Ulrich Gineiger: Die Grünen und die Polizei – ein Reizthema mancherorts. Die Polizei schiebt in Deutschland 22 Millionen Überstunden vor sich her – so die Gewerkschaft GdP. Vor allem die Bereitschaftspolizei trifft es hart, ein hartes Pflaster ist auch Berlin: Wegen der vielen Demos, der Fußballspiele, der Staatsbesuche - doch rot-rot-Grün knausert bei der Polizei, und dies bei der höchsten Kriminalitätsrate.
Angeblich liegt die Ursache darin, dass es kaum geeignete junge Bewerber gibt - Paul Vorreiter – stimmt das?
Paul Vorreiter: Also im Koalitionsvertrag wirbt Rot-Rot-Grün damit, dass bis 2021 600 Nachwuchspolizisten in den Dienst übernommen werden sollen, wenn sie ihre Ausbildung erfolgreich absolviert haben. Die Frage ist allerdings, ob die Jugendlichen auch in Berlin bleiben wollen. Polizist sein in Berlin - das kann bedeuten, bis zu 20 Großereignisse an einem Wochenende und das Überstundenkonto in Berlin ist ja auch kontinuierlich gestiegen. Besonders hart trifft es in der Tat die Bereitschaftspolizeien mit ihren 1900 Kräften. Sie hatten im vergangenen Jahr gut 280.000 Überstunden angehäuft. Im Jahr 2010 waren es noch 190.000 Euro. Das zeigt auch an, dass Berlin den jungen Bewerbern viel abfordert.
Besonders eindrucksvoll wurde das im Herbst vergangenen Jahres, vor dem Regierungswechsel deutlich, als eine Polizeifrau einen Brandbrief an den Polizeipräsidenten geschickt hatte. Darin sagte sie, ihr Mann habe auch schon einmal sieben Wochen am Stück ohne einen einzigen freien Tag gearbeitet.
In Berlin wir schlechter bezahlt
Ein anderes großes Thema ist die unterdurchschnittliche Bezahlung. Wenn man sich ansieht, wie sich die Besoldung entwickelt hat: Ein Beispiel: Die Beamtenbezüge stiegen in der Besoldungsgruppe A7, das ist in etwa die Gruppe der Polizeimeister, in Berlin seit 2008 nur um 16 Prozent, der Bundesdurchschnitt würde bei gut 20 liegen. Da ist natürlich die Frage, wie attraktiv der Standort Berlin für junge Menschen dann noch ist. Der Senat hat darauf reagiert und versprochen, die Tarife dem Bundesschnitt anzugleichen, da gibt es bereits einen Plan: 2,5 Prozent mehr soll es dieses Jahr ab August geben. Die Gewerkschaft der Polizei bezeichnete das als schlechten Witz. Sie hält das für viel zu wenig.
Gineiger: Welche Politik betreibt Rot-Rot-Grün gegenüber den Polizeikräften?
Vorreiter: Zunächst lässt sich sagen, dass der rot-rot-grüne Senat im Nachtragshaushalt 2017 erstmal kein Geld für zusätzliche Stellen zur Verfügung gestellt hat. Geplant ist allerdings, in den nächsten beiden Jahren gut 500 neue Vollzeitstellen im Polizeivollzug zu schaffen und der Koalitionsvertrag sieht vor, dass bisher 1000 unbesetzte Stellen besetzt werden sollen. Ob der Finanzsenator dafür das Geld freigegeben hat, das wird dann der neue Haushaltsplan zeigen, der jetzt bald kommen soll. Für den Hintergrund ist es jedoch wichtig zu wissen - ein Vergleich mit Zahlen aus ferner Vergangenheit: 2001 gab es noch 18.000 Vollzugskräfte bei der Polizei, heute sind es 16.700. Der Abbau der Polizeikräfte fällt damit in die Zeit von Rot-Rot und Rot-Schwarz und hat längere Tradition. Und wenn es bei den bisherigen Plänen der neuen Regierung bleibt, dann würde erstmal nur eine Trendwende eingeleitet werden, aber man würde das alte Niveau damit nicht erreichen. Der Gewerkschaft der Polizei fordert da mehr Mut und verlangt langfristig 3.000 zusätzliche Vollzugsbeamte in Berlin.
Gineiger: Wie schätzen Sie die Realisierbarkeit dieser Forderung ein?
Vorreiter: Nun, die dreitausend Vollzugsbeamten sind sicherlich ein ambitioniertes Ziel. Die Regierung wird in den kommenden Jahren ja auch flexibel reagieren müssen auf die Personalsituation, ob sie das schafft, lässt sich jetzt noch nicht endgültig bewerten. In diesem Jahr gehen voraussichtlich fast 1.000 Polizisten in den Ruhestand, wenn man die Verwaltungsmitarbeiter auch mitrechnet. Da wird erstmal die Frage sein, gelingt es, das ausscheidende Personal zu ersetzen?
Dann hat der Senat aber auch noch andere Baustellen: Die Ausstattung der Polizei gilt als schlecht, 10.000 neue Pistolen sollen nun geliefert werden. Dann muss man ja auch die Besonderheiten der Hauptstadt sehen: Es gibt große kriminelle Szenen, mit denen sich die Polizei herumschlagen muss: Millitante Rocker, Salafisten, arabische Clans, das Bedürfnis vieler Menschen, nach den Anschlägen, vor allem dem hier in Berlin am Breitscheidplatz, hat zu einem Bedürfnis für mehr Präsenz und Sicherheit gesorgt - insofern ist der Druck auf die Berliner Polizei groß. Ob das alles mit dieser Berliner Polizei, ihrem Personal, ihren Überstunden, ihrer finanziellen Situation gelingt, daran wird sich die Regierung messen lassen müssen.