Christoph Heinemann: Wünsche und Hoffnungen, vielleicht sogar Albträume verbinden die Italienerinnen und Italiener möglicherweise mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen im Februar - früher als erwartet, denn Anfang Dezember entzog die Partei Volk der Freiheit von Silvio Berlusconi der sogenannten Technokratenregierung unter dem amtierenden Ministerpräsidenten und ehemaligen EU-Kommissar Mario Monti die Unterstützung. Der Regierungschef möchte Italien weiterhin führen - eine Umfrage sieht die drei Parteien der Mitte, die Monti stützen, allerdings nur bei zwölf Prozent. Das breite Linksbündnis um Pier Luigi Bersani kommt dagegen in den Umfragen auf 42 Prozent, Silvio Berlusconis PDL, die Partei Volk der Freiheit, liegt den Umfragen zufolge bei 17, die rechte Lega Nord bei sechs Prozent. Wir wollen auf die Lage in Italien blicken, ein Land, das in der Eurokrise eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Im Studio ist der Historiker und Italienexperte Professor Rudolf Lill. Guten Morgen!
Rudolf Lill: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Lill, fassen wir noch mal zusammen: Monti zwölf, Berlusconi 17, Bersani 42 Prozent - Pier Luigi Bersani, der Chef der sozialdemokratisch orientierten demokratischen Partei. Würde eine Regierung Bersani die Reformen im Monti'schen Sinne fortsetzen?
Lill: Ich glaube ja, aber lassen Sie mich nur vorausschicken, dass Celentano sich auch immer noch in die kirchenpolitischen Diskussionen Italiens einmischt, zuletzt im vorigen Jahr.
Heinemann: Wichtiger Zusatz.
Lill: Aber zu Bersani: Bersani steht an der Spitze dieser demokratischen Partei, welche nach der Häutung der Altparteien, nach der Krise der alten italienischen Parteien sich zu einer linken Mitte zusammengefasst hat. Bersanis Partito Democratico umfasst frühere Kommunisten, die wie er zu Sozialdemokraten geworden sind, und frühere Christdemokraten vom linken Flügel, die sich zur reformistisch-sozialdemokratischen Tradition mitbekennen. Es ist also eine Sammelpartei der linken Mitte, und Bersani und seine Partei, in der hervorragende Leute wie zum Beispiel Herr Letta, Franceschini und andere tätig sind, hat sich eindeutig hinter die Reformpolitik Montis gestellt. Es hat sich ja sowieso im letzten Jahr in Italien ein breiter Reformismus gegen Berlusconi zusammengestellt, und die Bersani-Partei war die stärkste in dieser Quasikoalition, welche Monti stützte. Deswegen ist es erstaunlich und nicht erfreulich, dass in den letzten Tagen nun über dem persönlichen Eingreifen Montis in den Kampf um die Macht es zu Auseinandersetzungen ausgerechnet zwischen Bersani und Monti gekommen ist.
Heinemann: Bleiben wir bei Monti noch mal kurz. Zu seiner Bilanz: Susanna Camusso, die Chefin der Gewerkschaft CGIL, hat in der Wochenzeitung "Die Zeit" in dieser Woche gesagt: Mario Monti ist ein ehrenwerter Mann, das muss man anerkennen, aber er hat politisch alles falsch gemacht. Und wenn man sich die Zahlen anguckt - Jugendarbeitslosigkeit offiziell bei 36 Prozent, viele in befristeten Tätigkeiten, wenn überhaupt, nur angestellt, sie sagt, Fiat-Arbeiter bekommen mit Ach und Krach 1200 Euro im Monat, wie soll man davon eine Familie ernähren -, also wie ist die Bilanz von Mario Monti, wie fällt sie aus für Sie?
