Martin Zagatta: Silvio Berlusconi, der frühere Regierungschef, mischt immer noch mit, wenn morgen und übermorgen in Italien ein neues Parlament gewählt wird. Und in Nachbarländern, zumindest in Deutschland, wo man fürchtet, dass er wieder für Chaos sorgen könnte, herrscht durchaus Nervosität. Für uns jetzt Anlass mit dem Politikwissenschaftler und Italien-Experten Roman Maruhn zu sprechen, der für das Goethe-Institut in Palermo tätig ist. Guten Morgen, Herr Maruhn!
Roman Maruhn: Guten Morgen!
Zagatta: Herr Maruhn, allen Vorwürfen, Skandalen und Gerichtsprozessen zum Trotz - wieso wird Berlusconi von den Italienern immer noch ernst genommen, warum schneidet er offenbar auch jetzt wieder besser ab als gedacht? Berlusconi war doch eigentlich schon abgeschrieben?
Maruhn: Eigentlich schon und auch seine Partei. Die stand eigentlich kurz vor der Implosion. Aber es gibt da natürlich eine Menge treuer Gefolgsleute, die ihre politischen Mandate ganz stark mit Berlusconi verbinden und sich dann eben zur Sicherung der eigenen Existenz sehr stark ins Zeug werfen. Zumal Berlusconi einfach wirklich den italienischen Bürgern und Wählern sehr gute Angebote macht, finanzielle Angebote, das hat auch Premierminister Monti als Stimmenkauf bezeichnet. Der hatte die stärkste Auseinandersetzung mit Berlusconi darüber. Berlusconi hat auch mehrere Condoni, also sogenannte Steuernachlässe angekündigt. Und das sind nun mal finanzielle Angebote, und da ist er sogar auch bekannt dafür, dass er die dann eigentlich umsetzt. Das ist eine Frage des Geldes, und das bringt ihm ein paar Stimmen, und er wendet sich damit an sehr große Bevölkerungsschichten. Beispiel eben diese Wohneigentumssteuer IMU, die betrifft knapp 80 Prozent der Italiener, so viele Italiener - so viele Italiener haben Wohneigentum. Und da hat er ja angekündigt, dass er mit einem Steuerabkommen mit der Schweiz die Gelder dafür verwenden will, um die IMU abzuschaffen und sogar die bereits 2012 gezahlten Steuerbeiträge zurückzuerstatten. Das ist ein Angebot. Aber die Gegenfinanzierung fehlt.
Zagatta: Da fragt man sich ja, ob so etwas in Deutschland auch funktionieren würde oder ob man hier sagen würde, so was ist unseriös. Berlusconi gilt ja aus unserer Sicht fast als Witzfigur. Herr Maruhn, ticken die Italiener da völlig anders als Deutsche?
Maruhn: Ja, ich glaube, Berlusconis Erfolg zeigt einfach, wie stark die politische Krise in Italien ist, wie stark das Misstrauen gegenüber den politischen Parteien ist, wozu natürlich Berlusconi selber maßgeblich beigetragen hat. Sodass man am Ende wirklich nur noch auf den ganz privaten und persönlichen Vorteil setzt und sagt, dass man lieber den Spatz in der Hand hat im Zweifelsfall und eben ein bisschen finanziell besser aus einer Geschichte rausgeht, als das man noch groß an allgemeinen Zukunft und Reformfähigkeit des Landes interessiert ist. Also die Sichtweise ist eine ein bisschen kurzsichtigere und natürlich subjektivere und persönlichere in Italien, zumindest bei einem Teil der Bevölkerung. Es gibt aber natürlich Italiener, die eine nahezu identische Sichtweise haben mit aufgeklärten, am Gemeinwohl interessierten Bürgern, wie das auch in Deutschland größtenteils der Fall ist.
Zagatta: Wir haben es gerade gehört im O-Ton, er macht auch, Berlusconi hat auch Stimmung gemacht gegen Deutsche, gegen Frau Merkel, gegen den Sparkurs, der sei schuld, dass es den Italienern so schlecht geht. Ist das ein Argument, das ankommt? Wird das ernst genommen?
Maruhn: Na ja, also, bei seinen Wählern auf alle Fälle. Er hat mit deutschenfeindlichen und mit Merkel-feindlichen Positionen doch sehr stark auch seine Wählerschaft oder auch die Wählerschaft der Lega Nord mobilisiert und das irgendwie so ein bisschen auch als eine Art Markenkern, auch eine starke Europafeindlichkeit hat er gezeigt und als Markenkern herausgeschält. Das ist natürlich auch ein bisschen dem geschuldet, dass die Bundeskanzlerin sich sehr stark für Monti eingesetzt hat und zu dieser Konfrontation auch in der Europäischen Volkspartei geführt hat, dass sie eben sich klar für Monti ausgesprochen hat. Aber das - da ist das Potenzial dann auch irgendwann mal erschöpft. Also ich denke mal, dass das auch eher ein Zeichen der Verzweiflung war, dass er stark diese Linie gefahren ist.
