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Berliner Theatertreffen
Niedergang der Debattenkultur

Vielfältige ästhetische Konzepte: Dadurch zeichnete sich das 55. Berliner Theatertreffen aus. Statt Debatten gab es Künstlerbeweihräucherung - von produktiver Streit- und Diskurskultur kaum eine Spur. Bis der Schauspieler Fabian Hinrichs den öden Konsens mit einer fulminanten Rede durchkreuzte.

Von Barbara Behrendt |
    Zu harmlos und zu wenig Kontroverse? Das 55. Berliner Theatertreffen fand vom 4. – 20. Mai 2018 statt
    Zu harmlos und zu wenig Kontroverse? Das 55. Berliner Theatertreffen fand vom 4. – 20. Mai 2018 statt (dpa / Florian Schuh )
    Das Theatertreffen zeigte diesmal eine größere Bandbreite an ästhetischen Sichtweisen als in den letzten Jahren: bildstarkes Überwältigungstheater bei Ulrich Rasches "Woyzeck", dramaturgisches Konzepttheater in Christopher Rüpings "Trommeln in der Nacht", spielerische Poesie in Antú Romero Nunes’ "Odyssee".
    Viele Inszenierungen polarisierten: Zuschauer verließen vorzeitig den Saal - andere gaben Standing Ovations. Was hätte es nicht alles zu besprechen gegeben! Kommt man Donald Trump bei, indem man ihn wie in Falk Richters "Am Königsweg" parodiert? Kritisieren die barbusigen schwarzen Frauen in Castorfs "Faust" kolonialistische Klischees - oder zementieren sie sie?
    Doch das Streiten hat das Theatertreffen verlernt. Am deutlichsten wird der fatale Niedergang der Debattenkultur bei den Publikumsgesprächen. Theater lebt von der direkten Reaktion der Zuschauer - aber beim Theatertreffen sind die Gespräche keine Einladung zum offenen Austausch, sondern Künstlerbeweihräucherung. Klar, dass sich kein Zuschauer kritisch zu Wort melden mag, wenn die Moderatorin des "Faust"-Nachgesprächs die Inszenierung schon vorab als "zweifelsfrei epochal" feiert und Castorf den Regiegott geben lässt.
    Ein leidenschaftlicher Wutausbruch des Schauspielers Fabian Hinrichs
    Es dauerte bis zum letzten Tag des Theatertreffens und brauchte einen so unabhängigen Geist wie Fabian Hinrichs, um den trügerischen Konsens mit einer fulminanten Befreiungsrede für den Schauspieler aufzustören. Als Juror des Kerr-Preises prangerte Hinrichs die eingeladenen Regiekonzepte an, die Spieler zu Handwerkern, zu Servicearbeitern, ja zu Soldaten mit preußischem Gehorsam machten:
    "Denn obwohl sich die Regisseure für die Übermittlung ihrer jeweiligen gut gemeinten Moralnachrichten eine teure abendliche Escort-Begleitung in Form von massivem Einsatz von Ton und Gewerken, von Technik, von Kopfhörern, Verstärkern, riesigen Rädern, Visuals, Pauken, Zaubertricks, vokalem Extremsport engagierten, verschwimmt in der Rückschau doch das Meiste zu einer seltsam gleichförmigen Masse, den gleich aussehenden Autos auf unseren Straßen ähnlich. Und wo war der Schauspieler hin? Gibt es ihn noch?"
    Ein leidenschaftlicher Wutausbruch gegen Betrieb, Regie, Kritik gleichermaßen. Eine fundamentale Abrechnung - auch mit dem Kuschelkurs des Festivals. Dessen Diskursprogramm wird von Jahr zu Jahr weiter aufgebläht - die Podien aber werden immer homogener besetzt, sodass nirgends Kritikgefahr besteht.
    Kunstzensur und Realitätsverweigerung
    Schon gar nicht in Richtung Veranstalter: Zum Thema "Kunst und freie Rede" hatte man einen Moderator bestellt, der zwar nicht zwischen Stück und Inszenierung unterscheiden konnte, aber offenbar dem Festspiel-Intendanten Thomas Oberender nachträglich Schützenhilfe geben wollte. Der hatte beim letzten Theatertreffen einem Schauspieler, der in der Bühnenadaption des Wenderomans "89/90" einen Neonazi spielt, verboten, das Wort "Neger" auszusprechen. Das war Kunstzensur und Realitätsverweigerung. Schon letztes Jahr hatte sich die damalige Moderatorin von der Festspielleitung überzeugen lassen, die Angelegenheit nicht im Publikumsgespräch zu thematisieren. Bei den Diskutierenden in diesem Jahr dann: nur Kopfnicken für Oberender.
    Das Theatertreffen verhindert so die Kontroverse über Kunst und Gesellschaft. "Unlearning": So nannte sich diesmal das Diskursprogramm. "Umlernen" sollte das heißen - übersetzen muss man es hier aber mit "Verlernen". Das Verlernen von angstfreier Debattenkultur.
    Auch Hinrichs kritisierte die Besetzung der Podien heftig:
    "Auf dem Theatertreffen vor zwei Jahren wird eine Podiumsdiskussion unter dem Titel abgehalten: 'Wovon wir sprechen, wenn wir vom Schauspielen sprechen'. Und es ist nicht ein einziger Schauspieler auf diesem Podium anzutreffen. Und niemand sagt etwas, niemand stößt sich daran. In diesem Jahr gab es eine Diskussion über Ästhetik im zeitgenössischen Theater. Und nicht ein einziger ... Punkt, Punkt, Punkt. Was ist da los?"
    Übrigens: Nicht nur die Besetzungs-, auch die Finanzpolitik des Theatertreffens ist intransparent. Wie teuer es nun tatsächlich war, Castorfs "Faust" nicht am Entstehungsort, an der Volksbühne, zu spielen, sondern, wie vom Regisseur verlangt, das 20 Tonnen schwere Bühnenbild im Festspielhaus einzubauen, dazu verweigern die Veranstalter die Auskunft. Auch die Vergleichskosten anderer Gastspiele werden geheim gehalten. Und niemand stößt sich daran.