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Berlusconi entzweit Sozialdemokraten

Im Februar gewannen die Sozialdemokraten in Italien die Wahl. Seitdem sind alle Versuche gescheitert, eine Regierung zu bilden. Deshalb will die Partei jetzt mit dem Erzfeind Silvio Berlusconi zusammenarbeiten. Die Kehrtwende kommt bei den Mitgliedern allerdings gar nicht gut an.

Von Kirstin Hausen |
    Ein Kinderspielplatz in Como. Er ist gut besucht. Das sonnige Wetter nutzen viele Familien aus. Der Nachwuchs schaukelt, die Eltern essen Eis und plaudern. Natürlich auch über die anstehende Regierungsbildung. Doch so richtig in Fahrt redet sich hier niemand mehr.

    "Egal, was sie machen, sie machen es für sich selbst, nicht für uns. Im Gegenteil, die Politik von heute ist eine Politik gegen die Bürger. Ich geh schon gar nicht mehr wählen."

    Politikverdrossenheit ist ein zu schwacher Ausdruck, um die Stimmung in der Bevölkerung zu beschreiben. Und auch die Ortsverbände der Parteien werden mit dem tiefen Misstrauen der Bürger konfrontiert. Nicht weit von dem Spielplatz entfernt liegt das Stadtteilbüro des "partito democratico". An der Tür hängen Flugblätter der vergangenen Wahlkampagne. Das Konterfei vom zurückgetretenen Parteisekretär Pierluigi Bersani ist allgegenwärtig. Von Vizepräsident Enrico Letta ist dagegen nichts zu sehen im spartanisch eingerichteten Versammlungsraum. Und Michela Agroni, Präsidentin des PD-Stadteilverbandes, wirkt nicht begeistert angesichts seiner Ernennung zum künftigen Regierungschef durch den Staatspräsidenten.

    "Man musste ja irgendwen nehmen in dieser angespannten Lage. Die Wahl von Giorgio Napolitano zum Staatspräsidenten hat mich nicht zufriedengestellt. Er sollte das Recht haben, sein Alter zu genießen, auch wenn ich ihn als Person sehr schätze. Insgesamt hat mich das alles sehr ernüchtert. Es hätte einen Wandel gebraucht, aber wir haben die Chance dazu verpasst. Wie man es auch dreht und wendet, am Ende ist Berlusconi wieder dort, wo er hinwollte. Ich verstehe nicht, wie es so so weit kommen konnte."

    Die sozialdemokratische Partei diskutiert erhitzt über die Frage, ob man mit "Erzfeind Berlusconi" wirklich gemeinsam regieren darf. Vor allem an der Basis brodelt es. "Es herrscht ein großes Unwohlsein. Die Mitglieder sind gar nicht zufrieden mit dem, was auf nationaler Ebene geschieht", sagt Tina Colomba, Koordinatorin des PD-Ortsverbandes Monza. Im ganzen Land werden Versammlungen an der Basis einberufen, um die Gemüter zu beruhigen. Deshalb sprechen sich viele in der Partei für eine Regierung mit "institutionellem" Charakter aus. Das bedeutet, nicht PD-Mitglieder, sondern unabhängige Experten würden dann Minister werden. Nachteil: Es gäbe nicht genug prestigeträchtige Regierungsposten an die Politiker zu verteilen.

    Mit dem in der Vergangenheit beliebten Brauch, für manche Politiker noch extra Ministerien zu schaffen, um sie zufriedenzustellen, will Enrico Letta brechen. Achtzehn Ministerposten hat er zu vergeben, und das muss reichen. Manilo Decchi, der seit 40 Jahren Kommunalpolitik macht, ist besorgt.

    "Hoffen wir, dass es jetzt keine Probleme gibt bei der Postenverteilung innerhalb der Regierung. Wer keinen Posten bekommt, wird über die anderen herfallen."

    Auch in Berlusconis Partei PDL hat der Postenschacher begonnen. Wichtige Vertreter wie Parteisekretär Angelino Alfano verlangen einen Platz in der Regierung. Silvio Berlusconi hält sich noch zurück mit Namen. Stattdessen will er acht Gesetzesentwürfe seiner Partei direkt in den Koalitionsvertrag aufnehmen, weil das Land sie dringend brauche. Er präsentiert sich seit den Parlamentswahlen betont staatsmännisch und hat die scharfen Töne aus dem Wahlkampf gegen die väterliche Sorge um das Wohl der Bürger ausgetauscht. Mit Erfolg. Laut Umfragen würde er heute noch mehr Stimmen erhalten als bei den Wahlen von Ende Februar. Deshalb sitzt er bei den Koalitionsverhandlungen am längeren Hebel. Neuwahlen würden ihm nützen, den Sozialdemokraten aber nicht. Deren Umfragewerte sind nämlich gesunken. So muss sich Enrico Letta als Vertreter der stimmenstärksten Partei im Parlament von Silvio Berlusconi die Regeln diktieren lassen. Wie es so weit kommen konnte, verstehen PD-Mitglieder wie Michela Agroni nicht.

    "Die Demokratische Partei hat die Wahl gewonnen und ich weiß nicht, wie Berlusconi es geschafft hat, jetzt in der stärkeren Position zu sein. Ich habe gehofft, es würde sich etwas ändern, aber am Ende sind die alten Gesichter wieder da."

    Sollte Enrico Letta es nicht schaffen, eine stabile Regierung zu bilden, stehen Neuwahlen an. Giorgio Napolitano, jetzt wieder frisch im Amt, hat das Recht die Parlamentskammern aufzulösen, wenn sich die Parteien nicht auf eine Koalition einigen können.