Zagatta: Jetzt haben sich neben der Bundeskanzlerin ja auch andere deutsche Politiker stark gegen Berlusconi ausgesprochen. Wie kommt das in Italien an? Wird das als Einmischung empfunden oder sieht man das dort als gerechtfertigtes Interesse?
Maruhn: Also wenn man jetzt mal als Italien als Gesamtheit sieht, glaube ich, dass da schon eine ganz große Erleichterung mittlerweile darüber herrscht, dass es sozusagen jetzt keine politischen Kräfte mehr im Ausland gibt, die irgendwie Berlusconi die Stange halten, sondern dass von dort wirklich ein Urteil kommt, das ziemlich präzise ist gegenüber Berlusconi und dem, was er in den letzten 20 Jahren gemacht hat. Ich glaube, das ist schon sehr hilfreich, weil früher hat natürlich Berlusconi, dass er sich als Christdemokrat dargestellt hat und als Mitglied der christlich-demokratischen Parteienfamilie Europas, davon hat er sehr stark profitiert.
Zagatta: Herr Maruhn, noch kurz zum Schluss: Von was gehen Sie aus? Hat Berlusconi tatsächlich auch eine Chance, wieder an die Regierung zu kommen, oder allenfalls da so gut abzuschneiden, dass er in der Opposition dann eine entscheidende Rolle spielt?
Maruhn: Also da kann ich mich auch wirklich nur auf die jüngsten veröffentlichten Umfragen, die schon eine Weile her sind, beziehen, da wurde doch ein recht klarer Abstand gegenüber dem Mitte-Links-Lager gezeigt. Ich glaube, dass er das nicht geschafft hat, in den letzten Tagen aufzuholen, zumal wirklich schlechte Nachrichten für ihn gekommen sind. Außerdem hat er auch mehrere Auftritte jetzt noch im Wahlkampf abgesagt, auch gestern seine Abschlusskundgebung. Und ich glaube, das ist ein deutliches Zeichen, dass er eigentlich eine Niederlage schon eingepreist hat, und - nein. Also ich glaube, Berlusconi wird keine große Rolle spielen bei dem Wahlausgang.
Zagatta: Der Politikwissenschaftler und Italienexperte Roman Maruhn war das, der für das Goethe-Institut in Palermo tätig ist. Dort haben wir ihn auch erreicht. Herr Maruhn, herzlichen Dank für diese Informationen und Einschätzungen!
Maruhn: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Roman Maruhn: Guten Morgen!
Zagatta: Herr Maruhn, allen Vorwürfen, Skandalen und Gerichtsprozessen zum Trotz - wieso wird Berlusconi von den Italienern immer noch ernst genommen, warum schneidet er offenbar auch jetzt wieder besser ab als gedacht? Berlusconi war doch eigentlich schon abgeschrieben?
Maruhn: Eigentlich schon und auch seine Partei. Die stand eigentlich kurz vor der Implosion. Aber es gibt da natürlich eine Menge treuer Gefolgsleute, die ihre politischen Mandate ganz stark mit Berlusconi verbinden und sich dann eben zur Sicherung der eigenen Existenz sehr stark ins Zeug werfen. Zumal Berlusconi einfach wirklich den italienischen Bürgern und Wählern sehr gute Angebote macht, finanzielle Angebote, das hat auch Premierminister Monti als Stimmenkauf bezeichnet. Der hatte die stärkste Auseinandersetzung mit Berlusconi darüber. Berlusconi hat auch mehrere Condoni, also sogenannte Steuernachlässe angekündigt. Und das sind nun mal finanzielle Angebote, und da ist er sogar auch bekannt dafür, dass er die dann eigentlich umsetzt. Das ist eine Frage des Geldes, und das bringt ihm ein paar Stimmen, und er wendet sich damit an sehr große Bevölkerungsschichten. Beispiel eben diese Wohneigentumssteuer IMU, die betrifft knapp 80 Prozent der Italiener, so viele Italiener - so viele Italiener haben Wohneigentum. Und da hat er ja angekündigt, dass er mit einem Steuerabkommen mit der Schweiz die Gelder dafür verwenden will, um die IMU abzuschaffen und sogar die bereits 2012 gezahlten Steuerbeiträge zurückzuerstatten. Das ist ein Angebot. Aber die Gegenfinanzierung fehlt.
Zagatta: Da fragt man sich ja, ob so etwas in Deutschland auch funktionieren würde oder ob man hier sagen würde, so was ist unseriös. Berlusconi gilt ja aus unserer Sicht fast als Witzfigur. Herr Maruhn, ticken die Italiener da völlig anders als Deutsche?
