Silvia Engels: Die Anhänger von Silvio Berlusconi in Italien sind begeistert, die Gegner und viele Menschen in ganz Europa schütteln fassungslos den Kopf. Das Mitte-Rechts-Lager des ehemaligen Ministerpräsidenten und Medienmoguls hat nach Auszählung aller Stimmen eine Mehrheit im Senat einfahren können, und das könnte den hauchdünnen Sieg des Mitte-Links-Lagers im Abgeordnetenhaus konterkarieren.
Erleben wir Stillstand in Italien? – Professor Christian Jansen ist Historiker an der Universität Münster und Autor des Buches "Italien seit 1945". Er hat sich mit dem Regierungssystem beschäftigt. Gestern Abend sprach mein Kollege Reinhard Bieck mit ihm und fragte, welche Rolle das italienische Wahlsystem und der Staatsaufbau beim Wahlausgang spiele. Lähmt sich Italien selber?
Christian Jansen: Ja das ist natürlich eine sehr naheliegende Frage bei diesem Ergebnis. Die Italiener haben nach dem Ende des Faschismus die Konsequenz gezogen, das Parlament sehr stark zu machen und die Regierung schwach zu machen, weil sie nicht wieder eine überstarke Regierung haben wollten, und das, kann man sagen, rächt sich jetzt. Dieses Wahlsystem, was wir jetzt haben, hat Berlusconi eingeführt und er ist jetzt ja auch derjenige, der davon profitiert. Es hat den Spitznamen "Porcellum", also Schweinerei in Italien, und es ist wirklich aus außeritalienischer Sicht kaum zu verstehen, wie man so ein absurdes Wahlsystem über längere Zeit hinweg behält. Aber es führt eben zu dem Ergebnis, das wir jetzt haben, dass wir wahrscheinlich eine Blockade haben und gleichzeitig im schlimmsten Fall sogar befürchten müssen, dass Berlusconi wieder hochkommt, von dem wir doch eigentlich dachten, er sei längst in der Geschichte verschwunden.
Bieck: Enrico Lotta von der Demokratischen Partei hatte gesagt, sollte sich das Ergebnis bestätigen, dann hätten 55 bis 60 Prozent der italienischen Wähler brutal gegen den Euro, gegen Europa, gegen Merkel und Deutschland gestimmt. Haben die Italiener Europa satt?
Jansen: Ja das ist wahrscheinlich wirklich die erschütterndste Konsequenz aus diesem Wahlergebnis, weil Italien war ja über Jahrzehnte immer das Land, was eigentlich die Europäische Union am meisten geliebt hat und wo sozusagen die Befürworter der Europäischen Union am stärksten waren in allen Umfragen, und man hat lange Zeit immer gehofft, weil man mit dem System in Rom unzufrieden war, dass aus Brüssel etwas besseres kommen könnte, dass Europa sozusagen das Land retten könnte, und da ist man jetzt sehr, sehr enttäuscht – sicherlich auch, weil diese Austeritätspolitik, also dieses brutale Gesundsparen, was die Europäische Union und natürlich leider auch die deutsche Regierung teilweise verlangt, eben zu verheerenden Konsequenzen geführt hat, zu einer sehr hohen Arbeitslosigkeit, zu einer starken Rezession, und das ist vor allem in der jungen Generation offenbar sehr, sehr negativ angekommen und das ist wirklich ein Jammer, weil ich glaube nach wie vor, dass das Land eigentlich pro-europäisch ist, und es ist natürlich unbegreiflich, wie eine Partei ohne jedes Programm, wie Beppe Grillo, der zwar ein begnadeter Komiker ist und wirklich, würde ich auch sagen, witzig ist und charismatische Qualitäten hat, aber wie man 25 Prozent der Bevölkerung und vor allem die junge Generation dazu kriegt, so einen Menschen ohne jedes Programm zu wählen, der nur einfach sagt, wir sind dagegen. Das ist aus deutscher Sicht wirklich schwer zu verstehen und natürlich auch auf eine Art grob unfair, weil die Europäische Union auch sicherlich dazu beigetragen hat, dass Italien stabilisiert worden ist. Auch wenn ich vorhin gesagt habe, gleichzeitig hat es negative Konsequenzen gehabt, ist es eben auch so, dass das Land ohne den Euro wahrscheinlich noch schlechter dastehen würde.
Bieck: Ich will mal so sagen: Seit Ronald Reagan wissen wir ja, dass mittelmäßige Darsteller durchaus große Politiker werden können. Aber in Italien – Sie haben es gerade angedeutet – macht der Fernsehkomiker Beppe Grillo ja gar nicht auf Politik, sondern nur auf Protest. Würden Sie so weit gehen zu sagen, die italienischen Wähler, seine Wähler hätten sich ein Eigentor geschossen?
