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Berliner Verfassungsschutzbericht
Zahl der "Reichsbürger" deutlich gestiegen

Der Berliner Verfassungsschutz verzeichnet in der Hauptstadt einen Zuwachs an Extremisten. Vor allem die Zahl der sogenannten Reichsbürger ist demnach deutlich gestiegen, um 25 Prozent auf 500. Ein Fünftel von ihnen gilt laut Verfassungsschutzbericht als rechtsextrem.

Von Sebastian Engelbrecht |
    Das Symbolbild zeigt Reichsbürger-Pässe mit der Aufschrift "Deutsches Reich".
    "Reichsbürger"-Pässe - Verfassungsschutz in Berlin vermeldet Zuwachs (imago / Christian Ohde)
    Die "Reichsbürger" lehnen den Staat Bundesrepublik grundsätzlich ab und glauben an die Fortexistenz des Deutschen Reiches. Sie weigern sich, die geltenden Gesetze anzuerkennen. Sie breiten sich nicht nur auf dem Land aus, wo sie ihre Grundstücke zu autonomen Territorien erklären. Auch in Berlin wächst die Szene der "Reichsbürger" - in der Hauptstadt, wo das demokratische System lebendiger erscheint als in manchem ländlichen Gebiet.
    Und so sind die Zahlen des Berliner Verfassungsschutzberichts für 2017 schon wieder überholt. Die Berliner Innenverwaltung zählte Ende März dieses Jahres schon 550 sogenannte "Reichsbürger" in Berlin. Das geht aus der Antwort auf eine Anfrage der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hervor. Noch wesentlich höher schätzt Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, die Szene.
    "Ich glaube, dass die tatsächliche Zahl der Reichsbürger noch deutlich über den 500 liegen dürfte in Berlin. Wir kratzen so langsam den Eisberg ab, weil wir erst vor zwei Jahren begonnen haben, die Reichsbürgerszene systematisch zu beobachten."
    Reichsbürger: "Waffenaffin, unberechenbar"
    Erst seit den tödlichen Schüssen eines Reichsbürgers auf einen Polizisten vom Oktober 2016 im mittelfränkischen Georgensgmünd beobachten die Sicherheitsbehörden die Reichsbürgerszene genauer. Bernd Palenda, der scheidende Chef des Berliner Verfassungsschutzes, erklärt in einem Internet-Video seiner Behörde:
    "Die Reichsbürger haben in den letzten Monaten, aber auch in den letzten Jahren einen nicht unerheblichen Zulauf erhalten. Und die Unberechenbarkeit der Reichsbürger macht sie so gefährlich. Hinzu tritt die hohe Waffenaffinität und gegebenenfalls auch die potenzielle Bereitschaft, mit Gewalt gegen andere Menschen vorzugehen."
    Hoher Zulauf vor allem in Berlin
    In Berlin nennen sich die Reichsbürger-Gruppierungen "Freistaat Preußen", "Exilregierung Deutsches Reich", "Amt für Menschenrecht" oder "Geeinte deutsche Völker und Stämme". Ein Fünftel von ihnen gilt laut Verfassungsschutzbericht als rechtsextrem.
    "Berlin eignet sich hervorragend für Demonstrationen und Aktionen von Reichsbürgern und Selbstverwaltern, weil man hier große Aufmerksamkeit erreichen kann und auf der anderen Seite aber auch die symbolträchtigen Bauten der Bundesrepublik wie zum Beispiel den Reichstag nutzen kann, um Bilder zu gewinnen und Stimmung zu machen."
    Lux: "Szene noch stärker in den Blick nehmen"
    Ein Reichsbürger hält fast täglich eine "Mahnwache für Heimat und Weltfrieden" vor dem Bundestag ab. Die Organisation, die sich "Geeinte deutsche Völker und Stämme" nennt, kündigte Ende 2017 mehreren Berliner Bezirksbürgermeistern an, sie werde ihre Amtsgeschäfte übernehmen. Sie "ordnete" in ihren Schreiben "an", die amtlichen Flaggen, Siegel und Wappen zu übersenden - was die Berliner Polizei aber verhinderte. Benedikt Lux von den Grünen im Abgeordnetenhaus fordert mehr Aufmerksamkeit der Behörden:
    "Ich denke schon, dass die Behörden die Reichsbürgerszene noch stärker in den Blick nehmen müssen. Die Behörden begreifen diese Aufgabe auch langsam mehr. Die Reichsbürger selber vernetzen sich auch stärker. Es gibt die ersten Zusammenschlüsse, die sich 'Freistaat Preußen', 'Amt für Menschenrechte' oder auch nur 'Staatenlos' nennen - und die dann über diese Zusammengehörigkeit, über diese Verbände auch Aktivitäten entfalten."
    Die Zahlen über den Zuwachs der "Reichsbürger" in Berlin, über das Wachstum salafistischer und linksextremer Gruppierungen wird der Berliner Innensenator Andreas Geisel am 5. September im zuständigen Ausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses vorstellen.