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Berliner Projekt "WerkbundStadt"
Die Renaissance des Mietshauses

1.100 Wohnungen in 33 Neubauten, individuell entworfen von einem renommierten Architektenbüro und das Ganze mitten in Berlin: So soll sie spätestens 2020 dastehen, die WerkbundStadt - auf dem Areal eines stillgelegten Tanköl-Lagers. Damit wird eine Tradition fortgesetzt, die 1927 mit der Stuttgarter Weißenhofsiedlung begann: der Reform-Städtebau des Deutschen Werkbunds.

Von Jochen Stöckmann |
    Ein Baukran spiegelt sich in Berlin in den Fenstern eines Gebäudes.
    Beim Wohnprojekt WerkbundStadt sollen die Architekten nicht ihren individuellen Stil zelebrieren, sondern sozial verantwortliche Lösungen der alten Werkbund-Frage nach zeitgemäßen Wohnformen erarbeiten. (dpa / picture alliance / Paul Zinken)
    Eine mustergültige "innere Stadterweiterung" mitten in Berlin, urban verdichtet, ökologisch, aber auch ein ästhetischer Lichtblick: mehr als 1.100 Wohnungen in 33 Neubauten, jedes Gebäude individuell entworfen von einem renommierten Architekturbüro. Ein kleinteiliger, vielfältiger und dazu noch autofreier Stadtteil: Mehrere zentrale Plätze dürfen zwar befahren, aber nicht zum Parken genutzt werden, das gilt auch für die Straßen vor einer langen Häuserzeile oder zwischen den fünf, zu schiefwinkligen Blöcken angeordneten Gebäudegruppen.
    So soll sie spätestens 2020 dastehen, die WerkbundStadt. Als Alternative sowohl zum eintönigen Bombast der nach Investoren-Kalkül errichteten Wohnanlagen als auch zur vorstädtischen Monotonie der Eigenheim-Siedlungen. Initiiert vom Werkbund und dessen Vorsitzenden, dem Architekten Paul Kahlfeldt:
    "Ich bin kein Freund von Eigentumswohnungsmodellen, sondern eher von den Zinshäusern: Also, der Eigentümer wohnt in seinem Haus, lebt von der Miete – und kann entscheiden, etwa: Lasse ich das Haus jetzt streichen? Und muss nicht dreißig Leute fragen. Das Ziel ist nicht eine Eigentumswohnanlagenstadt, sondern eine Mietstadt."
    Möglichst viel Gestaltungsfreiheit
    Auf dem vier Fußballfelder großen Areal kann gebaut werden, weil das 1962 für Notfälle eingerichtete Tanköllager aufgelöst wird. Verkauft werden die Parzellen erst, wenn ein detaillierter Entwurf vorliegt – und der künftige Eigentümer sich verpflichtet, binnen drei Jahren sein Mietshaus mit dem vom Werkbund bestimmten Architekten zu errichten.
    Brandlhuber, Max Dudler, Ingenhoven, Kleihues, Kollhoff oder auch Lederer Ragnarsdottir Oei – diese Auswahl kam ohne Wettbewerb zustande, nach einer Art "Kollegialprinzip", wie 1927 bei der Weißenhofsiedlung, wo unter Leitung von Mies van der Rohe sechszehn Architekten bauen durften:
    "Bei den großen Wohnungsbauprojekten der Moderne hat einer Leute ausgesucht, mit denen man streiten kann, mit denen man sich auch vertragen kann. Mit denen man sich versteht, weil man an einer gemeinsamen Sache dran ist. Bei anderen Auswahlkriterien oder Wettbewerben einigt man sich auf Mittelmaß und Mittelmaß ist das Schlimmste, was es gibt."
    Beim Wettbewerb, so Kahlfeldt, entscheidet man sich für einen ersten Preis – an dem dann bis zum Schluss von allen Seiten "nachgebessert" wird, nachgebessert werden muss. Das Projekt WerkbundStadt dagegen ist in Absprachen mit Grundstückseigentümern, Planungsbehörden und politischen Gremien, auch in Diskussionen mit den Anwohnern soweit vorbereitet, dass in der Realisierungsphase möglichst viel Gestaltungsfreiheit bleibt.
    Sozial verantwortliche Lösungen für zeitgemäße Wohnformen
    Die Architekten sollen nicht ihren individuellen Stil zelebrieren, sondern sozial verantwortliche Lösungen der alten Werkbund-Frage nach zeitgemäßen Wohnformen erarbeiten. Und dazu braucht es mehr als das penible Einhalten von Vorschriften und Kennzahlen:
    "Wärmeschutz oder Energieeinsparung ist sinnvoll, Schallschutz ist sinnvoll, Abstandsflächen, jeder einzelne Aspekt. Aber wenn da nicht versucht wird, eine Mischung zu machen und auch eine Abwägung, sondern da – und dann kommen leider oft die Gerichte ins Spiel – muss man alle Punkte einhalten, und das verlängert, verkompliziert und verteuert. Und es führt nicht zu einem guten Ergebnis, das ist das Allerdramatischste."
    Um allzu enge Vorgaben zu vermeiden, verzichtet das Projekt etwa auf die Fördermittel des sozialen Wohnungsbaus. Und wird dennoch ohne einen Euro Steuergeld 30 Prozent preiswertere Wohnungen anbieten – in jedem einzelnen Gebäude. Denn hier geht es um Qualität, um ein urbanes Versuchsgelände für den städtischen Alltag, das künftige Zusammenleben.
    "Was waren Wohnformen der Dreißiger-, Vierziger-, Fünfzigerjahre – das wollen wir wissenschaftlich aufbereiten."
    Für grundlegende Veränderungen, für eine bewusst gesetzte Zäsur braucht es die nüchterne Analyse. Erst auf dieser Grundlage nämlich kann sich so etwas wie die visionäre Kraft des Neuen entfalten: Wohnkonzepte für die Zukunft weder als überhastete Notlösung noch als ideologisches Patentrezept, sondern aufgrund einer aus dem Planungsprozess und der Bau-Praxis heraus erarbeiteten Methode. Aber durchaus nicht abstrakt, sondern demnächst zu besichtigen in der WerkbundStadt.