Das erste Bild, das sich bei diesem Besuch einprägt, sind zwei Männer im Gebüsch. Der eine hockt dort mit einer Plastikfolie um den Oberkörper, der andere schneidet ihm mit einem Rasiermesser die Haare. Jaman, aus Damaskus beobachtet die Szene, grinst, als er die verdutzte Reporterin sieht. Er sei schon zwei Monate hier und habe sich beim Landesamt problemlos registrieren können, erzählt er. Nun wolle er seinem Freund hier helfen, einem jungen Syrer, der nichts außer Arabisch spricht und erst heute in Berlin angekommen ist. Er habe auf seiner Flucht in 20 Tagen sieben Länder durchreist.
"Ich lebe jetzt in einem Wohnheim und hoffe, dass ich ihn dort heute Abend mit hin nehmen kann. Ich denke das wird kein Problem. Und morgen kommen wir wieder hier her."
Denn die Registrierung in der Behörde habe wegen des großen Andrangs heute nicht geklappt. Viele Flüchtlinge auf dem ausgetrockneten Rasen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales wissen auch noch nicht wie es für sie weitergeht. Manche erzählen, dass sie schon seit Tagen darauf warten, endlich dran zu kommen. Dieser Iraker mit sechs Familienangehörigen sagt:
"13 Tage wir warten. Wir warten, warten die Nummer! Keine Nummer. Heute Abend wo gehen sie hin? – Straße, kein Ort ich schlafen."
Zahlreiche ehrenamtliche Helfer aus Berlin sind emsig um die Schutzsuchenden bemüht. Tabea ist seit Montag dabei, sie verteilt Trinkwasser in Plastikbechern. Es gebe immer noch zu wenig Essen und zu viel Müll hier findet sie, dramatische Szenen gebe es aber kaum:
"Manchmal, wenn die Leute in dieser Gruppe aufgebracht sind, weil sie seit Tagen hier warten und das Gefühl haben, dass es nicht vorangeht und sie so keine Perspektive haben, auch nicht wissen, wie viele Tage sie hier noch warten müssen, kommen schon so ein bisschen Aggressionen und Unmut auf, dass irgendwie gerufen wird und es war heute auch schon zweimal die Polizei da, aber es ist jetzt nichts eskaliert oder so."
Warten im Regen
In einem der Fälle hatten ein paar Männer versucht, ein Bürogebäude der Behörde zu stürmen. Andere Flüchtlinge packen dagegen konstruktiv mit an. Etwa Muhammad. Der 11-jährige Syrer hilft Tabea beim Wasserausschenken.
"Seit ich hier bin, langweile ich mich dauernd, deshalb habe ich beschlossen, hier mitzuhelfen. Manchmal sammele ich auch etwas Müll auf. Es gibt hier zwar auch noch andere Kinder, aber die spielen nur Fußball und das interessiert mich nicht."
Kurz darauf fängt es an zu regnen. Kaum einer der Flüchtlinge hat ein Regencape oder gar einen Schirm. Sie suchen Schutz in den wenigen Zelten, unter Vordächern und Bäumen. Erst am Nachmittag hat das Technische Hilfswerk ein zusätzliches geräumiges weißes Zelt mit festem Holzboden aufgestellt.
Darin stehen etwa 50 Biertische und -bänke.
Hier wird nun Essen ausgeteilt, während draußen der Regen strömt. Jeder bekommt eine Styroporschale mit Huhn, Reis, Gemüse und Salat. Dazu etwas Fladenbrot. Gespendet hat das der Verein "Freunde der Jugend und Familie". Die Muslima Samma hat die 300 Portionen mit zubereitet.
"Wir rufen immer auf unserer Facebook-Seite und in den sozialen Netzwerken fast jeden Tag und durch Bekannte und Freunde dazu auf, dass uns Lebensmittel gespendet werden, damit wir damit kochen."
Busse bringen die Flüchtlinge in Notunterkünfte
Sie hätten das mit der Essensspende gar nicht allen Flüchtlingen vor dem Landesamt erzählt, verrät mir eine andere ehrenamtliche Helferin. Es hätte nicht für alle gereicht. Und das gebe schnell Probleme. So bleibt es ruhig. Michael, der die Nachbarschaftshilfe aus Moabit koordiniert, ist froh, dass die Essensausgabe im neuen Zelt heute so unkompliziert über die Bühne geht. Was den Einsatz der umlagerten Behörde angeht, ist sein Urteil eher kritisch:
"Die hygienischen Bedingungen, man versucht sie zu verbessern, man versucht die medizinischen Bedingungen zu verbessern, wir haben ein grandioses Ärzteteam, was hier mit unterwegs ist, wir haben ein Heer von Helfern, ohne die, das muss man ganz ehrlich erst mal sagen, ohne die würde es nicht funktionieren, ohne die wäre das hier immer noch komplettes Brachland ohne die wären hier die ganzen Flüchtlinge nicht nur unterversorgt, sie wären gar nicht versorgt."
Am Abend steht noch eine besondere Herausforderung an: Keiner der Schutzsuchenden darf auf dem Gelände übernachten. In speziell bereitgestellten Omnibussen der Stadt werden die Menschen bis 20 Uhr abtransportiert in die Notunterkünfte. Doch nicht alle von ihnen steigen ein, es bleiben Plätze frei, die Busse fahren ab. Da kommt eine deutsche Muslima, die sich um eine arabisch-sprachige Personengruppe gekümmert hatte:
"Niemand hat gesagt: Der Bus fährt jetzt! Das geht einfach nicht, die schlafen jetzt auf der Straße oder wie immer wie jede Nacht: Wir besorgen jetzt Privatunterkünfte. Die wollten in den Bus! Mann!"
Offenbar ein Missverständnis, nur ein Kommunikationsproblem von vielen. Bis weit in den Abend fahren vor dem Landesamt dann noch Taxis und Privat-Pkw vor. Sie bringen die Menschen zu Berlinern, die ihre Privaträume für sie öffnen wollen.