Das Ahornblatt ist mittlerweile über Berlin hinaus bekannt, als Fanal. Die einstige Großgaststätte an der Berliner Fischerinsel, unweit der heutigen Schlossbaustelle, war eine weithin sichtbare Landmarke der experimentellen DDR-Moderne. Erbaut nach Entwürfen von Gerhard Lehmann und Rüdiger Plaethe in den frühen 70er-Jahren, wurde das Ahornblatt trotz anhaltender Proteste im Jahr 2000 abgerissen.
Berühmt war es vor allem für seine fünfblättrige Dachkonstruktion von Ulrich Müther aus extrem dünnen Betonschalen. An seiner Stelle hat eine Hotelkette inzwischen ein Hostel für Budgetreisende erbaut. Allen Verächtern der 60er-Jahre dürften angesichts dieser und anderer Geschichten aus Berlin durchaus Zweifel kommen, ob der von ihnen so vielfach geforderte Generalabriss der Architektur dieser Zeit tatsächlich immer Besseres hervorbringt.
Die Berlinische Galerie tritt mit dieser Ausstellung zu einer großen architektonischen Ehrenrettung der 60er- und frühen 70er-Jahre in Berlin an. Ihr Standort liegt schließlich selbst nicht weit des einstigen Ahornblatts, und ihre Umgebung besteht zu gefühlten zwei Dritteln aus Architektur des Brutalismus. Nicht von ungefähr grüßen den Besucher also gleich am Beginn der Ausstellung so manche Ikonen dieser Zeit, von denen nicht wenige mittlerweile aus dem Stadtbild verschwunden sind. Neben dem Modell des Ahornblatts auch eines des einstigen DDR-Außenministeriums. Eine Nachbildung einer Hertie-Kaufhausfassade. Fotografien aus den Innenräumen der Philharmonie, die zwar noch steht, aber zeitlebens auch unversöhnliche Gegner hatte.
Alle diese Arbeiten im ersten Saal der Ausstellung sind aber keine Architekturmodelle oder Aufnahmen von Architekturhistorikern. Sie stammen von Künstlern wie Friederike von Rauch, Bernd Trasberger, Beate Gütschow oder Karsten Konrad und sollen dem Betrachter demonstrieren, dass es durchaus Menschen gibt, die diese Architektur wertschätzen, sie als interessant und durchaus aktuell verstehen.
Restbestände einer allumfassenden Idee
Wer etwa einen Streifzug durch die zahllosen Berliner Galerien-Standorte unternimmt, wird schnell feststellen, dass sich ein größerer Anteil von ihnen in Bauten der Nachkriegszeit angesiedelt hat.
Gleichwohl sind die im Berliner Stadtbild erhaltenen Bauten auch nur Restbestände einer einst viel umfassenderen Idee. Die Insellage Westberlins, die Abkehr von der Nazi-Architektur, Wirtschaftswunder und Fortschrittsglaube hüben wie drüben trieben aus heutiger Sicht durchaus skurrile Blüten, die, wenn sie realisiert worden wären, aus vermutlich eine Art Groß-Wolfsburg hätten werden lassen: Mit Schwebebahn über dem Kurfürstendamm, Bürgersteigen als Laufbändern, wie man sie heute von Flughäfen kennt, Stadtautobahnen kreuz und quer oder riesige Hügelhäuser von Joseph Kaiser als sozialistisches Erholungsparadies mit Swimmingpool im Innenhof.
Aber auch das Realisierte und noch erhaltene steht als Pars pro Toto für eine ganz andere als die historisch gewachsene Stadt: Der eigentümliche sogenannte Bierpinsel in Steglitz, eine einstmals rot angestrichener Stahl- und Betonpilzkonstruktion, in dem ein Restaurant angesiedelt war, von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte, Mitte der 70er-Jahre – oder, nicht zu vergessen: Hermann Henselmanns "Turm der Signale", heute besser bekannt unter dem Namen Fernsehturm am Alex.
Oder der Flughafen Tegel, den Meinhard von Gerkhan nach wie vor als seinen persönlichen Durchbruch bezeichnet und der seltsamerweise auch bei manchen Verächtern dieser Epoche irgendwie sentimentale Gefühle auslöst, weil man ja doch davon ausgehen muss, dass der neue Berliner Flughafen eines Tages tatsächlich eröffnet wird und Tegel dann schließt.
Quelle der Erinnerung
Wenn es die Absicht der Ausstellung war, durch viele kleine Geschichten und Erläuterungen zu zeigen, wie sehr das heutige Berlin von dieser Epoche geprägt ist, so sehr nämlich, dass man sie nicht einfach ausradieren kann, sondern im Gegenteil sie würdigen sollte als Quelle der Erinnerung, dann gelingt ihr das. Vermutlich allerdings auch nur bei jenen, die ihr ohnehin mit Sympathie begegnen.