Ein oder mehrere Täter haben Recherchen von "Die Zeit" und Deutschlandfunk zufolge mindestens 70 Objekte mit einer öligen Flüssigkeit bespritzt, die auf den Kulturgütern sichtbare Flecken hinterließ. Betroffen sind das Pergamonmuseum mit den Beständen des Vorderasiatischen Museums, des Museums für Islamische Kunst und der Antikensammlung.
Attackiert wurden aber auch Werke im Neuen Museum, in dem die Büste der Nofretete steht, und in der Alten Nationalgalerie. Dort ist zurzeit eine Ausstellung über den belgischen Symbolismus zu sehen. Hier wie auch in den anderen Häusern waren von dem Anschlag nicht nur Kulturgüter aus eigenem Bestand, sondern auch Leihgaben betroffen.
Öffentlichkeit wurde nicht informiert
Insgesamt muss die Aktion über eine Stunde gedauert haben – oder von mehreren Personen gleichzeitig ausgeführt worden sein. Trotzdem gibt es zu dem Täter oder den Tätern bislang keine Spur. Weder die verantwortliche Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) noch die sofort eingeschaltete Polizei haben den Vorfall öffentlich gemacht. Auch das Kulturstaatsministerium, Aufsichtsbehörde der SPK, ist seit zwei Wochen eingeschaltet – informierte die Öffentlichkeit oder möglicherweise nach wie vor gefährdete andere Museen allerdings nicht. Erst auf Anfrage von "Zeit" und Deutschlandfunk bestätigten die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und das Landeskriminalamt Berlin Beschädigungen an Ausstellungsobjekten und ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung.
Motiv bleibt unklar
Im Dunklen bleibt zunächst auch das Motiv: War es das Werk eines Psychopathen? Ein Erpressungsversuch? Sollte ein wie auch immer geartetes politisches oder religiöses Zeichen gesetzt werden? Ein Bekennerschreiben liegt nach letzten Informationen nicht vor. Im August und September verbreitete der rechtsradikale Verschwörungsideologe Attila Hildmann auf seinem öffentlichen Telegram-Kanal, dass sich im Pergamonmuseum angeblich "der Thron des Satans" befinde; es sei das Zentrum der "globalen Satanisten-Szene und Corona Verbrecher": "Hier machen sie nachts ihre Menschenopfer und schänden Kinder!"
Auch die Lage des Museums gleich gegenüber der Privatwohnung von Bundeskanzlerin Angela Merkel spielt in diesen kruden Botschaften eine Rolle. Am 23. August, als das Pergamonmuseum coronabedingt noch geschlossen war, teilte Hildmann auf seinem Telegram-Kanal einen WhatsApp-Beitrag mit den Sätzen: "Am Samstag muss das Allerheiligste dieser Satanisten abgerissen werden! Das Pergamon Museum, der Baal Tempel! Das ist der Ursprung allen Übels hier auf der ‚Erde‘!"
Fragen an die Trägerin
Wer nun meint, die Berliner Museen seien glimpflich davongekommen, unterschätzt die Tragweite dieses Attentats – nicht nur, weil die Flüssigkeit auch eine ätzende Säure hätte sein können. Allein schon vom Umfang her zählt dieser zu einem der größten ikonoklastischen Anschläge im Deutschland der Nachkriegszeit.
Außerdem stellen sich Fragen an die Trägerin der Staatlichen Museen in Berlin, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, an deren Entscheidungsstrukturen der unabhängige Wissenschaftsrat gerade erst heftige Kritik geübt hat und über deren Zukunft demnächst entschieden werden muss. Anscheinend wurde am 3. Oktober kein Täter beobachtet. Nur in wenigen Museumsräumen sind offen sichtbare Überwachungskameras installiert. Viele Besucherinnen und Besucher mussten, wegen des Hygienekonzeptes auf der Museumsinsel, ihre Tickets für den 3. Oktober online kaufen und dabei Adressen angeben. Nach Recherchen von "Zeit" und Deutschlandfunk wurden sie bis Anfang der Woche nicht kontaktiert.
Neue Bedrohung gewachsen?
Aus Sicht der Betroffenen gibt es sicherlich Gründe, mit Informationen zu einem Anschlag dieses Ausmaßes nicht gleich an die Öffentlichkeit zu gehen: Die Polizei muss ungestört ermitteln können, Leihgeber sollten von einer Beschädigung ihrer Werke nicht aus der Presse erfahren. Und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Bundesregierung dürfte es angesichts von Rückgabeforderungen zu Kulturgütern aus kolonialen Kontexten, die immer noch mit dem Argument angeblicher Sicherheitsprobleme in afrikanischen Ländern beantwortet werden, auch nicht angenehm sein, Auskunft zum eigenen Risikomanagement geben zu müssen.
Würden Täter aber bei einer nächsten Aktion aggressivere Mittel wählen, wären womöglich auch Mitarbeitende und Besucherinnen der Museen gefährdet. Andere Häuser, die nicht zur SPK gehören, sollten zudem ebenfalls vor den nicht identifizierten Tätern gewarnt werden. Insgesamt nämlich stellt sich nach den Ereignissen vom 3. Oktober 2020 die Frage: Sind die Berliner, sind die deutschen Museen der neuen Bedrohung gewachsen? Und wissen sie, wie sie darauf – nach innen wie nach außen – angemessen reagieren sollten? Berlin vermittelt diesen Eindruck bislang nur bedingt.