spielplatz sicher sind, dann fragt man sich, ob man hier als Familie überhaupt noch willkommen ist."
Alles andere als ein extremer Einzelfall
Laras Unglück ist in Berlin alles andere als ein extremer Einzelfall. Allein die Kindernotfallmedizin der Charité zählt zwei Fälle im Monat. Wie viele es in ganz Berlin sind, ist hingegen unbekannt.
"Es werden offenbar nur die Fälle dokumentiert, wo die Eltern das zur Anzeige bringen. Das finden wir schon auch schockierend, weil wenn man ein Problem angehen will, das erste wäre ja, ich muss mir ein Bild davon machen wie groß das Problem ist – bevor ich geeignet Maßnahmen ergreifen kann."
Direkt neben dem Spielplatztor führt ein ausgetretener Pfad in die Büsche. Lange muss Claudio nicht suchen, um hier Spritzen zu finden.
"Hier ist halt ziemlich viel – da ist so ne Kanüle. Ja das ist eindeutig. Aber mal ganz im Ernst: Als Vater gehe ich doch nicht hinter den Busch, wenn das ein öffentlich eingezäunter Spielplatz ist und mach mir erstmal ein Bild der Umgebungslage."
"Gefährdungsituation ernst nehmen"
Der Spielplatz am Wassertorplatz ist nur ein paar hundert Meter vom Cottbusser Tor entfernt – ein Hotspot der Berliner Drogenszene. Weil schwer Abhängige von dort oft vertrieben werden, suchen sie sich andere Plätze für den Konsum, sagt die Astrid Leicht. Sie leitet die Drogenhilfe Fixpunkt.
"Dass Spritzen rumliegen ist Fakt, seit Jahrzehnten. Man muss die Konkrete Gefährdungsituation ernst nehmen. Und das ist zu lange überhaupt nicht passiert."
Hier in ihrer Einrichtung können sich Suchtkranke in einem geschützten Raum ihre Spritze setzen. Allerdings gibt es berlinweit nur drei solcher Drogenräume.
Leicht kann nicht sicher sagen, ob heute mehr Menschen in Berlin Heroin oder andere Drogen spritzen als vor ein paar Jahren. Die offiziellen Zahlen haben sich nicht verändert. Was sie aber feststellt. Das Problem ist sichtbarer geworden: Weil Berlin stetig wächst und mit den Brachflächen auch die Rückzugsorte schwinden, tauchen die Süchtigen im Öffentlichen Raum auf.
"Nischen verschwinden – und das heißt, Leute die ungestört Drogen konsumieren wollen, finden oft keine anderen Plätze als Spielhäuschen auf dem Spielplatz."
Mehr Behälter für Spritzen aufstellen
7.000 Spritzen sammeln die Mitarbeiter und Ehrenamtlichen des Fixpunkts jedes Jahr ein – allein in Kreuzberg. Aus ihrer Sicht müssten die Bezirke und das Land mehr tun: Polizei und Grünflächenämter müssten besser sensibilisiert werden. Außerdem sollten mehr Behälter für Spritzen aufgestellt werden.
"Das wichtigste ist, dass an Ort und Stelle, also dort, wo konsumiert wird, die Möglichkeit besteht, Spritzen und Kanülen stichsicher zu entsorgen. Die Frage, wenn im Öffentlichen Raum – im Hauseingang oder in der Grünanlage konsumiert wird – will man da Farbe bekennen, da wird konsumiert, da bringen wir einen Entsorgungsbehälter an? Da gehen die Bezirke sehr unterschiedlich mit um – aber doch zunehmend auch offensiver. Also dazu zu stehen und zu sagen – wir haben da ein Problem."
Das Bezirksamt Friedrichshain Kreuzberg verweist auf Anfrage des Deutschlandfunks darauf, dass Spielplätze von Seiten des Grünflächenamts zwei Mal wöchentlich gereinigt würden.
"Dies umfasst auch das Sammeln von Spritzen, einmal im Jahr werden die Sandflächen durchgesiebt, gereinigt und bei Bedarf und dem Vorhandensein von finanziellen Mittel auch komplett erneuert. Der Fachbereich Grünflächen im Straßen- und Grünflächenamt hat nur begrenzte finanzielle Mittel zur Reinigung. Eine tägliche Reinigung würde ein sehr viel höheres Budget erfordern. Das Straßen- und Grünflächenamt plant eine Ausweitung des Parkmanagements auf betroffene Spielplätze, sofern hierfür entsprechende Finanzmittel vom Land Berlin zur Verfügung gestellt werden."
Anzeige wegen Körperverletzung aus Unterlassung
Jorinde und Claudio wollten auch gern wissen, wie ihr Bezirk und das Land Berlin mit dem Problem in Zukunft umgehen werden. Sie haben der Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann einen langen Brief geschrieben. Eine Antwort haben sie bis heute nicht erhalten.
"Ich finde das schon enttäuschend. Dass die jetzt auch anderes zu tun haben, ist uns schon bewusst, aber dass es in der Verwaltung nicht mal jemanden gibt, der sagt, ja wir arbeiten dran, das finde ich schon sehr unbefriedigend, um es mal freundlich zu sagen."
Die Angst um ihre Tochter ist inzwischen in Wut umgeschlagen, sagt Claudio. Er hat Anzeige gegen die Bezirksbürgermeisterin und den Regierenden Bürgermeister Michael Müller erstattet. Wegen Körperverletzung aus Unterlassung.
"Wir glauben nicht daran, dass es jetzt ernsthafte Ermittlungen geben wird, aber wir finden schon, dass in der Verantwortung von Monika Herrmann wäre, geeignete Maßnahmen zu treffen, damit Kinder die einen besonderen Schutz genießen, zumindest auf dem Spielplatz sicher sind."