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Berliner Stadtführung
Flüchtlinge zeigen ihren neuen Kiez

Die Berliner Organisation "Stadtsichten" gibt Stadtführungen einen neuen Dreh. Nachdem sich bereits Touren mit Obdachlosen erfolgreich etabliert haben, gibt es jetzt das Projekt "Querstadtein" - Führungen mit Flüchtlingen. Das Motto: "Geflüchtete zeigen ihr Berlin".

Von Daniela Siebert |
    Passanten gehen in Berlin auf der Hermannstraße.
    Für die Syrer Ariish und Samer ist Neukölln bereits nach einem halben Jahr ein Stück Heimat geworden. (dpa/ picture-alliance/ Sören Stache)
    "Welcome for everybody, me Ariish I came from Syria and Samer ... "
    Die Karl-Marx-Straße in Berlin Neukölln. Tiefergelegte Autos mit lauten Motoren gehören hier zum Standard. Nicht so die Besuchergruppe auf dem Bürgersteig. Berlin-Touristen laufen hier normalerweise nicht lang. Trotzdem begrüßen die 29-jährige Ariish und ihr Ehemann Samer an diesem kühlen Frühlingstag mit Schauerneigung eine 15-köpfige Besuchergruppe zur Stadtführung. Die meisten sind Berliner, aus allen Altersgruppen, von der Schülerin bis zur Seniorin.
    Ariish und Samer lotsen die Gruppe gemeinsam durch den Kiez, wie Fische im Wasser, man kann sich kaum vorstellen, dass die beiden Juristen erst vor einem halben Jahr von Syrien nach Deutschland geflohen sind. Am gefährlichsten auf dem Weg hierher sei die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland gewesen erinnert sich Samer vor seinen aufmerksamen Zuhörern und hält eine Landkarte hoch, die die Fluchtstrecke grün markiert nachzeichnet. Das Schlauchboot habe eigentlich nur Platz für 17 Personen gehabt erklärt Samer, es waren aber 47 Menschen an Bord. Auch Frauen und Kinder.
    Stunden anstehen für die Kontoeröffnung
    Die erste Berliner Touristenattraktion dieser Führung ist ein Restaurant namens Sham mit Shisha–Lounge in der Karl-Marx-Straße. Die Gruppe versammelt sich im Halbkreis auf dem Bürgersteig, um die beiden Syrer herum. Die erklären warum das Lokal so besonders wichtig für Neuankömmlinge sei:
    "This Restaurant is special für Syrian newcomers ..."
    Sham sei nämlich auch der Name ihrer geliebten Heimatstadt Damaskus, erklärt Ariish, außerdem sei das Essen hier besonders gut. Falafel, Schawarma und das Bohnengericht Ful schmeckten wie zu Hause, schwärmen die beiden.
    Zu Fuß geht es weiter zu andere Stationen, die im Leben der beiden Geflüchteten schon wichtig waren. Die Sparkasse ist so ein Stop. Nicht nur hier entpuppt sich Samer als geborener Entertainer. Mit Humor und rhetorischem Talent erzählt er eine eigentlich bittere Geschichte: Nicht alle Berliner Banken wollten für Flüchtlinge ein Konto eröffnen. Aber die Sparkasse. Deshalb sei dort der Andrang auch riesengroß. Zwei Tage lang habe er es frühmorgens in einer der Filialen versucht, sei aber an überlangen Warteschlangen gescheitert.
    Schließlich habe er sich morgens um halb vier den ersten Platz in der Schlange gesichert und am selben Tag das Konto eröffnet. Auch die Sonnenallee ist eine wichtige Etappe dieser besonderen Stadtführung. Hier gibt es viele Geschäfte mit arabischer Beschriftung, arabischen Produkten, arabischen Inhabern. Auch die neu angekommenen Syrer können sich hier schnell zurecht finden. Doch Ariish und Samer drehen den Spieß um. Sie drücken ihren Teilnehmern jeweils ein Kärtchen in die Hand, mit arabischen Schriftzeichen. Das sind die Namen einzelner Geschäfte in der Sonnenallee, diese sollen sie nun wiedererkennen und landen so beispielsweise vor einem Fotogeschäft oder einem Supermarkt.
    Die Teilnehmer sind begeistert und nutzen schon längst ungeniert die Einladung, Ariisch und Samer Löcher in den Bauch zu fragen, etwa was so eine Schleusertour denn kostet, ob sie Kinder haben, ob sie schon zu ihrem Asylantrag angehört wurden, ob Flüchtlinge wirklich all die Papiere, die wichtig für sie sind, auf dem Smartphone speichern.
    Die Antworten von Ariisch und Samer sind schon längst nicht mehr nur persönlich. Sie sind zu Stellvertretern und Botschaftern von ihresgleichen geworden. Sie sprechen quasi für "die Geflüchteten".
    Nach zwei Stunden Stadtspaziergang, zwei U-Bahnstationen entfernt, endet die Tour und die Teilnehmer sind begeistert.
    "Es ist schön einfach, den Menschen zu begegnen ... total gut in deren Lage versetzen können."