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Berlins neues Charity-Projekt
Einen Kaffee und eine Kiezmarke, bitte!

Beim Döner-Kauf gleich noch etwas Gutes tun: Man kauft einfach noch einen zweiten in Form einer Wertmarke dazu und verschenkt diese Wertmarke dann an eine bedürftige Person. Das geht in Berlin mit der sogenannten Kiezmarke. Ausgedacht von einer Werbeagentur, beworben von deutschen Popstars. Geht der Plan auf?

Gesine Kühne im Gespräch mit Adalbert Siniawski |
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    Spendenkarte von "Dein Kiez hat dich lieb" in Berlin (Gesine Kühne / DLF)
    Adalbert Siniawski: Die deutsche Hauptstadt und ihre Obdachlosen machen Schlagzahlen. Es gibt keine offiziellen Zahlen, wie viele Menschen in Berlin auf der Straße leben. Aber es wird von 10.000 ausgegangen. Und auch in anderen Städten geht man täglich an ihnen vorbei: an ihren Nachtlagern unter der S-Bahnbrücke, im U-Bahnhof, neben dem Bäcker.
    In einem Video, das vergangene Woche durch die Social-Media-Kanäle ging, rufen junge Popkultur-Prominente wie Joko Winterscheidt, Jennifer Weist oder auch Visa Vie zur Nächstenliebe auf.
    Ausschnitt Video:
    Joko Winterscheidt: "Es geht ausnahmsweise auch nicht um mich, sondern um diese Kiezmarke."
    Visa Vie: "Zwei Döner, einmal mit alles, extrascharf und einmal als Kiezmarke."
    Jennifer Weist: "Kosten genauso viel, macht gleich satt und du tust noch wat Jutes"
    Visa Vie: "Denn mit der Kiezmarke kann man so einen hier (Döner) jemanden schenken, der Hunger hat und der kann sie bei Mustafas wieder eintauschen."
    Kiezmarke als Versuch zu integrieren
    Siniawski:Die Kiezmarke ist eine Wertmarke zum Verschenken. Unsere Reporterin Gesine Kühne hat das System Kiezmarke ausprobiert. Wie funktioniert es genau?
    Gesine Kühne: Die Kiezmarke gibt es in Berlin momentan bei fünf Anbietern, beim Textilriesen C&A – da ist es auch keine Marke, sondern eine Geschenkekarte, bei der man den Wert selbst bestimmen kann. Ich habe zum Beispiel 10 Euro genommen. Ansonsten ist es wirklich so ein kleiner Silberling, den man im Berliner Friseur Ebony & Ivory bekommt – Wert ein Haarschnitt. Bei Mustafas Gemüsedöner kauft die Marke einen Döner, bei Schiller-Burger Pommes und Burger und bei Dean & David gibt es das.
    Michael Holzleiter: "Bei uns kannst du die Kiezmarke erwerben für 3,65 Euro. Und wenn dann der Bedürftige zu uns kommt, der kann sich aus unseren Sandwiches ein Sandwich aussuchen. Egal, ob es dann mit Fleisch oder ohne Fleisch oder vegan ist. Und ist dann begrenzt auf die Sandwiches."
    Michael Holzleiter, Operations Manager von Dean & David, hat mit erklärt, dass sie ein Essen festlegen mussten, weil auf der Silbermünze ja kein Wert gespeichert werden kann. Ich dachte nämlich erst, ich kaufe eine Suppe zum Beispiel und verschenke die in Form der Kiezmarke.
    Siniawski:Ist das eine Schwachstelle der Aktion?
