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Berliner Indierock-Band Gurr
"First wave gurrlcore"

Laut und kantig ist der Sound der Musikerinnen Andreya Casablanca und Laura Lee – und ihrer Band Gurr. Der Name bezieht sich tatsächlich lautmalerisch auf die große Angst vor Tauben, die Musik hat allerdings nichts Zahmes oder Gurrendes an sich. Und "First wave gurrlcore" liefert gleich eine eigene Genrebeschreibung mit.

Von Anja Buchmann |
    Zwei Frauen stehen vor einer weißen Wand. Die linke Frau ist hell gekleidet. Die rechte Frau ist dunkel gekleidet.
    Andreya Casablanca und Laura Lee . Der Bandname bezieht sich auf die große Angst vor Tauben. (snowhiter promotion)
    Gurr aus Berlin. Zwei Musikerinnen, auf der Bühne durch eine Bassistin und einen Schlagzeuger verstärkt – seit Laura, ursprünglich Schlagzeugerin, ihren Platz am Drum Set geräumt hat.
    'Wir haben irgendwann so viel zusammen gesungen, dass es total auf die Ohren ging, am Schlagzeug zu singen. Weil das Schlagzeug an sich ist schon so ein lautes Instrument. Ich musste mir die Monitore immer so laut schieben, dass ich immer nur mit einem Fiepen von der Bühne gegangen bin. Und wir haben es eingespielt, da waren oft zwei Gitarren drauf und dann war die Notwendigkeit, dass wir entweder einen zweiten Gitarristen oder eine Gitarristin dazu holen oder dass ich eben wechsel. Und dann hab ich meinen Ohren einen Gefallen getan und war vernünftig.'
    Also spielt Laura Lee, wie sie sich nennt – der bürgerliche Name bleibt ein Geheimnis –, auf der Bühne Gitarre. Meist hört man zwei sich ergänzende Rhythmusgitarren: Andreya mit einer Gibson SG und Laura, die manchmal auch Lead-Guitar spielt, mit einer Fender Jazzmaster.
    'Die ist leider auch relativ schwer. Ich habe krasse Rückenschmerzen bekommen nach 22 Festivalshows. Aber vom Sound her liebe ich die, man kann richtig krass nach oben gehen. Ich habe sonst immer auch viele halb-akustische gespielt, weil ich ja so ein krasser Oasis-Fan bin – erst die Epiphone ES 339 – für die Nerds – und dann eine Gibson, ich glaube auch 339. Und damit kann man eben nicht so weit nach oben gehen, nicht so viel Noise machen und die neuen Songs sind auch ein bisschen 'fuzziger'. Teilweise fangen sie auch mit so Sound-Flächen an. Und dafür ist die Jazzmaster auf jeden Fall richtig gut.'
    "Fuzzig" bezieht sich auf das sogenannten "Fuzz-Pedal", eine Urform des Verzerrers, oder, wie es Andreya von Gurr beschreibt:
    "Wenn man an Grunge denkt und verzerrte Gitarren – das ist dieser ein bisschen muffige warme Sound, fühlt sich an wie eine Raupe, die irgendwie durch den Raum läuft."
    Musik: "Super Tired"
    "Girl-irgendwas plus Musikrichtung ist ja kein Genre"
    "Super Tired" von Gurr, ein Song von der ersten EP "Furry Dreams", die Laura und Andreya 2015 veröffentlicht haben. Seit etwa sieben Jahren spielen die Musikerinnen zusammen; Laura kommt ursprünglich eher aus der Brit-Pop-Ecke und interessierte sich für Bands wie Blur oder Oasis, Andreya war schon früh von Garage-Rock begeistert. Zusammen bieten sie eine energetische, dreckige und gleichzeitig melodiöse Mischung aus Garage, Wave, Surf und Punk mit schrammeligen Gitarren, stoischen Bassläufen und einer zunehmenden Portion Pop. Gerade zu Beginn ihrer Karriere wurde ihre Musik gern in der Rubrik "Riot Grrrl" angesiedelt – womit beide nicht sonderlich einverstanden waren. Denn unter den Begriff fallen unterschiedliche Bands von "Sleater Kenney" bis "Le Tigre", und außerdem:
    "Girl-irgendwas plus Musikrichtung ist ja kein Genre. Genau deswegen haben wir ja gesagt: Wir waren so frustriert von diesen Berichten über uns, wo immer Girl-Rock stand und wir dachten so: was zur Hölle ist das? Es gibt so viel mehr über unsere Musik zu sagen: Garage-Rock, Punk, Wave Einflüsse irgendwie."
