"Wir stehen immer hinter Erdogan." "Wir sind immer für ihn da." - "Es ist traurig. Es war schlimm, als wir es gehört haben. Ich hab's nachts gehört. Ich konnte auch nicht schlafen gehen. - Voll viele Soldaten müssen darunter leiden, obwohl sie gar nichts davon wussten".
Vier junge Frauen, alle tragen Kopftücher, vor einer türkischen Fleischerei in Berlin-Kreuzberg. Sie wollen ihre Namen nicht nennen. Den versuchten Militärputsch haben sie im türkischen Fernsehen live verfolgt. Ihre größte Sorge war, dass dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan etwas zustoßen könnte, sagen sie. Sie waren aber beruhigt, als Menschenmassen Erdogans Aufruf im Fernsehen folgten und sich vor die Panzer stellten. Auch in Berlin sind seine Anhänger sofort auf die Straße gegangen.
"Mein Vater ist vor die Botschaft gegangen. Und die haben da geschrien für Erdogan. Und ich war auch da mit meiner Familie. Natürlich."
Todesstrafe für Befehlshaber?
Die vier jungen Frauen sind alle in Berlin geboren. Ihre Heimat sei die Türkei, sagen sie, und Erdogan ihr Präsident. Dass er jetzt die Todesstrafe für die Putschisten fordere, finden drei von ihnen richtig. Aber nicht die Soldaten sollten sie bekommen, sondern nur ihre Befehlshaber, die hinter dem Putschversuch stehen.
Zwei Männer, beide etwa Mitte 40, sitzen vor einem Imbiss. Sie fluchen, sobald sie das Wort Putschversuch hören. Die Ausdrücke sind aber dermaßen derb, dass sie nicht sendbar sind. Todesstrafe? Ja, natürlich, sagen sie:
"Ich bin für die Todesstrafe. Sie ist schon überfällig. Hätten wir die Todesstrafe nicht abgeschafft, wäre es gar nicht erst soweit gekommen. Sie muss wieder eingeführt werden. Die USA sind eine Supermacht und haben die Todesstrafe. Warum sollte es sie nicht in der Türkei geben?"
"Wir sind gegen jeden Umsturzversuch"
Sein Freund pflichtet ihm bei und möchte sich auch lieber auf Türkisch äußern. Für politische Gespräche sei sein Deutsch nicht ausreichend:
"Wir sind gegen jeden Umsturzversuch. Die Türkei ist ein Rechtsstaat. Es war gut, dass die Menschen sofort auf die Straße gegangen sind. Viele bezeichnen Erdogan als einen Diktator. Für einen Diktator würden nicht Millionen Menschen auf die Straße gehen. Sie haben den Staatspräsidenten in Schutz genommen."
Den versuchten Putsch lehnen Menschen aus allen politischen Lagern ab, egal ob sie Anhänger von Erdogan und seiner AKP sind, Sunniten oder Aleviten, linke Türken oder Kurden.
Frühere Umstürze halfen Demokratie nicht
Das Militär hat dreimal in der Geschichte der Türkei demokratisch gewählte Regierungen gestürzt und die Macht übernommen. Diese Umstürze warfen die Demokratie um Jahrzehnte zurück. Tausende Menschen wurden eingesperrt, gefoltert und hingerichtet. Erdogans Gegner stecken in einem Dilemma. Sie wollen sich nicht zwischen Erdogans Autokratie und dem Militär entscheiden müssen. Die säkulare, sozialdemokratische Ayse Köse-Küçük, Betreiberin eines Cafés, ist hin- und hergerissen:
"Am Anfang, wie ich in den Nachrichten mitbekommen habe, dass sich da etwas tut in Istanbul, hatte ich ganz klein wenig Hoffnung, muss ich ganz ehrlich sagen, und hätte nie gedacht, dass ein Putsch in mir eine Hoffnung erwecken würde. Weil ich gesehen habe, auf dem demokratischen Weg ist es in der Türkei nicht möglich, Erdogan und seine Partei von der Macht runterzubringen."
Erdogan-Gegner vermuten inszenierten Putsch
Wie viele Erdogan-Gegner vermutet auch Ayse Köse-Küçük eine Inszenierung hinter dem Putschversuch, der dazu dienen sollte, Erdogans Macht zu stärken und ihm dadurch den Weg zu seinem erwünschten Präsidialsystem zu ebnen:
"Ich habe einfach Angst, einfach total große Angst und gar keine Hoffnung mehr für die Türkei. Angst darum, dass immer mehr Blut vergossen wird, immer mehr Menschen, die sich für Demokratie einsetzen, verletzt und getötet werden, immer mehr Blut vergossen wird. Und für einen demokratischen Weg habe ich überhaupt keine Hoffnung mehr".
Ein Kurde, der seit einem Jahr in Berlin lebt, sagt, die Militärputsche hätten in der Türkei noch nie zur Demokratisierung beigetragen. Auch gegen die autokratische Regierung von Erdogan sei ein solcher Umsturz keine Lösung:
"Natürlich wäre es gut, wenn wir eine Demokratie und eine andere Verfassung hätten. Aber das sollte nicht durch einen Putsch erreicht werden. Niemand sollte einen Putsch gut heißen, aber diese Regierung muss abgelöst werden. Wer auch immer dann an die Macht kommt, muss dafür sorgen, dass wir endlich Frieden im Land haben, und dass niemand mehr sterben muss."