Lill: Ich glaube, sie ist viel positiver. Frau Camusso verkörpert nun den äußerst linken, eigentlich quasi kommunistisch gebliebenen Flügel des früheren Kommunismus, sie ist die Chefin der linken Großgewerkschaft CGIL und hält an den Modellen der 70er-, 80er-Jahre mit der starken Gewerkschaftsmacht unbedingt fest. Mario Monti kommt aus einer ganz anderen Welt, ein Mailänder Großbürger, hochgebildet, wirtschaftspolitisch hochversiert, früher EU-Kommissar für Wettbewerbswesen, einer der vielen Italiener, die für Europa sehr viel getan haben, was hier oft gar nicht gesehen wird, und Monti hat im letzten Jahr einen radikalen Reformkurs begonnen. Sie wissen ja, er war durch das Vertrauen des Staatspräsidenten gewissermaßen überparteilich an die Spitze einer Regierung gestellt worden, um die Krise, in der Berlusconi sich verheddert hatte, zu überwinden, und in diesem ersten Jahr musste er wohl sehr viele Sparmaßnahmen durchführen, welche viele Menschen hart getroffen haben - ich erinnere etwa an die Haus- und Grundstückssteuer. Prodi, der auch zum Partito Democratico gehört, hatte als Ministerpräsident diese Steuer halbiert, Berlusconi hatte sie abgeschafft und damit großen Konsens im Bürgertum gefunden, und Monti hat sie voll und verstärkt wieder eingeführt, zugleich die Katasterwerte, die die veraltete italienische Verwaltung nie modernisiert hatte, radikal überprüfen und erhöhen lassen, und in den Arbeitskämpfen und in der Lohnpolitik bremsend gewirkt. Das musste ja auch Widerstände und Kritik hervorrufen. Das ist ja nicht nur Frau Camusso, sondern auf der halblinken Seite Antonio Di Pietro und auf der rechten Seite die Lega, die sagen: Der hat uns verarmt. Aber er sagt - und das scheint mir glaubwürdig zu sein: Wir mussten so hart beginnen. Nachdem wir jetzt einen gewissen Level wieder erreicht haben - denken Sie daran, dass der Spread zwischen den italienischen und den deutschen Staatspapieren auf normale Höhe herabgesunken ist -, jetzt kann man auch Steuern senken, und das will ich tun.
Heinemann: Monti ist aber gleichwohl sehr unpopulär, Sie haben wahrscheinlich gerade Gründe angeführt, 61 Prozent der Italiener sagen laut Umfragen, sie wollten ihn nicht wieder als Regierungschef haben. Ist er aus dem Rennen?
Lill: Ich glaube nicht, dass er aus dem Rennen ist. Es kann auch sein, dass manche ihn nicht als neuen Ministerpräsidenten haben wollen, weil sie - wie auch Bersani und eigentlich alle Parteipolitiker - sagen: Diese Lösung Monti mit diesem ausgezeichneten Mann von außen war eine Notlösung. Wir wollen zur politischen Normalität zurück, und die kann nur dadurch gewonnen werden, dass die politischen Parteien miteinander um die Stimmen kämpfen und dass dann die stärkste, hoffentlich nicht Berlusconis Partei, an die Regierung kommt. Für Monti hatte man sich ja eher eine andere Lösung vorgestellt, dass er so als Mahner und Wächter neben der Politik stehe und eventuell dann Nachfolger des Staatspräsidenten Napolitano werde. Er hat sich aus freien Stücken dazu entschlossen, sich jetzt mit in den Wahlkampf hineinzubewegen, obwohl er das nicht gut kann, weil er ja kein Parteipolitiker ist. Und dadurch, dass er ja im vorigen Jahr, als man ihm die Chance zur Erneuerung schaffen wollte seitens des Staatspräsidenten - da ist er ja zum Senator auf Lebenszeit ernannt worden. Er steht ja außerhalb der normalen parteipolitischen Führer und Konkurrenten bei der Wahl. Nun hat er sich in das Mitte-Bündnis hineinbegeben, das heißt zu den kleineren Parteien der Mitte, Unione del Centro von [Pier Ferdinando] Casini und die Italia Futura, die immer - ähnlich wie Bersani, aber noch überzeugter - zu Montis Reformpolitik gestanden sind, weil auch sie liberal ausgerichtet sind. Bersani ist Sozialdemokrat im besten Sinne, in der Mitte der Partei. Monti ist ein Wirtschaftsliberaler mit stark konservativ-katholischen Zügen.
Heinemann: Und der Dritte ist Berlusconi. Halten Sie dessen politische Karriere für beendet?