    Und deshalb veranstalteten Laura und Andreya einen Wettbewerb auf ihrer Facebook-Seite, um ihre Fans einen passenden Begriff für Gurr-Musik finden zu lassen.
    'Wie "Pigeon Pop" und "filed under bigger than Shania Twain" oder sowas und dann kam auch: "First Wave Gurrlcore" und das war halt cool, weil es an diese Wellen des Feminismus anlehnt. Wir sind ja gerade in der dritten oder vierten Welle oder so und wir dann so ein bisschen sagen, mit einem Augenzwinkern natürlich auch: Hey, wir sind 'first wave gurrlcore', hier weil wir die neue Bewegung irgendwie anstreben, in der dieses Girl-Genre – das war eine Zeitlang auch wichtig mit Riot Grrrl und so weiter – aber jetzt eben soll es um Musik gehen.'
    Musik: "Free / Moby Dick"
    Punk-Publikum und Popkultur-Referenzen
    "Moby Dick" war der erste Single von Gurrs Debüt-Album. Ein Song, der den beiden enormen Auftrieb gegeben hat. Denn die Jahre davor haben sie sich ihre Sporen erst mal mit selbst gebuchten Gigs in Jugendclubs und Autonomen Zentren verdient. Und sich dabei eher ein Punk-Publikum erspielt, wie Andreya erzählt.
    "In Deutschland finde ich irgendwie ganz cool, dass man immer so Auftrittsmöglichkeiten hat oder dass so eine Szene gefördert wird, auch in kleineren Orten, wo die Jugendlichen Bands sehen können. Und da war es eher mehr Richtung Punk und wir waren auch noch ein bisschen krachiger, da gab es nur eine Gitarre und ein bisschen Anarchie auf der Bühne."
    In der Zeit der anarchisch-punkigen Songs startete Gurrs Vorliebe, eigene Stücke mit Pop-Hits zu kombinieren – was die beiden vor allem live gern einsetzen. Entstanden ist das Ganze ursprünglich bei "Where did you go" von ihrer ersten EP. Eine Zeit, in der viele Songs in Lauras Küche entstanden sind.
    "In Pankow habe ich damals gewohnt. Und auch der Song, ich habe den Andreya so vorgespielt. Dann hat sie irgendwann gesagt: das klingt wie dieser Pussycat Doll-Song, wenn man den langsam spielt: "Don't you wish." Und dann haben wir es irgendwie langsam gespielt und dann hat es tatsächlich in den Song gefunden. Ich glaube, das war so ein bisschen der Start von unserer Popkultur-Reference-Phase die wir seitdem lange lange hatten. Manchmal wenn ein Song ähnlich klingt wie ein Pop-Hit, dass wir dann versuchen so ein kleines Mash-up zu machen und den Pop-Hit dann auch rein zu hauen und dann wieder in unser Ding zu finden. Und wer schon mal bei einer Show war, der weiß was ich meine."
    Zwei Frauen und ein Mann mit Weihnachtsmütz und Rehgeweih auf dem Kopf stehen vor einer hellen Wand.
