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Berliner Theatertreffen
Orte des ernsthaften Nachdenkens

Das Theater ist ein Versammlungsraum, in dem in Ruhe über die Zukunft der Gesellschaft nachgedacht werden kann. Das ist nur eine Erkenntnis des Berliner Theatertreffens 2016. Eine weitere: Die Zeiten, als man Geflüchtete auf der Bühne ausstellte und aus ihrem Leben erzählen ließ, sind vorbei.

Von Barbara Behrendt |
    Rote Theaterstühle
    Das Berliner Theatertreffen fand zum 53. Mal statt. (picture-alliance / dpa-ZB / Patrick Pleul)
    Das war eine echte Überraschung: Ausgerechnet von den Politikern und den Wissenschaftlern, von den "Outsidern", kamen an diesem Diskussionsnachmittag des Theatertreffens die stärksten Respektbekundungen für das Theater.
    Zunächst hatte die Publizistin Carolin Emcke ein ziemlich düsteres Szenario unserer Gesellschaft entworfen – sie sprach von der Zersplitterung der Öffentlichkeit im Internet-Zeitalter, von den Partizipationsdefiziten unserer Demokratie – aber dann, mit ihrem Lob für das Theater als einen der letzten Orte ernsthafter politischer Diskussion fand sie volle Zustimmung:
    "Für mich sind die Orte, an denen im Moment tatsächlich am ernsthaftesten, auch in bestimmter Weise am geschütztesten nachgedacht wird, die Orte, an denen am leisesten und tatsächlich auch am selbstkritischsten nachgedacht werden kann, die Theater."
    Die nachfolgende Diskussion, an der unter anderem die SPD-Politikerin Gesine Schwan und Esra Küçük, die Initiatorin der Jungen Islam Konferenz, teilnahmen, war in puncto Streitlust, Niveau und Nachdenklichkeit dann tatsächlich eine schöne Bestätigung dieser These: Das Theater ist ein Versammlungsraum, in dem in Ruhe, ohne populistischen Druck, über die Zukunft der Gesellschaft nachgedacht werden kann.
    Gefahr des Insidertums
    Bleibt das Theater jedoch unter sich, das hatte die Diskussion zuvor gezeigt, so läuft es rasch Gefahr, in Insidertum zu verfallen. "Theater zwischen Kunst und Sozialarbeit", so lautete das Thema – und man musste als Zuhörer schon ziemlich viel Inszenierungswissen parat haben, um überhaupt begreifen zu können, wann die Theatermacher und die Theatertreffen-Juroren in dieser Runde den Einsatz von Flüchtlingen auf der Bühne für künstlerisch sinnvoll erachteten und wann für unangebracht. Trotzdem: Die unterschiedlichen Positionen wurden im Verlauf der Debatte deutlich.
    Der Regisseur Michael Thalheimer:
    "Sozialarbeit ist ein Beruf. Und mir kommt es mittlerweile so vor: Das Theater braucht den Flüchtling – der Flüchtling braucht nicht das Theater. Es ist mir zu einfach, einen Flüchtling auf die Bühne zu stellen und seine Elendsgeschichte mir anzuhören und danach soll ich applaudieren und ich weiß nicht, warum. Es ist ein Konsens. Es ist furchtbar, das weiß ich vorher. Die Frage ist, wie kann man das ändern?"
    Wenn der Flüchtling zum Kollegen wird
    Die Dramaturgin Stefanie Carp vom Hamburger Schauspielhaus hielt dagegen – in der Produktion "Schiff der Träume", die am Abend zuvor das Theatertreffen eröffnet hatte, stehen zwar keine Flüchtlinge auf der Bühne, dafür aber afrikanischstämmige Performer, die Flüchtlinge spielen:
    "Niemand behauptet, dass man bestimmte Inszenierungen macht, weil man glaubt, dass geflüchtete Menschen diesen Abend brauchen. Sondern wir machen ihn, weil wir ihn brauchen. Ich glaube aber, dass wir alle daran arbeiten und ein Bewusstsein dafür bekommen haben, dass wir einfach unsere Ensembles ändern müssen. Dass wir in einer ganz anders strukturierten Gesellschaft leben und dass unsere Ensembles die im Allgemeinen überhaupt nicht widerspiegeln."
    Ihre Forderung also: Mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Ensembles! Genau das praktiziert das Berliner Gorki-Theater seit 2013 – seitdem Shermin Langhoff und Jens Hillje das Haus leiten. Hillje:
    "Passiert es, dass die Theater die Flüchtlinge benutzen zur Selbstlegitimation? Oder gelingt es, ein Verhältnis in der Stadt aufzubauen, das sie eben auch ernst nimmt als nicht sozial problematisch? Das ist zumindest das, was wir versuchen, am Gorki herzustellen. Das heißt: Du bringst keine Geflüchteten auf die Bühne, nur, weil es Geflüchtete sind, sondern weil es interessante Künstlerinnen und Künstler sind. Den Flüchtling als Flüchtling auf die Bühne zu stellen ist das, was nicht mehr geht."
    Ein neuer Erkenntnis im aktuellen Theaterdiskurs
    Darin zumindest war man sich weitgehend einig: Das "Ausstellen" von Flüchtlingen auf der Bühne ist als ästhetische Strategie prekär, schlägt rasch in Zynismus um. Das ist offensichtlich der neue Erkenntnisstand im aktuellen Theaterdiskurs – beim letzten Theatertreffen klang das noch ganz anders.