Jansen: Wahrscheinlich aus der Distanz betrachtet ja, wobei Sie haben zwei wichtige Stichworte angesprochen, indem Sie die USA erwähnt haben mit Reagan. Das italienische System ist wirklich in vieler Hinsicht dem amerikanischen ähnlicher als dem deutschen, und auch dort haben wir ja teilweise Wahlergebnisse, die wir nicht verstehen, und Leute haben dort sehr viel Einfluss und sehr viel Zustimmung, die in Deutschland kaum über die Fünf-Prozent-Hürde kommen würden. Und der andere Punkt ist natürlich schon, dass Grillo sozusagen dasselbe macht, was Berlusconi auch gemacht hat, nämlich mit Hilfe des Fernsehens, was in Italien das Wichtigste Medium mit Abstand ist, mit Hilfe des Fernsehens und mit Hilfe seiner Popularität, die er aus dem Fernsehen hat, die Leute umgarnen und als Stimmvieh benutzen. Eine Hoffnung, die man vielleicht haben kann, ist, dass diese Gruppierung auseinanderfällt. Wir haben in Italien auch eine lange Tradition: Parteiengruppen, die ins Parlament kommen, fallen auseinander, zerlegen sich selber. Und da Grillo selber ja nicht im Parlament sitzen darf, weil er vorbestraft ist, wäre vielleicht die eine Hoffnung, die man haben könnte, dass aus der Grillo-Partei doch vielleicht einige der gewählten Abgeordneten zur Vernunft kommen und vielleicht das Bersani-Monti-Lager stärken könnten. Aber das ist natürlich eine wirklich eher wage Hoffnung und ob das eintritt, weiß man nicht, muss man abwarten. Aber das wäre vielleicht der einzige Ausweg, außer Neuwahlen, den ich so sehen könnte.
Bieck: Herr Jansen, sagen Sie uns doch noch etwas, ich sage mal, atmosphärisch Stimmungsmäßiges. Italien baut erfolgreich große Schiffe, Schienenfahrzeuge, schnelle Autos. Was von den Skizzenblöcken italienischer Designer kommt, egal ob Mode, Möbel oder was auch immer, ist Weltspitze, vom guten Essen gar nicht erst zu reden. Und trotzdem ist irgendwie der Wurm drin. Können Sie das erklären?
Jansen: Ein Erklärungsansatz wäre der sogenannte Familiarismus. Der Italiener, die Italiener gucken sehr stark immer bei jeder Entscheidung, was nützt es mir, was nützt es meiner Familie, was nützt es vielleicht noch meinem Ort, und der Gemeinsinn, sozusagen der Blick auf das große Ganze, oder gar erst recht auf Europa ist dabei oft unterentwickelt. Das kann vielleicht auch solche kurzsichtigen Entscheidungen wie jetzt die Wahlentscheidung für Grillo oder auch für Berlusconi im Ansatz zumindest erklären.
Engels: Der Historiker Professor Christian Jansen von der Universität Münster im Gespräch mit meinem Kollegen Reinhard Bieck.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Erleben wir Stillstand in Italien? – Professor Christian Jansen ist Historiker an der Universität Münster und Autor des Buches "Italien seit 1945". Er hat sich mit dem Regierungssystem beschäftigt. Gestern Abend sprach mein Kollege Reinhard Bieck mit ihm und fragte, welche Rolle das italienische Wahlsystem und der Staatsaufbau beim Wahlausgang spiele. Lähmt sich Italien selber?
Christian Jansen: Ja das ist natürlich eine sehr naheliegende Frage bei diesem Ergebnis. Die Italiener haben nach dem Ende des Faschismus die Konsequenz gezogen, das Parlament sehr stark zu machen und die Regierung schwach zu machen, weil sie nicht wieder eine überstarke Regierung haben wollten, und das, kann man sagen, rächt sich jetzt. Dieses Wahlsystem, was wir jetzt haben, hat Berlusconi eingeführt und er ist jetzt ja auch derjenige, der davon profitiert. Es hat den Spitznamen "Porcellum", also Schweinerei in Italien, und es ist wirklich aus außeritalienischer Sicht kaum zu verstehen, wie man so ein absurdes Wahlsystem über längere Zeit hinweg behält. Aber es führt eben zu dem Ergebnis, das wir jetzt haben, dass wir wahrscheinlich eine Blockade haben und gleichzeitig im schlimmsten Fall sogar befürchten müssen, dass Berlusconi wieder hochkommt, von dem wir doch eigentlich dachten, er sei längst in der Geschichte verschwunden.
Bieck: Enrico Lotta von der Demokratischen Partei hatte gesagt, sollte sich das Ergebnis bestätigen, dann hätten 55 bis 60 Prozent der italienischen Wähler brutal gegen den Euro, gegen Europa, gegen Merkel und Deutschland gestimmt. Haben die Italiener Europa satt?