    Gurr und Eddie Argos von Art Brut bringen pünktlich zu den Feiertagen eine gemeinsame Weihnachts-EP raus. (snowhiter promotion )
    Musik: "Where did you go"
    "Don't cha" von den Pussycatdolls als kleines Zitat in "Where did you go"; oder – weiteres Zitat – Gwen Stefanis "Hollaback-Girl" als Intro zu Gurrs Song "Rollerscate"; das ist allerdings nur bei live-Konzerten zu hören. Und bei einem Auftritt mit der Band Kraftklub sind die Musikerkollegen sogar zu diesem Intro mit bauchfreien Cheerleaderkostümen und einer wilden Choreographie hinter Laura und Andreya über die Bühne gehüpft.
    "Viele Sachen entstehen spontan auf der Bühne, irgendwie ist eine Gitarre kaputt gegangen oder irgendwas und ich war noch am Schlagzeug und habe irgendwie angefangen mit "bumm bumm tscha", so einfach, um was zu überbrücken. Und dann haben wir angefangen, diesen Hollaback-Song - das war in Mannheim. Ich glaube wir hatten es erst mit "We will Rock you" gemacht, mega bescheuert. Und dann weißt du das noch? Wo dieses backstage war, wo wir nicht schlafen wollten, weil da 30 Matratzen waren."
    An dieser Stelle verlieren sich die Musikerinnen etwas in Auftritts- und Backstage-Erinnerungen – hier jedenfalls der Song, um den es ging. Das Zitat muss man sich als Intro dazu denken, das gibt es nur live. Gurr und "Rollerscate".
    Musik: "Rollerscate"
    Die meisten Gurr-Stücke sind kurz. Manchmal nur 1'30, meist knapp drei Minuten lang. Die Musikerinnen mögen es knackig und direkt: So sind auch die Arrangements nicht sonderlich ausgefuchst, sondern bewusst einfach gehalten mit wenigen Akkorden und klarem Strophe und Refrain-Schema, insbesondere die älteren Stücke. Was der Qualität aber keinen Abbruch tut. Die aktuelle Single "Hot Summer" ist zwar ebenfalls kurz, bietet aber trotzdem den einen oder anderen kurzen Zwischenteil und mehr Abwechslung im Aufbau.
    Musik: "Hot Summer / Walnuss"
    Selbstermächtigung von Frauen
    "Walnuss" von Gurr, ein Song über die häufige Belanglosigkeit modernen Lebens und moderner Medien. Einer von zwei deutschen Titeln der Musikerinnen. Der andere ist "Atemlos", den es, genau wie "Walnuss" auch in einer englischen Version gibt.
    'Einer der wenigen Songs, die tatsächlich zuerst auf Deutsch existiert haben, und zwar haben wir damals noch in Lichtenberg geprobt im Proberaum. Und ich weiß noch, wir haben den Song gemacht und dann fanden wir das so lustig, dass es so ein bisschen so Ideal / Nina Hagen mäßig klingt. Erst haben wir uns gedacht: Das ist so ein bisschen eine Parodie da drauf, weil wir eigentlich so nicht klingen wollten. Und dann haben wir den Song ewig weiter gemacht und dachten: vielleicht sollten wir auch noch einen englischen Text dazu machen. Auf dem Album ist glaub ich die englische Version. Die deutsche Version wurde dann glaub ich auf dieser Kompilation von Staatsakt von dem Label, da ist sie dann draufgekommen.'
    Genau genommen auf dem Sampler "Keine Bewegung 2", hier ist Gurr mit "Atemlos" – garantiert ohne Helene Fischer-Anleihen.
    Musik: "Atemlos"
    Gurrs Texte handeln meist von Alltagsthemen: Geschichten und Gedanken aus den Erlebniswelten von jungen Großstadt-Frauen.
    "Ich glaube schon ein bisschen eine Selbstermächtigung von Frauen auf jeden Fall. Aber nicht auf eine vielleicht eindeutigere Art, wie es jetzt zum Beispiel Bands wie "Dream Wife" oder so machen, die sehr politische Texte haben, wie '"am not my body I am somebody"
    Musik: "Somebody"
    'Ich glaube bei uns schwingt es im Subtext mit und es geht aber eher auch um Frauen, die Geschichten erzählen aus ihrem Leben, über Leute die sie beobachten, über fucked up Nächte die man hatte, über Selbstzweifel und über zerbrochene Beziehungen und so was. Und das ist ja genau so glaube ich irgendwie eine Form von Selbstermächtigung wie das andere.'