Lill: Ich hoffe es. Wenn Sie bedenken, dass kürzlich sein langjähriger Außenminister Frattini - in Deutschland vielleicht ein bisschen bekannt, weil er die deutschen Bemühungen um einen Sitz im Sicherheitsrat gegen Italien konterkariert hat, sehr geschickt, ein Mann von großer formaler Bildung. Frattini hat Berlusconi verlassen. Der Advokat Pecorella, der Berlusconi bis vor zwei Jahren in seinen Prozessen vertreten hat, hat gesagt: Damals war ... jetzt Schluss! Seitdem Berlusconi auf diese skandalöse Lebensweise übergegangen ist und seitdem er Personen in die Politik holt, die keinerlei Qualifikation haben, verlasse ich ihn. Also das sind nur zwei Fälle, die zeigen, dass Berlusconis engere Basis immer enger geworden ist. Er hat zwar immer noch Anhänger, die er mit Populismus gewinnen kann, zum Beispiel mit dem Versprechen, diese eben genannte Steuer wieder abzuschaffen, aber im Grunde genommen redet er jeden Tag was anderes, schlägt um sich, polemisiert gegen den Präsidenten der Republik, gegen Monti, gegen Bersani, er führt einen Kampf gegen alle, und er ist ja nun auch jetzt alt, und nach den Skandalen der letzten Jahre hat er seinen Kredit bei vielen verloren.
Heinemann: Alt, aber mit einer Freundin, die seine Enkelin sein könnte, das muss man ja auch festhalten.
Lill: Gut, das hat er immer geschafft, ja.
Heinemann: Genau. Berlusconi spielt immer wieder die anti-deutsche Karte mit dem Vorwurf auch gegen Monti, er betriebe eine deutsche Sparpolitik, das deutsche Diktat, Rigore, also das Spardiktat kommt bei ihm immer wieder vor. Hat sich während der Euro-, während der Schuldenkrise das Deutschlandbild der Italiener verändert?
Lill: Nun gut, das deutsch-italienische Verhältnis hat sich leider in den letzten 20 Jahren aus verschiedenen Gründen verschlechtert, und die Ursachen dafür liegen nicht nur in Rom, die liegen auch sehr stark in Berlin. Das kann ich jetzt im Einzelnen nicht ausführen, der unselige Streit um den Sitz im UN-Sicherheitsrat, den habe ich schon erwähnt. In den letzten Jahren hatten viele Italiener den Eindruck, dass Deutschland wieder einmal Europa dominiert und dass Frau Merkel nur Sparkurs und harte Auflage machen will. Sie fühlten sich ein wenig dominiert, so als ob eine Gouvernante aus Berlin über sie wache. Und das können Italiener aus vielen Gründen, auch aus legitimen Gründen gar nicht ertragen. Monti hat da eine Mittelstellung eingenommen und hat gesagt: Es ist falsch, Frau Merkel völlig zu verurteilen, sie hat in der Sache ja in manchem recht. Aber auch damit hat er sich von ihrem Stil wohl ein wenig distanziert. Und Berlusconi spielt diese Karte nun aus. Die wird ihm aber nicht viel bringen.
Heinemann: Der Historiker und Italienkenner Professor Rudolf Lill. Danke schön für Ihren Besuch im Studio!
Lill: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rudolf Lill: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Lill, fassen wir noch mal zusammen: Monti zwölf, Berlusconi 17, Bersani 42 Prozent - Pier Luigi Bersani, der Chef der sozialdemokratisch orientierten demokratischen Partei. Würde eine Regierung Bersani die Reformen im Monti'schen Sinne fortsetzen?
Lill: Ich glaube ja, aber lassen Sie mich nur vorausschicken, dass Celentano sich auch immer noch in die kirchenpolitischen Diskussionen Italiens einmischt, zuletzt im vorigen Jahr.
Heinemann: Wichtiger Zusatz.
Lill: Aber zu Bersani: Bersani steht an der Spitze dieser demokratischen Partei, welche nach der Häutung der Altparteien, nach der Krise der alten italienischen Parteien sich zu einer linken Mitte zusammengefasst hat. Bersanis Partito Democratico umfasst frühere Kommunisten, die wie er zu Sozialdemokraten geworden sind, und frühere Christdemokraten vom linken Flügel, die sich zur reformistisch-sozialdemokratischen Tradition mitbekennen. Es ist also eine Sammelpartei der linken Mitte, und Bersani und seine Partei, in der hervorragende Leute wie zum Beispiel Herr Letta, Franceschini und andere tätig sind, hat sich eindeutig hinter die Reformpolitik Montis gestellt. Es hat sich ja sowieso im letzten Jahr in Italien ein breiter Reformismus gegen Berlusconi zusammengestellt, und die Bersani-Partei war die stärkste in dieser Quasikoalition, welche Monti stützte. Deswegen ist es erstaunlich und nicht erfreulich, dass in den letzten Tagen nun über dem persönlichen Eingreifen Montis in den Kampf um die Macht es zu Auseinandersetzungen ausgerechnet zwischen Bersani und Monti gekommen ist.
