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Berliner Theatertreffen
Ein externer Blick auf die deutschen Bühnen

In Berlin ist nun das Theatertreffen zu Ende gegangen, das wohl wichtigste Festival der deutschsprachigen Szene. Zu sehen waren zehn von einer Kritikerjury ausgewählte Inszenierungen. Es gab einen Stückemarkt und viele Diskussionen. Zu merken war ebenfalls, dass die Zahl der ausländischen Besucher gewachsen ist, darunter einige Flüchtlinge. Wie haben diese das Festival wahrgenommen?

Von Oliver Kranz |
    Chor: "We are here. We will fight for freedom of movement is anybody's right"
    Flüchtlinge waren in diesem Jahr beim Theatertreffen das Thema. In der Inszenierung "Die Schutzbefohlenen" des Thalia-Theaters Hamburg standen sie live auf der Bühne. Doch weil sie kaum Gelegenheit erhielten, eigene Geschichten zu erzählen, regte sich Protest. Flüchtlingsinitiativen demonstrierten vorm Haus der Berliner Festspiele und auch im Publikum gab es kontroverse Meinungen.
    "Ich denke, wenn man so viele Flüchtlinge auf die Bühne bringt und sie wie Objekte behandelt, ist das genau das Gleiche, was in der Gesellschaft geschieht. Da werden die Flüchtlinge auch nicht als Subjekte gesehen. Sie dürfen nicht selbst aktiv werden. In der Inszenierung kommen mir die Flüchtlinge wie eine formlose Wolke vor. Sie rennen ab und zu nach vorn, schreien etwas, und rennen dann zurück. Ihnen wird kein Raum gelassen, ihre eigene Sache zu vertreten. Sie werden nur benutzt, als wären sie ein Bestandteil des Bühnenbilds."
    Arvand Dashtaray gehört zu den internationalen Fachbesuchern, die das Goethe-Institut zum Theatertreffen eingeladen hat. Er ist Regisseur und Bühnenbildner und kommt aus Teheran. Sein Urteil über das Treffen fällt diplomatisch aus:
    "Hier gibt es eine Offenheit, wo man alles diskutieren kann. Die werde ich im Iran sehr vermissen. Es ist immer gut, wenn es eine Kultur des Gesprächs gibt."
    Die zahlreichen Diskussionen des Theatertreffens haben Arvand Dashtaray begeistert, die Aufführungen nicht. Zu bombastisch wirkten für ihn die Bühnenbilder, zu weltfremd die erzählten Geschichten. Dass viele Aufführungen politische Themen ins Visier nahmen, lässt er nicht gelten.
    "Ich glaube, in Deutschland ist es schon politisch, wenn man sich irgendwo eine Pizza kaufen geht. Hier wird so viel über Politik geredet, dass das Wort am Ende gar nichts mehr bedeutet."
    Beim Theatertreffen wurde über Flüchtlings- und Asylpolitik diskutiert, über postkoloniale Strukturen in der Kulturszene und über die knappen finanziellen Mittel. Nach jeder Aufführung wurde ein Aufruf verlesen, in dem um Spenden für "My Right Is Your Right" gebeten wurde, eine Initiative, die sich für die Verbesserung der rechtlichen Situation von Flüchtlingen einsetzt. Die Leiterin des Theatertreffens Yvonne Büdenhölzer will den Diskussionen im Rahmen des Festivals auch Taten folgen lassen.
    "Es wird jetzt auch ganz konkret veröffentlicht, für was diese Spenden sein werden – nämlich für den Aufbau des Hauses der 28 Türen am Oranienplatz, das abgebrannt wurde, aber auch um eine Website für diese Kampagne aufzubauen. Also da gibt es sehr viel Bedarf."
    Das Haus der 28 Türen diente vor seiner Zerstörung als Mahnmal und Veranstaltungsort. Die Türen, von denen einige geöffnet und einige verschlossen waren, standen für die 28 Mitgliedsstaaten der EU. Ist es angemessen, wenn sich ein Kunstfestival derart eindeutig politisch positioniert? Seunghyo Lee, der in Südkorea das Avantgarde-Festival Bo:m leitet, schüttelt den Kopf...
    "Ich finde nicht, dass das Festival zur Politik eindeutig Stellung beziehen sollte. Es geht doch um Kunst. Geld für Flüchtlinge zu sammeln, ist etwas ganz anderes."
    Was die einen als politisches Engagement bejubeln, gefährdet in den Augen der anderen die Unabhängigkeit der Kunst. Das Theatertreffen bündelt die Debatten. Es ist nicht nur eine Leistungsschau des deutschsprachigen Theaters, sondern auch eine Gesprächsplattform.
    "Das Beste, was mir hier passiert ist, ist die Begegnung mit den anderen Künstlern. Am Forum haben 38 Theatermacher aus 20 Ländern teilgenommen. Ich konnte so viele Kontakte knüpfen – das wird meine Arbeit in den nächsten zehn Jahren beeinflussen."
    Das internationale Forum, von dem Arvand Dashtaray schwärmt, gibt es schon seit 50 Jahren. Junge Theatermacher werden nach Berlin eingeladen, um an Workshops teilzunehmen und über die Aufführungen des Theatertreffens zu diskutieren. In diesem Jahr wurden zwar viele Inszenierungen kritisch bewertet, doch trotzdem gehen von dem Festival wichtige Impulse aus. Jeder, der das diesjährige Treffen besucht hat, wird über das Verhältnis von Kunst und Politik neu nachdenken müssen.