Die Zwölf-Apostel-Kirche in Berlin-Schöneberg: Der Pianist Stephan von Bothmer begleitet Murnaus Stummfilm "Der letzte Mann". Es ist die Geschichte eines alten Hotel-Chefportiers, der zum Toilettenmann degradiert wird. Dazu heißt es im Vorspann: "Heute bist Du der Erste, ein Minister, ein General, vielleicht sogar ein Fürst – Weißt Du, was Du morgen bist?" Die Kirche will nachdenkliche und zugleich unterhaltsame Wege beschreiten, mit der Vergänglichkeit umzugehen. Auch auf ihrem nebenan liegenden Friedhof, dem Alten St. Matthäus Kirchhof. Dieser ist hügelähnlich angelegt, rund 160 Jahre alt und etwa so groß wie zwei Fußballfelder. Dort arbeitet die Kirchengemeinde mit dem Verein "Efeu e.V." seit rund zehn Jahren an einer neuen Friedhofskultur, wie Ludger Wekenborg vom Efeu-Vorstand erläutert.
"Kultur ist ja, wenn wir zum Beispiel Führungen machen, um die Geschichte zu erklären, gleichzeitig aber auch heutige und damalige Begräbniskultur erklären. Ansonsten machen wir Veranstaltungen mit Konzerten in der Kapelle. Oder Lesungen, alles, was mit dem Thema Tod und Trauer zu tun hat. Und wir beraten Menschen hier, die hier Patenschaften und historische Gräber suchen."
Finovo - Deutschlands erstes Friedhofscafé
Die Grabpatenschaften wurden eingeführt, weil, wie die Kirchhofsverwalterin Margret Burhoff betont, der denkmalgepflegte Friedhof die finanziellen Aufwendungen nicht allein tragen kann.
"Und da macht es Sinn, um diese Grabstätten, vor allem auch die Mausoleen und die Wandgräber zu erhalten, dass wir uns Paten suchen, die dann mit dem Thema der Restaurierung vorwärts gehen und auch später das Nutzungsrecht wieder nehmen. Damit dieser Friedhof lebendig bleibt - mitten in der Stadt."
Wobei es Vorgaben für die Restaurierung der Grabmäler gibt: es gilt den ursprünglichen Charakter zu erhalten. Eine solche Grabpatenschaft übernahm vor zehn Jahren der Schauspieler und Schwulenaktivist Bernd Boßmann. Als er dann zur Grabpflege auf den Friedhof kam, fiel ihm das leer stehende Verwaltungshaus am Eingang auf, und er eröffnete dort 2006 ein Café. Finovo, so der Name, ist Deutschlands erstes Friedhofscafé.
"Es ist von Anfang an ausschließlich positiv angenommen worden. Das Schöne ist, dass es wirkt, als wäre es schon immer hier gewesen. Das war auch eine Aussage, die zwei ältere Damen machten, die hierher kamen und sagten: 'Guck mal, da drin ist noch ein ganz altes Café versteckt. Da gehen wir jetzt rein!' Ein anderes Mal stand eine Frau vor dem Café und sagte: 'Niemals würde ich in ein Café auf einem Friedhof gehen!' Kurze Zeit später war sie Stammgast."
Doch im Finovo geht es nicht nur um Kaffee. Es gibt eine Handwerksgruppe, Diskussionsrunden, Lesungen und Ausstellungen. Und es gibt das "Café Tod", ein Treffen von Menschen, die gerade einen Angehörigen verloren haben oder selbst eine Nahtod-Erfahrung hatten und darüber reden möchten.
"Leider ist dieses Thema sehr mit Tabus besetzt. Bei den meisten reicht es schon, wenn sie einmal ganz frei am Stück ihre Situation schildern. Das, was ihnen widerfahren ist, und wie sie es empfinden. Danach fühlen sich die meisten frei. Dann wissen sie, es gibt andere Menschen, die das auch erlebt haben, die auch darüber reden, ihre Emotionen ausdrücken und nicht permanent geblockt werden.Sonst kommt von außen immer nur: 'Nun reicht es aber! Höre mal auf damit! Das Leben muss weiter gehen'."
Damit das Leben weiter geht, bemühen sich alle Verantwortlichen um ein würdiges Ende. Und Ludger Wekenborg beschreibt, wie sich in den letzten Jahren die Begräbniskultur verändert hat.
"Die Bestattungen selber, die Feiern in der Kapelle, sind manchmal lebendiger. Auch die Dekoration passt oft zu dem Verstorbenen. Da hatte dann ein Motorradfahrer die Urne in dem Motorradhelm stehen, und der ganze Helm wurde mitgetragen. Ein Gastwirt hatte dann die Blumen in einer kleinen Bierflasche stehen. Es werden Videofilme gezeigt; es werden Diashows gezeigt, Musik wird gespielt. Natürlich ist eine Beerdigung noch eine traurige Angelegenheit nach wie vor, aber der Umgang ist, glaube ich, schon nachdenklicher und intensiver geworden. Vielleicht aber auch ein bisschen lebensnaher ..."
... und künstlerischer. Hinter der Kapelle steht in den Sommermonaten eine Klanginstallation. Dort kann man per Knopfdruck Künstler hören, die hier begraben sind und über ihre Lebensideen sprechen. Zum Beispiel die Schriftstellerin Helga Goetze, der Fotograf Jürgen Baldiga oder der Filmemacher Manfred Salzgeber. Im nächsten Jahr soll die Klanginstallation erweitert werden. Dann will sich der Kirchhof den verstorbenen Musikern des Friedhofs widmen, zum Beispiel dem Sänger Rio Reiser, der mit "Ton, Steine, Scherben" zu den wichtigsten deutschen Bands der 70er-Jahre zählte.