Heinemann: Bleiben wir bei Monti noch mal kurz. Zu seiner Bilanz: Susanna Camusso, die Chefin der Gewerkschaft CGIL, hat in der Wochenzeitung "Die Zeit" in dieser Woche gesagt: Mario Monti ist ein ehrenwerter Mann, das muss man anerkennen, aber er hat politisch alles falsch gemacht. Und wenn man sich die Zahlen anguckt - Jugendarbeitslosigkeit offiziell bei 36 Prozent, viele in befristeten Tätigkeiten, wenn überhaupt, nur angestellt, sie sagt, Fiat-Arbeiter bekommen mit Ach und Krach 1200 Euro im Monat, wie soll man davon eine Familie ernähren -, also wie ist die Bilanz von Mario Monti, wie fällt sie aus für Sie?
Lill: Ich glaube, sie ist viel positiver. Frau Camusso verkörpert nun den äußerst linken, eigentlich quasi kommunistisch gebliebenen Flügel des früheren Kommunismus, sie ist die Chefin der linken Großgewerkschaft CGIL und hält an den Modellen der 70er-, 80er-Jahre mit der starken Gewerkschaftsmacht unbedingt fest. Mario Monti kommt aus einer ganz anderen Welt, ein Mailänder Großbürger, hochgebildet, wirtschaftspolitisch hochversiert, früher EU-Kommissar für Wettbewerbswesen, einer der vielen Italiener, die für Europa sehr viel getan haben, was hier oft gar nicht gesehen wird, und Monti hat im letzten Jahr einen radikalen Reformkurs begonnen. Sie wissen ja, er war durch das Vertrauen des Staatspräsidenten gewissermaßen überparteilich an die Spitze einer Regierung gestellt worden, um die Krise, in der Berlusconi sich verheddert hatte, zu überwinden, und in diesem ersten Jahr musste er wohl sehr viele Sparmaßnahmen durchführen, welche viele Menschen hart getroffen haben - ich erinnere etwa an die Haus- und Grundstückssteuer. Prodi, der auch zum Partito Democratico gehört, hatte als Ministerpräsident diese Steuer halbiert, Berlusconi hatte sie abgeschafft und damit großen Konsens im Bürgertum gefunden, und Monti hat sie voll und verstärkt wieder eingeführt, zugleich die Katasterwerte, die die veraltete italienische Verwaltung nie modernisiert hatte, radikal überprüfen und erhöhen lassen, und in den Arbeitskämpfen und in der Lohnpolitik bremsend gewirkt. Das musste ja auch Widerstände und Kritik hervorrufen. Das ist ja nicht nur Frau Camusso, sondern auf der halblinken Seite Antonio Di Pietro und auf der rechten Seite die Lega, die sagen: Der hat uns verarmt. Aber er sagt - und das scheint mir glaubwürdig zu sein: Wir mussten so hart beginnen. Nachdem wir jetzt einen gewissen Level wieder erreicht haben - denken Sie daran, dass der Spread zwischen den italienischen und den deutschen Staatspapieren auf normale Höhe herabgesunken ist -, jetzt kann man auch Steuern senken, und das will ich tun.
Heinemann: Monti ist aber gleichwohl sehr unpopulär, Sie haben wahrscheinlich gerade Gründe angeführt, 61 Prozent der Italiener sagen laut Umfragen, sie wollten ihn nicht wieder als Regierungschef haben. Ist er aus dem Rennen?
