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Berliner Senat
Engagement gegen Antisemitismus ausgezeichnet

Sie wollen Klischees aufbrechen und Diskriminierung bekämpfen: Im Berliner Senat sind sieben sogenannte Teamer gegen Antisemitismus mit einem Zertifikat und viel Lob ausgezeichnet worden. Das Besondere: Sie selbst sind muslimischen Glaubens und engagieren sich für mehr Verständnis zwischen den Kulturen.

Von Jens Rosbach |
    Der Spruch "Gegen jeden Antisemitismus!" prangt an einer Toilettenwand der Philipps-Universität in Marburg.
    Die Ausbildung zum Teamer gegen Antisemitismus soll dazu beitragen, die Vorurteile zwischen muslimischen Gläubigen und Juden abzubauen (picture alliance / dpa/ Arne Dedert)
    Seda Colak trägt einen grünen Hidschab, ein grünes Kopftuch. Die 26-jährige Deutschtürkin zeigt offen, dass sie eine Muslima ist. So hört sie auch immer wieder diskriminierende Sprüche, wenn sie im heimatlichen Berlin unterwegs ist.
    "Das kann sein, dass ich bei der ersten Begegnung gefragt werde, ob ich deutsch spreche oder ob ich die Person verstehe. Bis hin zu: Gehen Sie wieder zurück in ihr eigenes Land, Terroristin! Auf der Straße, in der U-Bahn, beim Einkaufen."
    In ihrer Schulzeit hatte Colak den Leistungskurs Geschichte belegt und dort von der Diskriminierung und Vernichtung einer anderen Minderheit erfahren: den Juden. Die Muslima las viel über den Holocaust, hörte aber gleichzeitig im Alltag antisemitische Bemerkungen - von migrantischen wie auch von deutschstämmigen Jugendlichen.
    "Eine typische antisemitische Äußerung ist, dass Juden über die Welt herrschen würden und über das ganze Geld herrschen würden. Das variiert von Verschwörungstheorie zu Verschwörungstheorie."
    "Meine Eltern haben mir immer vermittelt, dass jeder Mensch ein Mensch ist"
    Seda Colak war dieses Denken schon immer zuwider.
    "Meine Eltern haben mir immer vermittelt, dass jeder Mensch ein Mensch ist – bezogen auf alle Menschen."
    Grund für die junge Frau, zusätzlich zu ihrem Philosophiestudium eine neuartige Ausbildung zu starten: zur Teamerin gegen Antisemitismus. Zwei Jahre lang hat sie abends, am Wochenende und in den Ferien gelernt, wie sie türkisch- und arabischsprachige Jugendliche über antijüdische Vorurteile aufklären kann. Doch ihr Engagement werde oft nicht verstanden, berichtet Colak, immer wieder gebe es bei anderen Muslimen Skepsis und Misstrauen.
    "Aber auch die Mehrheitsgesellschaft ist irritiert, wenn ich erzähle, was ich mache. Weil das Bild vom muslimischen Antisemiten so verfestigt ist, dass sie nicht verstehen, warum ich das eigentlich mache."
    Klischees aufbrechen und Diskriminierung bekämpfen – das hat sich der Organisator der Teamer-Ausbildung auf die Fahnen geschrieben: Dervis Hizarci von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Der Berliner Verein will die jungen Muslime in migrantischen Schulklassen und Religionsgemeinden einsetzen.
    "Unsere Jugendlichen haben eine Art Community-Anbindung, Community-Zugehörigkeit. Das heißt, sie kennen teilweise Leute in den Moscheen persönlich. Echte, lebendige Kontakte, Beziehungen – von denen man profizieren kann – um einen Anfang zu machen."
    Viel Diskussionsbedarf und überforderte Pädagogen
    Hizarci, selbst türkischer Abstammung, war früher Lehrer. Nach seiner Erfahrung gibt es in Schulen mit hohem Migrantenanteil einen großen Diskussionsbedarf – gerade beim Thema Israel und Nahostkonflikt. Doch viele Pädagogen seien überfordert.
    "Komme ich von außen und gleichzeitig von oben herab an die Community oder an die Moschee, will ich einfach ohne ein tatsächliches Interesse an der Gemeinde belehrend ihnen sagen, was sie zu tun haben – ohne dass ich aber Raum gebe, was sind denn die eigentlichen oder zusätzlichen Bedürfnisse, Wünsche, Sorgen auch dieser Gemeinschaft? Dann gibt es natürlich Widerstand!"
    Ein gesellschaftlicher Lichtblick
    Gestern Abend erhielten die ersten sieben muslimischen Teamer gegen Antisemitismus – öffentlich - ihre Abschlusszertifikate überreicht. Sawsan Chebli, die Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement, lobte die jungen Toleranz-Botschafter als gesellschaftlichen "Lichtblick".
    "Ich finde, ihr seid die beste Antwort auf Hass, Hetze und Spalterei, ihr setzt euch für ein offenes und vielfältiges Berlin ein."