Jansen: Ja das ist wahrscheinlich wirklich die erschütterndste Konsequenz aus diesem Wahlergebnis, weil Italien war ja über Jahrzehnte immer das Land, was eigentlich die Europäische Union am meisten geliebt hat und wo sozusagen die Befürworter der Europäischen Union am stärksten waren in allen Umfragen, und man hat lange Zeit immer gehofft, weil man mit dem System in Rom unzufrieden war, dass aus Brüssel etwas besseres kommen könnte, dass Europa sozusagen das Land retten könnte, und da ist man jetzt sehr, sehr enttäuscht – sicherlich auch, weil diese Austeritätspolitik, also dieses brutale Gesundsparen, was die Europäische Union und natürlich leider auch die deutsche Regierung teilweise verlangt, eben zu verheerenden Konsequenzen geführt hat, zu einer sehr hohen Arbeitslosigkeit, zu einer starken Rezession, und das ist vor allem in der jungen Generation offenbar sehr, sehr negativ angekommen und das ist wirklich ein Jammer, weil ich glaube nach wie vor, dass das Land eigentlich pro-europäisch ist, und es ist natürlich unbegreiflich, wie eine Partei ohne jedes Programm, wie Beppe Grillo, der zwar ein begnadeter Komiker ist und wirklich, würde ich auch sagen, witzig ist und charismatische Qualitäten hat, aber wie man 25 Prozent der Bevölkerung und vor allem die junge Generation dazu kriegt, so einen Menschen ohne jedes Programm zu wählen, der nur einfach sagt, wir sind dagegen. Das ist aus deutscher Sicht wirklich schwer zu verstehen und natürlich auch auf eine Art grob unfair, weil die Europäische Union auch sicherlich dazu beigetragen hat, dass Italien stabilisiert worden ist. Auch wenn ich vorhin gesagt habe, gleichzeitig hat es negative Konsequenzen gehabt, ist es eben auch so, dass das Land ohne den Euro wahrscheinlich noch schlechter dastehen würde.
Bieck: Ich will mal so sagen: Seit Ronald Reagan wissen wir ja, dass mittelmäßige Darsteller durchaus große Politiker werden können. Aber in Italien – Sie haben es gerade angedeutet – macht der Fernsehkomiker Beppe Grillo ja gar nicht auf Politik, sondern nur auf Protest. Würden Sie so weit gehen zu sagen, die italienischen Wähler, seine Wähler hätten sich ein Eigentor geschossen?
Jansen: Wahrscheinlich aus der Distanz betrachtet ja, wobei Sie haben zwei wichtige Stichworte angesprochen, indem Sie die USA erwähnt haben mit Reagan. Das italienische System ist wirklich in vieler Hinsicht dem amerikanischen ähnlicher als dem deutschen, und auch dort haben wir ja teilweise Wahlergebnisse, die wir nicht verstehen, und Leute haben dort sehr viel Einfluss und sehr viel Zustimmung, die in Deutschland kaum über die Fünf-Prozent-Hürde kommen würden. Und der andere Punkt ist natürlich schon, dass Grillo sozusagen dasselbe macht, was Berlusconi auch gemacht hat, nämlich mit Hilfe des Fernsehens, was in Italien das Wichtigste Medium mit Abstand ist, mit Hilfe des Fernsehens und mit Hilfe seiner Popularität, die er aus dem Fernsehen hat, die Leute umgarnen und als Stimmvieh benutzen. Eine Hoffnung, die man vielleicht haben kann, ist, dass diese Gruppierung auseinanderfällt. Wir haben in Italien auch eine lange Tradition: Parteiengruppen, die ins Parlament kommen, fallen auseinander, zerlegen sich selber. Und da Grillo selber ja nicht im Parlament sitzen darf, weil er vorbestraft ist, wäre vielleicht die eine Hoffnung, die man haben könnte, dass aus der Grillo-Partei doch vielleicht einige der gewählten Abgeordneten zur Vernunft kommen und vielleicht das Bersani-Monti-Lager stärken könnten. Aber das ist natürlich eine wirklich eher wage Hoffnung und ob das eintritt, weiß man nicht, muss man abwarten. Aber das wäre vielleicht der einzige Ausweg, außer Neuwahlen, den ich so sehen könnte.
Bieck: Herr Jansen, sagen Sie uns doch noch etwas, ich sage mal, atmosphärisch Stimmungsmäßiges. Italien baut erfolgreich große Schiffe, Schienenfahrzeuge, schnelle Autos. Was von den Skizzenblöcken italienischer Designer kommt, egal ob Mode, Möbel oder was auch immer, ist Weltspitze, vom guten Essen gar nicht erst zu reden. Und trotzdem ist irgendwie der Wurm drin. Können Sie das erklären?
Jansen: Ein Erklärungsansatz wäre der sogenannte Familiarismus. Der Italiener, die Italiener gucken sehr stark immer bei jeder Entscheidung, was nützt es mir, was nützt es meiner Familie, was nützt es vielleicht noch meinem Ort, und der Gemeinsinn, sozusagen der Blick auf das große Ganze, oder gar erst recht auf Europa ist dabei oft unterentwickelt. Das kann vielleicht auch solche kurzsichtigen Entscheidungen wie jetzt die Wahlentscheidung für Grillo oder auch für Berlusconi im Ansatz zumindest erklären.
Engels: Der Historiker Professor Christian Jansen von der Universität Münster im Gespräch mit meinem Kollegen Reinhard Bieck.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.