Lill: Ich glaube nicht, dass er aus dem Rennen ist. Es kann auch sein, dass manche ihn nicht als neuen Ministerpräsidenten haben wollen, weil sie - wie auch Bersani und eigentlich alle Parteipolitiker - sagen: Diese Lösung Monti mit diesem ausgezeichneten Mann von außen war eine Notlösung. Wir wollen zur politischen Normalität zurück, und die kann nur dadurch gewonnen werden, dass die politischen Parteien miteinander um die Stimmen kämpfen und dass dann die stärkste, hoffentlich nicht Berlusconis Partei, an die Regierung kommt. Für Monti hatte man sich ja eher eine andere Lösung vorgestellt, dass er so als Mahner und Wächter neben der Politik stehe und eventuell dann Nachfolger des Staatspräsidenten Napolitano werde. Er hat sich aus freien Stücken dazu entschlossen, sich jetzt mit in den Wahlkampf hineinzubewegen, obwohl er das nicht gut kann, weil er ja kein Parteipolitiker ist. Und dadurch, dass er ja im vorigen Jahr, als man ihm die Chance zur Erneuerung schaffen wollte seitens des Staatspräsidenten - da ist er ja zum Senator auf Lebenszeit ernannt worden. Er steht ja außerhalb der normalen parteipolitischen Führer und Konkurrenten bei der Wahl. Nun hat er sich in das Mitte-Bündnis hineinbegeben, das heißt zu den kleineren Parteien der Mitte, Unione del Centro von [Pier Ferdinando] Casini und die Italia Futura, die immer - ähnlich wie Bersani, aber noch überzeugter - zu Montis Reformpolitik gestanden sind, weil auch sie liberal ausgerichtet sind. Bersani ist Sozialdemokrat im besten Sinne, in der Mitte der Partei. Monti ist ein Wirtschaftsliberaler mit stark konservativ-katholischen Zügen.
Heinemann: Und der Dritte ist Berlusconi. Halten Sie dessen politische Karriere für beendet?
Lill: Ich hoffe es. Wenn Sie bedenken, dass kürzlich sein langjähriger Außenminister Frattini - in Deutschland vielleicht ein bisschen bekannt, weil er die deutschen Bemühungen um einen Sitz im Sicherheitsrat gegen Italien konterkariert hat, sehr geschickt, ein Mann von großer formaler Bildung. Frattini hat Berlusconi verlassen. Der Advokat Pecorella, der Berlusconi bis vor zwei Jahren in seinen Prozessen vertreten hat, hat gesagt: Damals war ... jetzt Schluss! Seitdem Berlusconi auf diese skandalöse Lebensweise übergegangen ist und seitdem er Personen in die Politik holt, die keinerlei Qualifikation haben, verlasse ich ihn. Also das sind nur zwei Fälle, die zeigen, dass Berlusconis engere Basis immer enger geworden ist. Er hat zwar immer noch Anhänger, die er mit Populismus gewinnen kann, zum Beispiel mit dem Versprechen, diese eben genannte Steuer wieder abzuschaffen, aber im Grunde genommen redet er jeden Tag was anderes, schlägt um sich, polemisiert gegen den Präsidenten der Republik, gegen Monti, gegen Bersani, er führt einen Kampf gegen alle, und er ist ja nun auch jetzt alt, und nach den Skandalen der letzten Jahre hat er seinen Kredit bei vielen verloren.
Heinemann: Alt, aber mit einer Freundin, die seine Enkelin sein könnte, das muss man ja auch festhalten.
Lill: Gut, das hat er immer geschafft, ja.
Heinemann: Genau. Berlusconi spielt immer wieder die anti-deutsche Karte mit dem Vorwurf auch gegen Monti, er betriebe eine deutsche Sparpolitik, das deutsche Diktat, Rigore, also das Spardiktat kommt bei ihm immer wieder vor. Hat sich während der Euro-, während der Schuldenkrise das Deutschlandbild der Italiener verändert?
Lill: Nun gut, das deutsch-italienische Verhältnis hat sich leider in den letzten 20 Jahren aus verschiedenen Gründen verschlechtert, und die Ursachen dafür liegen nicht nur in Rom, die liegen auch sehr stark in Berlin. Das kann ich jetzt im Einzelnen nicht ausführen, der unselige Streit um den Sitz im UN-Sicherheitsrat, den habe ich schon erwähnt. In den letzten Jahren hatten viele Italiener den Eindruck, dass Deutschland wieder einmal Europa dominiert und dass Frau Merkel nur Sparkurs und harte Auflage machen will. Sie fühlten sich ein wenig dominiert, so als ob eine Gouvernante aus Berlin über sie wache. Und das können Italiener aus vielen Gründen, auch aus legitimen Gründen gar nicht ertragen. Monti hat da eine Mittelstellung eingenommen und hat gesagt: Es ist falsch, Frau Merkel völlig zu verurteilen, sie hat in der Sache ja in manchem recht. Aber auch damit hat er sich von ihrem Stil wohl ein wenig distanziert. Und Berlusconi spielt diese Karte nun aus. Die wird ihm aber nicht viel bringen.
Heinemann: Der Historiker und Italienkenner Professor Rudolf Lill. Danke schön für Ihren Besuch im Studio!
Lill: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.