Die Zahlen liegen schon seit zwei Jahren vor: Nur 22 Prozent aller deutschen Theater werden von Frauen geleitet - und Schauspielerinnen verdienen ganze 46 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Alles die Schuld von männerbündelnden Frauenhassern, die sich im Hinterzimmer ins Fäustchen lachen? Thomas Oberender, der Intendant der Berliner Festspiele, sieht viel mehr strukturelle Probleme:
"Was mich am meisten irritiert ist, dass ich niemanden kenne, der sagt: Mit Frauen habe ich Probleme. Es gibt keine aktive Frauenblockadenpolitik - es ist schlimmer! Es ist strukturell."
Lilienthal mit Pionierarbeit für Frauen erfolglos
Oberender hat auch einen Vorschlag zur Ursachenbekämpfung: Man müsse, wie es Intendant Matthias Lilienthal an den Münchner Kammerspielen tue, mehr "Devised Theatre", also: im Kollektiv entwickelte Projekte spielen statt Texte aus dem Theaterkanon.
Lilienthal beschäftigt tatsächlich rund 50 Prozent Frauen im künstlerischen Bereich - was allerdings nicht dazu geführt hat, dass die Zuschauer ihm die Türen einrennen, im Gegenteil. Auch wegen der schlechten Publikumszahlen hat Lilienthal seinen Vertrag nicht verlängert. Mehr Frauen im Theater führen nicht automatisch zu breiterem Rückhalt fürs künstlerische Programm.
Muss Richard III. eine Frau sein?
Auch Nicola Bramkamp, Schauspieldirektorin am Bonner Theater, weist das junge, arg gesinnungsapplaudierende Publikum im Berliner Festspielhaus darauf hin, dass nicht alles mit radikalen Schwarz-oder-Weiß-Entscheidungen zu lösen ist:
"In Bonn sorgt die Besetzung von Prospero als Frau oder mit Richard III. als Frau für einen Aufschrei im Publikum. Ihr sagt 'So what?' - aber es ist nicht 'So what', weil ich Theater natürlich auch für eine Stadt mache und für die Leute, die in einer Stadt wohnen, und ich muss gucken, dass ich die mitnehme und nicht verliere."
Bramkamp setzt deshalb nicht bei künstlerischen Fragen an, sondern bei familienfreundlichen Arbeitsbedingungen für alle: Wer am Bonner Theater arbeitet, bekommt von der Kommune einen Zuschuss für eine Kinderbetreuung am Abend - das hat sie durchgesetzt. Auch Regisseurinnen mit Kind, die in einer anderen Stadt gebucht werden, bräuchten eine Theaterwohnung mit Extra-Zimmer fürs Au-Pair. Bramkamp, aber auch Anna Bergmann, designierte Schauspielchefin in Karlsruhe, klagen das Recht auf die Vereinbarkeit von Bühnenberuf und Familie ein. Ein unerlässlicher Schritt, damit mehr Frauen am Theater arbeiten können - einer, bei dem Kommunen und Theater viel Geld umverteilen müssen.
Vereinbarkeit von Theater und Familie
Thomas Ostermeier, Künstlerischer Leiter der Berliner Schaubühne, erzählt, dass auch Männern an seinem Haus die Zeit mit den Kindern wichtiger geworden ist. Rund um die Uhr für die Kunst da sein - das scheint heute niemandem mehr erstrebenswert. Dass dieses Umdenken vielerorts noch nicht angekommen ist, ist Bramkamp klar:
"Ich habe auch viele Jobs nicht gekriegt, weil ich eine Mutter bin. Das ist erst mal etwas, was Menschen irritiert, dass man nicht bereit ist, sich 24 Stunden am Tag für das Theater aufzuopfern. Auf der anderen Seite kann ich sagen, wenn ich nicht Mutter wäre, würde ich, glaube ich, diesen Theaterbetrieb gar nicht aushalten."
Ein elternfreundlicher Theaterbetrieb könnte auch den irren Output von Theaterproduktionen bremsen. An der Schaubühne werden schon jetzt nur halb so viele Premieren produziert wie an anderen Häusern. Proben finden nur ein Mal täglich und zwar von 11 bis 16 Uhr statt. Das ist familien- und frauenkompatibel. Trotzdem wird Ostermeier von den Zuhörerinnen hart angegangen, weil sein Theater in dieser Saison keine einzige Autorin auf dem Spielplan hat. Warum?
"Weil wir bei der Auswahl der Autorinnen nicht darauf geachtet haben, ob wir einen gleichen Anteil Frauen und Männer herstellen können. Sondern weil wir nach Stoffen gesucht haben, die uns interessieren, egal, von welchem Geschlecht."
Ob bei der künstlerischen Entscheidung für einen Stoff tatsächlich eine Frauenquote sinnvoll ist, wird an diesem Nachmittag zwar oft mit Fragen zur strukturellen Ungleichheit vermischt, steht letztlich aber auf einem anderen Blatt. An erster Stelle, so der Tenor, müssen die Theater jetzt zu ganz praktischen Dingen verpflichtet werden: Familienfreundlichkeit und gleiche Bezahlung.