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Berliner Volksbühne zeigt "der die mann"
Ein dadaistisches Wortnonsensklanggewitter

Im Normalfall bietet Theater dem Zuschauer eine Lupe, Herbert Fritsch reicht denen, die sich seine Version von "der die mann" anschauen, allenfalls ein umgedrehtes Fernglas. Dennoch eine kongeniale Veroperung von Konrad Bayers Sprachwelten. Eine sehr kunstvolle, sehr ansehnliche Satire - mit kleinen Längen.

Von Eberhard Spreng | 19.02.2015
    Ein riesiger gelber Grammophontrichter und ein knallrotes Treppenpodest kreiseln einsam auf der blau schimmernden Drehbühne. Plötzlich, wie von Magie dahingezaubert, sitzen einige hochglanzlackierte Figuren bewegungslos auf den Treppenstufen, und erst eine Drehung später kommt Leben in das mit glänzenden Gummianzügen bekleidete Ensemble. Aber, wie bei Herbert Fritsch zu Erwarten, ist das ein ziemlich ungeschicktes, purzelndes verstolpertes, oder in Slapstickposen verzerrtes Leben.
    Zu den pulsenden, pumpenden, glucksenden und gurgelnden Pling-Plong-Klängen der vier Musiker gruppieren sie sich hinter dem Trichter, rufen die ersten Laute der dadaistischen Wortkaskaden des Wiener Dichters Konrad Bayer und erobern die Vorderbühne mit ihren drei poppigen Mikrofonständern. Lustig glänzen ihre bunten Latexanzüge und Latexkrawatten und ihre glatt geschminkten Gesichter; noch ist die Aufführung ganz im Bildermodus und dies verleiht der menschlichen Kreatur etwas zutiefst artifizielles, von außen gesteuertes. Einmal liegen sie in Verkrümmungen auf dem spiegelnden Bühnenboden und ein hübscher Beleuchtungseffekt lässt sie auf der weißen Bühnenrückwand als eine Gruppe von bizarren Insekten erscheinen, die in einem Spinnenetz gefangen sind.
    Während die Bühne des Theaters in der Regel für den Zuschauer wie eine Lupe funktioniert – Hamlet überlebensgroß, Antigone ein Ideal, Faust ein Problemkontinent – funktioniert sie bei Herbert Fritsch wie ein umgedrehtes Fernglas: Der Mensch ganz klein, die Menschlein zappeln ängstlich um ihr Leben und wissen nicht, wie ihnen geschieht.
    "schritte oder stimmen oder geräusche oder schnell oder rufe oder augen zu oder weiter oder da oder jetzt oder hopp oder auf dem Bauch oder mit den Händen oder mit dem ganzen Körper ..."
    In Konrad Bayers Literatur hat die Sprache ihre Funktion als Verständigungsmittel aufgegeben. Kommunikation gibt es hier nicht, allenfalls puren Sound, es sind Wortketten, Sprachcluster, Schriftbildexperimente, die sieben Akteure und vier Musiker hier in wechselnden Choreografien in weitgehend suggestive Klangwolken umsetzen. In solistischen Passagen treten aus dem Gruppenbild je individuelle Bewegungsticks hervor, immer wieder aber greift Herbert Fritsch auch auf einen seiner Lieblingssketsche zurück: das plötzliche Erschrecken beim Anblick eines Anderen, das ängstliche Zurückzucken vor der Verständigung mit dem Nächsten. "ein und ein und ein und" ... , der unbestimmte Artikel und die Konjunktion wiederholen sich manisch in 29 Zeilen, eine Auflösung, ein Ziel ist nicht in Sicht, das Subjekt findet kein Objekt. Was alles passieren kann, wenn die etwas verklemmten Menschen der Nachkriegsjahrzehnte einander dann doch mal begrüßen, schildert Bayers vielleicht berühmteste Passage "Goldenberg kam zur Tür herein" aus dem unvollendeten Roman "Der sechste Sinn":
    "fridolin koch gab gustav treiber die Hand. gustav treiber gab herrn dieter honisch die hand. herr dieter honisch gab nun wieder doris ottlitz die hand. erbost schmiss doris ottlitz die hand auf den Boden. goldenberg wurde dringend aufgefordert, den Empfang sofort zu verlassen."
    Mittlerweile tragen alle Schauspieler die gleichen engen grauen Anzüge und die gleiche Pilzkopffrisur. Die Beatles winken von Weitem. Man kämpft wacker mit widerspenstigen Mikrofonständern und jemand entschwebt an einem Seil hängend dem Bühnenboden, schwingt im hohen Bogen hin und her wie angestoßen von zwei Mitspielen, was unter anderem eine ungeheuer liebevoll geprobte Zusammenarbeit mit den Bühnentechnikern in der Kulisse voraussetzt. Aber allmählich versinkt die ungemein ideenreiche Comedy-Inszenierung dann doch im irgendwie etwas altmodisch anmutenden Wortnonsensklanggewitter. Was im konservativen Nachkriegsösterreich Avantgarde war, eine wohl notwendige Sinnaustreibungsaktion nach Jahren einer pathetischen Bedeutungsdiktatur, wirkt heute stellenweise merkwürdig gealtert.
    Fritschs "der die mann" ist ein Theater, das sich ganz dem Plot, der Story, der Dramatik und dem Inhalt verschießt. Es treibt mit der hohlen Form und den leeren ästhetischen Gefäßen seinen sportlichen Spaß und ist damit, unterstützt durch Ingo Günthers kleines Orchester stellenweise eine kongeniale Veroperung von Konrad Bayers Sprachwelten. Eine sehr kunstvolle, sehr ansehnliche Satire mit kleinen Längen. Am Ende hocken wieder alle beieinander auf dem roten Treppenpodest auf der Drehbühne und wenn die ihre Rückfront dem Zuschauerraum zuwendet, verschwindet, wie im Zaubertrick, die Menschheit wieder von der Bühne.