    Musik: "Diamonds"
    Karriereschritte und Timing
    Ursprünglich haben Andreya und Laura zusammen studiert. Beide besitzen einen Bachelor of Arts, beide haben ein Auslandssemester in den USA verbracht – wenn auch weit voneinander entfernt – und spielten dann zusammen mit einer befreundeten Bassistin einige Auftritte an der Ostküste. Zurück in Berlin kam die Karriere von Gurr ab etwa 2016 immer mehr ins Rollen. Letztlich, so Laura, eine Frage des Timings.
    "Die Single Moby Dick war raus und das Album kam kurz danach raus. Und mit "Moby Dick" war es zum ersten Mal, wenn man sich unsere erste EP anhört, ist schon ein bisschen so ein Sprung gewesen. Die Anfangssachen waren krachiger und Moby Dick war dann zum ersten Mal etwas sehr Melodisches, Leichtes. Wir waren auch am Anfang so "Oh Gott, jetzt hassen uns die ganzen Punks, die wir jetzt irgendwie drei Jahre lang endlich als Fans gewonnen haben"'
    Sie wurden aber nicht gehasst, sondern haben, im Gegenteil, noch neue Fans dazu gewonnen – und die Aufmerksamkeit der Presse.
    "Das war so ein Schneeballeffekt auch im Internet, dass dann plötzlich Stereo Gum den Song in Amerika gefeaturet hat und dann kam das Reeperbahn-Festival und ganz viele Journalisten zu unserem Auftritt. Und dann spielt man wieder ein Showcase-Festival, wo es nicht so klappt und man fragt sich: Was bringt das eigentlich? Man sticht halt die ganze Zeit rein und es gibt einmal einen Treffer. Aber ich glaube so richtig erklären kann man nicht, warum das funktioniert. Es war bei uns tatsächlich so ein bisschen das Timing."
    Und so spielten sie bei Showcase-Veranstaltungen wie dem eurosonic oder dem SXSW, aber auch bei hippen Festivals wie Melt!, Deichbrand, bei der c/o pop, Dockville und Lollapalooza. Sie traten als Vorband etwa von "The Go! Team" bei einigen Konzerten in England auf und sind selbst als Headliner durch zahlreiche Clubs gezogen. Ihr neues Album ist bereits aufgenommen und wird voraussichtlich im Frühjahr 2019 erscheinen. Und zum ersten Mal ist mit dem US-Amerikaner Matthew Molnar auch ein Produzent mit an Bord.
    "Der hat auch die Band "Sunflower Bean" produziert, die beiden Platten, und von der sind wir totale Fans. Seit langem mal so ein Sound wo wir dachten, der trifft so genau diesen Zwiespalt zwischen Retro und Hi-Fi. Was wir eigentlich auch immer machen wollen, nicht zu sehr nach aus der Tonne klingen, sondern ein bisschen definiert."
    Musik vom neuen Album gibt es, außer der Single "Hot Summer", bisher noch nicht. Dafür aber zwei Weihnachtstitel, die Gurr gemeinsam mit dem Sänger Eddie Argos von der britischen Indie-Punk-Band "Art Brut" aufgenommen hat: "Christmas holiday".
    Musik: "Christmas Holiday"
    Bis zur Veröffentlichung des neuen Albums können sich Andreya und Laura erst einmal von ihren Touren erholen und im Proberaum auf die nächsten Auftritte im Jahr 2019 vorbereiten.
    "Wir haben jetzt einen im Tempelhofer Flughafen, in dem ehemaligen. Vom Berliner Senat, die haben die Sachen ausgeschrieben, wir waren glücklich da einen zu bekommen direkt neben Drangsal, der uns da manchmal seine PA ausleiht."
    Musik: "Song for Mildred"