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Berliner Rasseschädel-Sammlung wird erforscht
Geplünderte Gräber und ein ungelöster Kriminalfall

Eine Hinrichtung, ein vertuschter Mord - bei der Untersuchung von tausend Schädeln aus Ostafrika stoßen die Forscher geradezu auf Kriminalgeschichten. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz untersucht die "Luschan-Sammlung" mit dem Ziel, die Schädel zurückzugeben - falls deren Herkunft sich klären lässt.

Von Christiane Habermalz |
    Ein alter Schädel mit einem Loch in der Stirn
    Ein Berliner Forschungsprojekt untersucht an die 1000 Schädel aus der "Luschan-Sammlung" (dpa / Jens Büttner)
    "1.095… dann ist das wohl hier. Da isser! Das sind definitiv zwei Einschüsse, das ist unzweifelhaft. Gambesi, Usegua, Juli 1888, Herr Bachmann."
    Bernard Heeb, Kustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin, zeigt auf das hochaufgelöste Foto auf seinem Computerbildschirm. Der Schädel mit der Inventarnummer RV 1095, beziehungsweise der Mensch, der er mal gewesen war, hat eindeutig ein gewaltsames Ende gefunden. Ein kreisrundes Loch klafft mitten auf dem Stirnbein, ein weiteres in der Schläfe. Laut Rudolf von Virchow, der den Schädel bei einer Tagung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte besprach, stammt er von einem Plantagenarbeiter der Kolonie "Deutsch-Ostafrika". Die Person sei von einem Beamten der Deutschen Ostafrikagesellschaft mit einer Waffe des Kalibers 11 mm erschossen worden. Als "Sammler" des Schädels wird der Gärtner Ludwig Bachmann angegeben – so steht es auch auf dem Schädel selbst vermerkt.

    "Das war direkt aufgesetzt. Das ist 'ne Hinrichtung", kommentiert Heeb. Der Archäologe ist der Leiter des Pilotprojektes, mit dem das Museum seit knapp einem Jahr die Herkunft und die sogenannte "Erwerbungsgeschichte" von rund 1000 Schädeln aus Ostafrika erforscht. Ziel ist die Rückgabe an die Herkunftsgesellschaften, wo das möglich ist und gewünscht wird. Doch dazu muss erst einmal herausgefunden werden, wo die Schädel herstammen. Und das ist sehr schwierig, sagt Heeb. Denn außer den Beschriftungen auf den Schädeln selbst, die Inventarnummer, Fundort, das Jahr und den Namen des Sammlers angeben, gibt es kaum noch Archivarien. Vor allem fehlen seit dem Zweiten Weltkrieg die Inventarbücher, in denen normalerweise nähere Informationen vermerkt wurden.
    Ein untergejubelter Schädel?
    Der Fall des erschossenen Plantagenarbeiters mit den Infos zu Todesumständen und Täter stellt eine große Ausnahme dar. Doch ausgerechnet dieser Fall gibt die größten Rätsel auf. Denn der Schädel des Toten weist Merkmale eines Mitteleuropäers auf. Handelt es sich vielleicht gar nicht um einen Afrikaner? Wurde der Schädel den knochenbegeisterten Deutschen untergejubelt?

    "Es ist halt immer noch die Frage, wo der Schädel her stammt oder ob vielleicht irgendetwas anderes verdeckt werden sollte und es nur geschrieben wurde, dass er erschossen wurde von einem Beamten, um vielleicht so einen anderen Mord zu vertuschen", mußmaßt Marius Kowalak, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsprojekts. Von der Schädelsammlung aus Ostafrika – 900 stammen aus dem heutigen Ruanda, 250 aus Tanzania – erhoffte man sich schnelle Erkenntnisse, weil sie eine relativ homogene Gruppe bilden: Sie wurden fast alle von einem einzigen Sammler zusammengetragen: dem polnischen Anthropologen Jan Czekanowski. Er arbeitete von 1905 bis 1907 im Auftrag von Felix von Luschan, der am Museum für Völkerkunde in Berlin eine gigantische Sammelwut entfacht hatte, um Schädel und Gebeine aus aller Welt zusammenzutragen. Von Czekanowski sind Tagebücher erhalten, die zum Teil noch unveröffentlicht sind. Doch aus seinen Briefen wissen die Forscher bereits interessante Details über 109 Schädel, die von der Insel Busira im Viktoriasee in Tanzania stammen. Auf der Insel befand sich eine Begräbnisstätte für hohe Würdenträger der Hayo, erzählt Kowalak.

    "Dort schrieb er zum Beispiel an Luschan, der erstaunt war, wie viele Schädel er in so kurzer Zeit eben sammeln konnte, er sei auf die Insel rübergepaddelt und habe sie dort geraubt."
    Schädel lassen sich einzelnen Familien zuweisen
    Für die Forscher ist Busira, eine Felseninsel mit vom Wasser ausgewaschen Begräbnishöhlen, ein besonderer Ort. Denn anhand von Familienähnlichkeiten zwischen den Schädeln, der Reihenfolge der Inventarnummern und handschriftlichen Vermerken Luschans lassen sich hier möglicherweise sogar Schädel einzelnen Höhlen und damit einzelnen Familien zuweisen. Ein Glücksfall, sagt Bernhard Heeb.

    "Es ist einer der ganz ganz ganz wenigen Orte, wo das bis ins Detail möglich zu sein scheint. Bei den anderen handelt es sich meistens einfach um Regionen, größere Städte oder Dörfer, die es so vielleicht gar nicht mehr gibt. Und da können wir meistens Schädel nur Regionen zuordnen und hier möglicherweise einzelnen Grablegen. Aber das wird sich jetzt auch noch zeigen, da sind wir jetzt auch noch dabei."
    Unterstützung gibt es aus Tansania. Demnächst sollen die Recherchen vor Ort fortgesetzt werden, um Erinnerungen und mündliche Überlieferungen aus der Bevölkerung einzuholen. Zu den Schädeln aus Ruanda gibt es bislang wenig Erkenntnisse – auch weil das Interesse an der Provenienzrecherche dort nicht sehr groß gewesen sei, sagt Heeb. Ruanda habe dagegen bereits großes Interesse an der Sammlung als solcher angemeldet. Für eigene genetische Forschungen.

    "Also wenn sie sie nach Ruanda überführen, dann sicherlich dort, um sie weiter auch in Depots aufzubewahren und tatsächlich auch zu beforschen. Das ist 'ne ganz klare Aussage von ruandischer Seite. Das hat uns selbst auch überrascht."
    Anders in Tansania. Dort wird die Erinnerung an die Maji-Maji-Aufstände, die von der deutschen Kolonialmacht blutig niedergeschlagen wurden, aufrechterhalten. Und an die Helden des Widerstands. Im März berichtete die tansanische Zeitung "The Citizen" unter dem Titel "Tanzania to bring back hero’s skull" darüber, dass die Regierung in Daressalam den Kopf des legendären Anführers im Maji-Maji-Aufstand, Songea Mbano, zurückfordern wolle. Die Deutschen hatten ihn gefoltert und hingerichtet, sein Kopf wurde nach Deutschland geschickt. Bis heute ist in seinem Grabmal der Platz für den Schädel freigehalten worden. Heeb muss die Hoffnungen enttäuschen. Bisher gebe es keine Hinweise darauf, dass Songeas Schädel in der jetzt untersuchten Sammlung sei.