Maruhn: Ja, ich glaube, Berlusconis Erfolg zeigt einfach, wie stark die politische Krise in Italien ist, wie stark das Misstrauen gegenüber den politischen Parteien ist, wozu natürlich Berlusconi selber maßgeblich beigetragen hat. Sodass man am Ende wirklich nur noch auf den ganz privaten und persönlichen Vorteil setzt und sagt, dass man lieber den Spatz in der Hand hat im Zweifelsfall und eben ein bisschen finanziell besser aus einer Geschichte rausgeht, als das man noch groß an allgemeinen Zukunft und Reformfähigkeit des Landes interessiert ist. Also die Sichtweise ist eine ein bisschen kurzsichtigere und natürlich subjektivere und persönlichere in Italien, zumindest bei einem Teil der Bevölkerung. Es gibt aber natürlich Italiener, die eine nahezu identische Sichtweise haben mit aufgeklärten, am Gemeinwohl interessierten Bürgern, wie das auch in Deutschland größtenteils der Fall ist.
Zagatta: Wir haben es gerade gehört im O-Ton, er macht auch, Berlusconi hat auch Stimmung gemacht gegen Deutsche, gegen Frau Merkel, gegen den Sparkurs, der sei schuld, dass es den Italienern so schlecht geht. Ist das ein Argument, das ankommt? Wird das ernst genommen?
Maruhn: Na ja, also, bei seinen Wählern auf alle Fälle. Er hat mit deutschenfeindlichen und mit Merkel-feindlichen Positionen doch sehr stark auch seine Wählerschaft oder auch die Wählerschaft der Lega Nord mobilisiert und das irgendwie so ein bisschen auch als eine Art Markenkern, auch eine starke Europafeindlichkeit hat er gezeigt und als Markenkern herausgeschält. Das ist natürlich auch ein bisschen dem geschuldet, dass die Bundeskanzlerin sich sehr stark für Monti eingesetzt hat und zu dieser Konfrontation auch in der Europäischen Volkspartei geführt hat, dass sie eben sich klar für Monti ausgesprochen hat. Aber das - da ist das Potenzial dann auch irgendwann mal erschöpft. Also ich denke mal, dass das auch eher ein Zeichen der Verzweiflung war, dass er stark diese Linie gefahren ist.
Zagatta: Jetzt haben sich neben der Bundeskanzlerin ja auch andere deutsche Politiker stark gegen Berlusconi ausgesprochen. Wie kommt das in Italien an? Wird das als Einmischung empfunden oder sieht man das dort als gerechtfertigtes Interesse?
Maruhn: Also wenn man jetzt mal als Italien als Gesamtheit sieht, glaube ich, dass da schon eine ganz große Erleichterung mittlerweile darüber herrscht, dass es sozusagen jetzt keine politischen Kräfte mehr im Ausland gibt, die irgendwie Berlusconi die Stange halten, sondern dass von dort wirklich ein Urteil kommt, das ziemlich präzise ist gegenüber Berlusconi und dem, was er in den letzten 20 Jahren gemacht hat. Ich glaube, das ist schon sehr hilfreich, weil früher hat natürlich Berlusconi, dass er sich als Christdemokrat dargestellt hat und als Mitglied der christlich-demokratischen Parteienfamilie Europas, davon hat er sehr stark profitiert.
Zagatta: Herr Maruhn, noch kurz zum Schluss: Von was gehen Sie aus? Hat Berlusconi tatsächlich auch eine Chance, wieder an die Regierung zu kommen, oder allenfalls da so gut abzuschneiden, dass er in der Opposition dann eine entscheidende Rolle spielt?
Maruhn: Also da kann ich mich auch wirklich nur auf die jüngsten veröffentlichten Umfragen, die schon eine Weile her sind, beziehen, da wurde doch ein recht klarer Abstand gegenüber dem Mitte-Links-Lager gezeigt. Ich glaube, dass er das nicht geschafft hat, in den letzten Tagen aufzuholen, zumal wirklich schlechte Nachrichten für ihn gekommen sind. Außerdem hat er auch mehrere Auftritte jetzt noch im Wahlkampf abgesagt, auch gestern seine Abschlusskundgebung. Und ich glaube, das ist ein deutliches Zeichen, dass er eigentlich eine Niederlage schon eingepreist hat, und - nein. Also ich glaube, Berlusconi wird keine große Rolle spielen bei dem Wahlausgang.
Zagatta: Der Politikwissenschaftler und Italienexperte Roman Maruhn war das, der für das Goethe-Institut in Palermo tätig ist. Dort haben wir ihn auch erreicht. Herr Maruhn, herzlichen Dank für diese Informationen und Einschätzungen!
Maruhn: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.