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Berliner Theatertreffen
Ausufernd harmlos

Selten traf man auf so merkwürdig wenig betroffene und zugleich zufriedene Zuschauer wie beim diesjährigen Theatertreffen. Die trendaffinen und diskussionskonformen Darbietungen trafen nicht Herz und Hirn der Zuschauer, sondern vor allem deren Unterhaltungsbedürfnis.

Von Hartmut Krug |
    Flüchtlinge als Laienschauspieler in "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek, inszeniert von Nicolas Stemann, acht schwarze Männer stehen auf einer Bühne und halten ihre jeweils rechte Faust in die Luft.
    Flüchtlinge als Laienschauspieler in "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek, inszeniert von Nicolas Stemann (dpa/picture alliance/Stephanie Pilick)
    Natürlich kann die Auswahl des Berliner Theatertreffens nicht die gesamte Wirklichkeit der deutschsprachigen Theaterlandschaft abbilden. Im besten Fall kann sie zehn bemerkenswerte Inszenierungen vorstellen und sich dabei jeder Trendaussage verweigern, - wie sehr diese auch stets verlangt und versucht wird. Wenn nun von den zehn ausgewählten Regisseuren fünf noch keine vierzig Jahre alt und insgesamt neun noch nicht über fünfzig sind, ist das schön, aber durchaus kein Beleg für irgendeine Entwicklung. Und dass immerhin fünf Uraufführungen dabei waren, muss wegen der Uraufführungs-Überproduktion in deutschsprachigen Theaterlanden nicht überraschen. Zumal diese Zahlen und diese Auswahl, wie immer, mit gleichem Recht auch ganz anders hätten aussehen können.
    Betont wurde bei der Jury-Abschlussdiskussion am Sonntag immer wieder, wie sehr die Theater mittlerweile unter ökonomischem Erfolgsdruck stehen. Weshalb auch deshalb dieses Jahr Theater aus der Provinz keine Chance bei der Jury hatten: Sind sie doch am stärksten zu Kompromissen bei der Auswahl von Stücken und bei der Entscheidung über Inszenierungsformen gezwungen.
    Ein Zauberwort aber gab es beim Theatertreffen: Viele der ausgewählten Inszenierungen seien "politisch", hieß es in Verlautbarungen des Theatertreffens. Was dann stimmt, wenn als politisch schon verstanden wird, dass Theater die Realität und deren gesellschaftliche Diskurse irgendwie wahrnimmt. Schön war, dass die Theatertreffen-Leitung mit Diskursveranstaltungen zu Postkolonialismus oder zu Flucht, Einwanderung und Asyl reagierte. Und damit eine Direktheit einbrachte, die den meisten sogenannten politischen Stücken fehlte. Nur Nicolas Stemann versuchte bei seiner Inszenierung von Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen", die Probleme seiner Arbeit mit Schauspielern und Asylanten als zugleich ästhetische und politische im Spiel zu thematisieren.
    Leider wurde der Zuschauer oft vor seinen eigenen Emotionen bewahrt
    Sonst aber rieben sich nicht nur die sogenannten politischen Inszenierungen weniger an der jeweils verhandelten Wirklichkeit als an deren theatraler Form. Es war, als führten sie Jürgen Goschs Haltung, Situationen auf ihre Spielbarkeit zu überprüfen, konsequent weiter zu einem Überprüfungsspiel der unterschiedlichsten artifiziellen Kunstmittel. Man muss ja keine Agitation oder klare politische Haltungen erwarten, aber doch etwas mehr Kraft beim Versuch, dem Zuschauer es schwer zu machen. Gut, die Eindeutigkeit des psychologisch-realistischen Erzähltheaters scheint verpönt. Doch an dessen Stelle trat nur ein Spiel mit Spielformen und mit Sprechkunst-Diskursmaterial.
    Das brachte viele unterhaltsame, aber eher ausufernd harmlose Theaterabende von deutlicher Uneigentlichkeit hervor. Was bedeutet: Das Spiel ist nicht von tiefer gehenden Haltungen bestimmt und "peinigt" den Zuschauer nicht mit Schmerzpunkten. Und es bleibt ohne eine klare Aussage oder Botschaft, arbeitet aber mit vielen Rollenspielen. Was durchaus in Ordnung sein kann. Doch leider wurde der Zuschauer oft vor seinen eigenen Emotionen bewahrt, indem sich Inszenierungen aus der Krise des Repräsentationstheaters in ein Vorzeigetheater der bunten Formen retteten.
    Bei dem wurden nicht nur Kostüme, Geschlechter und Spielweisen, sondern auch Rollen an- und abgestreift. Selten traf man auf so merkwürdig wenig betroffene und zugleich zufriedene Zuschauer wie beim diesjährigen Theatertreffen. Dessen trendaffines und diskurskonformes Theater scheint nicht mehr, wie man gegen alle Trends sagen kann, Herz und Hirn seiner Zuschauer, sondern deren Unterhaltungsbedürfnis getroffen zu haben. Paradox und schön daran ist nur, dass die Schauspieler, oder besser, die Schauspielerinnen, in dieser Art Theater aufzuleben und zu leuchten begannen.