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Berlinführer zur Kunst im öffentlichen Raum
Auch dem Gärtner gebührt ein Marmordenkmal

"Marmor für alle", das ist der leicht ironische Titel eines Buchs, das sich Berlins Kunst im öffentlichen Raum widmet - und den Debatten, die viele von ihnen einst weit über die Hauptstadt hinaus auslösten. Aus Auswahl der Werke wirkt unausgewogen - doch Herausgeber Jörg Johnen nennt seine Gründe.

Von Carsten Probst |
    Das Fries von Walter Womacka am Haus des Lehrers am Alexanderplatz, Berlin
    Gehört längst zum Bildgedächtnis Deutschlands: das Fries von Walter Womacka am Haus des Lehrers am Alexanderplatz (imago / Joko)
    "Ich glaub', es gibt keine Stadt, die so ein Riesenangebot an extrem konträren öffentlichen Skulpturen zu bieten hat, wie Berlin", so beschreibt Jörg Johnen, Kunsthistoriker und langjähriger Galerist, seine Faszination vom zerklüfteten Bild der Hauptstadt, in das sich die jüngere Kunst- und Architekturgeschichte so nachdrücklich eingeschrieben hat wie an kaum einem anderen Ort der Welt.
    "Es gab 'nen großen Nachholbedarf hier generell in der Stadt, weil ja so viel zerstört war und da hat sich zwangsläufig dann extrem Verschiedenes angesammelt. Was die Sache dann auch reizvoll macht natürlich, weil man so viele unterschiedliche Positionen begutachten kann."
    "Banale Propaganda - unfassbar hässlich"
    Die schiere Menge dessen, was sich auf Straßen, Plätzen, in Parks und an großen Gebäuden künstlerisch verewigt hat, macht eine Vorauswahl nötig, und die fällt bei Johnen eindeutig aus: Von den insgesamt 92 Standorten in seinem Stadtführer befindet sich der weitaus größte Teil im Westteil der Stadt oder in der Neuen Mitte, rund um das Regierungsviertel und den Hauptbahnhof. Nur wenige Skulpturen finden sich im Ostteil, der einstigen Hauptstadt der DDR.
    "Ich finde, das meiste, was damals offiziell von der DDR in den öffentlichen Raum gestellt war, ist wahnsinnig banale Propaganda, Werbung gewesen. Also künstlerisch relativ uninteressant. Das meiste ist auch unfassbar hässlich. Und dann gibt's natürlich auch wieder so jede Menge von so kitschigen Kleinplastiken wie so bücherlesenden Mädchen oder irgendwelche Tiere. Da wurde einfach so was ideologisch erzwungen, was mit der Realität nichts zu tun hatte. Und diese Unfreiheit schlägt sich natürlich auch in den Kunstwerken nieder in dieser gewissen Starre und Sterilität."
    Ein höchst lebendiges Panorama
    So klare Worte sind zwar politisch nicht ganz korrekt in einer Stadt, die immer noch um ihre Einheit kämpft und die vor wenigen Jahren die ehemalige Stalinallee zum Weltkulturerbe erklären lassen wollte. Aber Johnens Expertenblick hilft gerade jenen, die nicht in der Hauptstadt wohnen, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Über die historisch-kritischen Einordnungen, Fotografien und die beigefügten Stadtpläne mit den eingezeichneten Standorten öffnet sich ein höchst lebendiges Panorama.
    Manches ist in der Realität des Stadtlebens nur schwer auf den ersten Blick zu entdecken: Wie die kongeniale, zu zwei abstrakten Flügelschwingen gefaltete Blechskulptur von Hans Uhlmann auf dem Dach der Berliner Philharmonie, oder die Intervention der Brasilianerin Renata Lucas, die vor den KunstWerken in der Auguststraße den Gehweg um 7,5 Grad verschoben hat. Anderes, wie das Fries von Walter Womacka am Haus des Lehrers am Alexanderplatz, die verschlungenen Röhren auf der Tauentzienstraße vor der Gedächtniskirche oder das Holocaustmahnmal am Brandenburger Tor gehören längst zum Bildgedächtnis des ganzen Landes.
    Ein Kunstwerk zerstreut sich
    Johnen und seine Co-Autoren widmen sich allen Werken unabhängig von ihrer Bekanntheit mit der gleichen kritischen Aufmerksamkeit, die wohltuend ist, auch wenn man im Einzelnen nicht bei jedem Urteil mitgeht. Johnen selbst hat übrigens eine Intervention der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist zu seiner Favoritin auserkoren, eine Maschine, die am Eingang der Schweizerischen Botschaft in Berlin regelmäßig ein einzelnes Blatt von verschiedenen Bäumen auf den Gehweg bläst.
    "Es entspricht, finde ich, sehr stark der ganzen Dynamik unserer Zeit, der Offenheit unserer Zeit, dass man so'n Blatt einfach auflesen kann und mitnehmen kann. Also diese Skulptur zerstreut sich sozusagen. Und das finde ich 'nen interessanten Aspekt, dass ein öffentliches Kunstwerk sich so auflösen kann, so verstreuen kann und eben nicht auf einen Platz oder einen Ort hin fixiert ist."
    Das alte Preußen bleibt draußen
    Jörg Johnen würde sich mehr von solchen elegant-temporären Skulpturen in der Hauptstadt wünschen. "Marmor für alle" lautet nicht umsonst der ironische Titel seines Stadtführers - nach einem Werk des bosnischen Künstlers Braco Dimitrijević im Schlosspark Charlottenburg, einem Obelisken aus Carrara-Marmor, dem Material der Herrschaftskunst vergangener Zeiten - das Dimitrijević jedoch 1972 dem Geburtstag eines Gartenarbeiters gewidmet hat.
    So kann es auch nicht verwundern, dass sich Johnens Band auf die Kunst seit Ende des Zweiten Weltkriegs konzentriert - und den altpreußischen Stadtschmuck Berlins außen vor lässt.