    Kühne: Da sehe ich nicht das Problem. Essen bei Hunger ist Essen. Die Aktion hat auch keine Schwachstellen, in der Ausübung gibt es nur kleine Schwierigkeiten. Ich denke, dass es für manche Bedürftige schwer wird, die Marke einzulösen, wenn sie zum Beispiel einen gewissen Weg zurücklegen müssen. Zum Beispiel, als ich meine Kiezmarken einer jungen Straßenzeitungsverkäuferin geschenkt habe, direkt am S-Bahnhof Hackescher Markt, nur 200 Meter von dem Sandwichladen entfernt, wollte sie, dass ich mitkomme, weil sie so schlecht Deutsch verstanden hat, meine Wegbeschreibung also auch nicht.
    Kiezmarke als Ausdruck eines Lief-Style
    Siniawski: Die Aktion ist in den Social-Media-Kanälen quasi viral gegangen. Wer steckt denn dahinter?
    Kühne: Die Organisation heißt "One Warm Winter". Eine Idee, die unter Freunden entstanden ist, einige davon arbeiten für die Werbeagentur Dojo. Gut, weil die einfach wissen, wie sie Aktionen platzieren können, damit ganz viele Menschen es mitbekommen. Vor ein paar Jahren haben die schon Szenegrößen mit Pullovern mit der Aufschrift "Home Street Home" abgelichtet, um auf Obdachlose aufmerksam zu machen. Die wurden auch über das Agentur angeschlossene Label verkauft. Das lief auch richtig gut, weil Streetwear ist ein guter Weg, um für den guten Zweck zu werben. Über diesen Lifestyle/Style-Aspekt funktioniert auch die Kiezmarke. Aber warum es gerade eine Wertmarke sein muss, das hat mir Daniel Uppenbrock von One Warm Winter erklärt:
    "Kiezmarke ist ein Produkt aus der langjährigen Zusammenarbeit, weil wir gemerkt haben, dass es ein integratives Problem gibt bei Wohnungs- oder Obdachlosen. Denn es gibt sehr viele Angebote wie Notunterkünfte oder Wärmestuben, wo Essen ausgeschenkt wird oder Kleidung, aber man ist halt immer unter sich. Und da findet auf Dauer eine soziale Isolation statt und man nimmt am normalen Leben nicht mehr so richtig teil. Deshalb haben wir nach einer Möglichkeit gesucht, um das auch wieder möglich zu machen, um Berührungspunkte zu schaffen."
    Kommunikation untereinander ist das Zauberwort. Und das funktioniert, denn selbst als ich meine Marke bei der ersten Frau nicht loswurde, ich hab mich mit ihr unterhalten, gefragt, wie es ihr geht. Das war auch für mich eine Riesenüberwindung. Aber sie wurde wahrgenommen und als Mensch mit Bedürfnissen ernst genommen.
    Daniel Uppenbrock sagte außerdem, es gibt Vorurteile gegenüber Geldspenden, was machen die Bedürftigen damit, kaufen sie wirklich Essen oder sind es doch Drogen zum Beispiel. Außerdem will die Organisation auch die Unternehmen in die Pflicht nehmen.
    Soziale Verantwortung anschieben
    Siniawski: Aber ist es nicht ein klassisches Muster, dass Popstars rechtzeitig vor Weihnachten auf einmal ihr Herz entdecken - erst dann?
    Kühne: Das ist natürlich genauso getimt, weil wir Konsumenten am Ende genauso funktionieren. Das geht Hand in Hand. Weihnachtszeit und Nächstenliebe, da haben wir auf einmal den Euro locker sitzen. Die Prominenten sind aber auch noch wichtig, weil die junge Zielgruppe gefragt ist, auch Verantwortung zu übernehmen. Die erreicht man am besten mit Instagram und mit Stars wie Jennifer Weist, Joko oder Hip-Hop-Sprachrohr Visa Vie. Die Künstler, Popstars haben da alle freiwillig mitgemacht. Das ist zum einen auch gute Werbung für die, da machen wir uns mal nichts vor. Zum anderen, weil die eben so eine Reichweite haben, finde ich, ist es auch deren soziale Verantwortung solche Aktionen anzuschieben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.