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Berliner Multaka-Projekt
Flüchtlinge als Museumsguides

Ein besonderes Projekt haben jetzt mehrere Häuser auf der Berliner Museumsinsel gestartet: Sie haben Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak als Museumsführer geschult, damit sie ihre Landsleute durch Ausstellungen führen können. Die Idee dahinter ist, Verbindungen zwischen den Herkunftsländern und Deutschland herzustellen.

Von Dieter Nürnberger |
    Der blaue Abendhimmel rahmt in Berlin den Bau des deutschen Historischen Museums ein. Das Gebäude gehört zum Ensemble der Museumsinsel.
    Deutsches Historisches Museum: Auch hier führen Flüchtlinge durch die Ausstellung. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Der Andrang ist groß. Auch diesmal sind gleich mehrere Dutzend Flüchtlinge und Migranten gekommen, um etwas über die Geschichte ihrer Heimat zu erfahren. Spontan muss eine zweite Gruppe gebildet werden. Die Führung durch das Museum für islamische Kunst in Berlin ist kostenlos, seit gut drei Wochen gibt es nun das Projekt Multaka - das ist arabisch und bedeutet Treffpunkt. Es geht um einen Dialog: Kulturinteressierte Flüchtlinge treffen auf Museumsführer, die ihre Sprache sprechen, sagt Stefan Weber, der Direktor des Museums für islamische Kunst:
    "Es ist kein Projekt von oben nach unten, sondern eine Ansprache von Menschen für Menschen. Und das macht das Besondere aus."
    Viele Museen machen mit
    In den vergangenen Wochen wurden knapp 20 Museumsführer oder Guides, wie Museumsdirektor Weber sagt, in einem Schnellkurs inhaltlich und didaktisch ausgebildet. Nicht nur das Museum für islamische Kunst macht mit, sondern auch die Schaustätten für vorderasiatische oder byzantinische Kunst, die Skulpturensammlung oder das Deutsche Historische Museum.
    Das Multaka-Projekt wurde von der aus Syrien stammenden Kulturmanagerin Razan Nassreddine mitkonzipiert. Die 27-Jährige lebt seit vier Jahren in Deutschland.
    "Nicht alle Guides haben in Richtung Archäologie studiert. Deswegen ist es immer bunt, immer anders. Das ist wichtig für unser Projekt und das ist das Ziel: Es geht uns um den Dialog, nicht so sehr um einen edukativen Vortrag."
    Guides berichten sehr individuell
    Als Guide ausgebildet wurde beispielsweise auch Salma Jreige. Sie ist 24 und hat in Syrien Jura studiert, bis sie vor Bürgerkrieg und Zerstörung flüchten musste. Jura hat sie gedanklich noch nicht abgeschrieben, doch nun freut sie sich erst einmal auf ihre neue Aufgabe:
    "Ich möchte in Deutschland studieren, arbeiten und - ja - ein paar Jahre leben. Deswegen möchte ich mehr wissen über die deutsche Geschichte. Der andere Grund: Ich möchte den Leuten, die aus Syrien oder dem Irak kommen, auch vermitteln, dass es ein paar Aspekte der deutschen Geschichte gibt, die gleich sind mit unserer Gegenwart."
    Salmas Tour wird durch das Deutsche Historische Museum führen. Sie hat sich vorbereitet, viel über die Geschichte ihres Gastlandes gelesen. Überraschendes war dabei und die junge Frau sieht durchaus auch Gemeinsamkeiten zwischen der jüngeren deutschen Geschichte und heute:
    "Zum Beispiel die Zeit nach dem Krieg und auch die schlechte Situation für Frauen damals. Ich möchte auch vermitteln, dass die deutschen Frauen etwas Großartiges geleistet haben. Sie haben alles wieder aufgebaut. Und ich möchte, dass die syrischen Frauen wissen, dass sie das auch leisten können. Ja, das gibt Hoffnung, dass man etwas Neues gestalten kann."
    Die Sammlung für islamische Kunst in Berlin ist Teil des weltberühmten Pergamonmuseums. Das Herzstück, der gleichnamige Altar, ist derzeit zwar wegen des Umbaus der Berliner Museumsinsel nicht zu bestaunen, doch gibt es für Besucher genug Attraktionen: Das Ischtar-Tor aus Babylon etwa, welches aus der Zeit um 600 vor Christus stammt. Oder teilweise Originalnachbauten christlich-orientalischer Wohnhäuser aus dem heutigen Syrien. Für Kulturmanagerin Razan Nassreddine mehr als nur Ausstellungsstücke.
    "Ich habe eine sehr persönliche Beziehung dazu, weil meine Schule in einem alten Haus in Damaskus war. Ich habe das jeden Tag während meiner Schulzeit gesehen. Es war eine katholische Schule. Direkt im Zentrum - und dort gab es auch Moscheen, eine Kirche und so weiter."
    Diskussion über die Ausstellungsstücke
    Vor vielen Ausstellungsstücken wird reichlich diskutiert - auf arabisch. Und eine wohl naheliegende Frage taucht immer wieder auf, sagt Museumsdirektor Stefan Weber. Wie kam die islamische Kunst einst nach Berlin?
    "Man freut sich zwar, dass es hier ist, auch vielleicht, dass es gerettet worden ist. Viele finden es auch gut, dass es hier gewürdigt wird, aber es kommt eben auch die Frage, warum wir das haben. Es ist eine berechtigte Frage. Da müssen wir uns mit der Herkunft auseinandersetzen: Wie ist das geschehen, wie ist die Geschichte verlaufen? Es ist ja nicht immer alles glatt oder toll, es geht auch nicht darum, immer alles positiv zu zeigen. Ich kann mich an eine Frau erinnern, die sagte, sie habe einen Knoten im Hals. Es ist sicherlich auch Trauerbewältigung, die man damit tätig. Und es ist auch eine Kunst, darüber dann in der Gruppe zu sprechen."
    Schon jetzt bewerten die Multaka-Organisatoren das Projekt positiv. Und über Sprachbarrieren hinweg kommt viel Lob von den Besuchern. Beispielsweise von Fawaz Tello: Der syrische Oppositionspolitiker lebt nun seit drei Jahren in Berlin. Er spricht von Kultur als einer wichtigen Brücke zwischen den Menschen.
    "Fantastic! Culture! - this is the bridge between the people and the world."