Wenn Felix Lühning auf sein allererstes Treffen mit Ahmad Hafian zurückblickt, muss er immer noch schmunzeln. Denn der damals neunjährige Grundschüler überraschte ihn mit einer ungewöhnlichen Idee:
"Er fragte mich, geht das, dass man links und rechts gleichzeitig aus dem Bett fallen kann?"
Auch Ahmad muss grinsen, wenn er an diese Frage zurückdenkt:
"Und dabei ging ich unbewusst in die Quantenphysik."
Denn, so Felix Lühning:
"Natürlich, in der Quantenphysik geht das – Superposition - und dann waren wir natürlich in einem ganz tollen Fahrwasser drin."
Sternenhimmel beobachten und an Projekten basteln
Seitdem sind vier Jahre vergangen. Die Freude an ungewöhnlichen Fragen und gemeinsamen Experimenten verbindet die beiden nach wie vor. Manchmal trifft der inzwischen 13-jährige Ahmad Hafian seinen Mentor in der Berliner Archenhold-Sternwarte. Als deren Leiter kann Felix Lühning die Sternwarte auch außerhalb der Öffnungszeiten nutzen. Dann beobachten sie gemeinsam den Sternenhimmel und sprechen über Astronomie, Ahmads spezielles Interessengebiet. Oder aber sie basteln, wie heute, in der Werkstatt von Felix Lühning an einem Projekt. Während Ahmad Holzteile anstreicht, erklärt sein Mentor die Konstruktion:
"Das ist eine kleine Windenergieanlage. Die haben wir aus einem alten Fahrraddynamo und so allerhand Krams gebastelt, den wir hier und da gefunden haben."
Die Werkstatt liegt in einem alten Ladenlokal in Berlin-Neukölln, draußen rauscht der Verkehr vorbei. Beim Werkeln sprechen die beiden nicht immer nur über Physik. Sondern auch über Politik, Ethik und Religion – alles, was Ahmad gerade beschäftigt:
"Das ist auch etwas, was ich sehr genieße, weil Ahmad immer mit vielen Ideen kommt. Oft wird dann die Arbeit auch einfach unterbrochen und dann müssen wir erst einmal das Thema ausdiskutieren."
Die Kinder sind zufriedener und ruhiger
Das Mentoringprogramm Fibonacci wurde von der Pädagogin Dagmar Schilling ins Leben gerufen. Als Mutter eines hochbegabten Sohnes kennt sie die Probleme, die durch Unterforderung der Kinder in Familien und Schulen entstehen können: Stress durch demotivierte Kinder, genervte Erwachsene und Mobbing in der Schule. Seit sechs Jahren vermittelt sie hochbegabte Kinder passgenau an ehrenamtliche Mentoren. Die regelmäßigen Treffen sollen nicht nur den Wissenshunger der Kinder stillen, sondern ihre gesamte Entwicklung fördern.
"Die Persönlichkeit wird gestärkt in all ihren Facetten."
Eltern bestätigen Dagmar Schilling, dass dieser Ansatz funktioniert. Die Kinder sind zufriedener, ruhiger und überwinden individuelle Schwächen. Ahmad zum Beispiel ist nicht mehr so schüchtern. Und er genießt die Zeit mit seinem Mentor sehr:
"Also ich habe sehr viel dazu gelernt. Weil in der Schule lerne ich so etwas ja gar nicht. Vielleicht lerne ich so etwas erst in der Oberstufe."
Ein weiteres wichtiges Ziel von Fibonacci ist, Kinder zu fördern, deren Hochbegabung wegen ihrer sozialen Lage häufiger unerkannt bleibt. Dazu gehören Kinder von Alleinerziehenden, Mädchen, Kinder mit Behinderungen und Kinder aus Einwandererfamilien. Der Verein AspE, bei dem Fibonacci angesiedelt ist, arbeitet in Berlin-Neukölln. Hier ist der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund sehr hoch. An den Schulen aber gibt es für diese hochbegabten Kinder nur wenig Aufmerksamkeit, weiß Dagmar Schilling:
"Die Kinder werden übersehen, sie werden nicht wahrgenommen. Sie äußern sich ja manchmal sprachlich anders, aber auch kulturspezifisch anders."
Mehr Anfragen als vorhandene Plätze
Fibonacci betreut circa 20 Tandems pro Jahr, vor allem im Bereich Naturwissenschaft und Mathematik. Das Projekt bekommt viel mehr Anfragen als es Plätze gibt. Gleichzeitig muss es immer wieder um die Finanzierung kämpfen. Die Tandems sind zunächst auf ein Jahr ausgelegt, einige bleiben von sich aus länger zusammen. Wie Ahmad Hafian und Felix Lühning. Ihr aktuelles Projekt, die kleine Windenergieanlage, ist gerade fertig geworden:
"Passt!"
Sein Engagement als Mentor sieht Felix Lühning in einem größeren Kontext. Er leitet mit der Archenhold-Sternwarte auch eine große Bildungseinrichtung. Jeden Tag kommen Schulklassen dorthin. Seiner Ansicht nach sind die Schulklassen aus Neukölln zu Unrecht verrufen. Er erlebt die Kinder als sehr wissbegierig und bekommt immer wieder Fragen gestellt, die ihn an Ahmad erinnern:
"Ich sehe da so viel Potenzial, was einfach nicht gehoben wird."