Jasper Barenberg: Ein Auto ganz ohne negative Eigenschaften hat Volkswagen-Chef Herbert Diess zuletzt auf der Automobilausstellung in Frankfurt versprochen, sauber und sicher. Und der Chef von Daimler individuelle Mobilität ganz ohne Emissionen. Die Automobilindustrie steckt mitten in einem gewaltigen Umbruch, begleitet von den Nachwehen des Dieselskandals und überschattet von sinkenden Verkaufszahlen. Außerdem wird der Umstieg zur Elektromobilität unter dem Strich viele Jobs überflüssig machen. Die Universität Duisburg-Essen jedenfalls hat errechnet, dass der Wandel schon in den nächsten zehn Jahren mehr als 100.000 Arbeitsplätze kosten dürfte, vor allem in der Produktion, und das bei Herstellern und Zulieferern gleichermaßen.
Vor allem in den drei sogenannten Autoländern, in Bayern, in Baden-Württemberg und in Niedersachsen, kann das die Landesregierungen nicht kalt lassen. Gemeinsam überlegen sie, wie die Branche unterstützt werden sollte. Darüber können wir in den nächsten Minuten mit dem CDU-Politiker Bernd Althusmann sprechen, Niedersachsens Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung. Schönen guten Morgen, Herr Althusmann.
Bernd Althusmann: Schönen guten Morgen.
Größter Strukturwandel in der Geschichte der Automobilindustrie
Barenberg: Schon jetzt kündigen ja Hersteller und Zulieferer Sparprogramme an. Ist für Sie schon ausgemacht, dass viele Jobs gestrichen werden? Die Frage ist nur noch wann und wie viele?
Althusmann: In der Tat. Die Automobilindustrie steht vor dem größten Strukturwandel ihrer Geschichte. Die Umstellung auf Elektromobilität, aber sicherlich auch auf andere Antriebstechnologien wird das Auto der Zukunft verändern. Es wird ein, wenn Sie so wollen, Smartphone auf vier Rädern. Die Frage der Digitalisierung ist ebenso bedeutsam wie die Frage der Antriebstechnologie. Aber klar ist: Die Fertigungstiefe eines nicht mehr Verbrenners, sondern dann beispielsweise elektromobilen, rein elektrisch angetriebenen Fahrzeuges beträgt nur noch etwa 40 Prozent der eines Verbrenners. Insofern werden in den nächsten zehn Jahren tatsächlich erheblich viele Arbeitsplätze in Deutschland in der Automobilindustrie wegfallen, und wir hoffen natürlich, dass wir dies entlang der demographischen Kurve, mit dann ausscheidendem Personal werden auffangen können.
Barenberg: Jetzt habe ich eine Größenordnung genannt, weil eine Universität eine Studie erstellt hat. 100.000 Arbeitsplätze weniger unter dem Strich, von 800.000 etwa auf 700.000. Ist das eine Größenordnung, mit der Sie auch rechnen?
Althusmann: Bis 2030 dürften auf jeden Fall in dieser Größenordnung bei allen Automobilherstellern in Deutschland bis zu beispielsweise 100.000 Arbeitsplätze sicherlich wegfallen. Aber wie gesagt: Ich gehe davon aus, dass wie zum Beispiel bei VW es bis 2028 eine Beschäftigungsgarantie gibt, dass dort in den nächsten Jahren auch neue Arbeitsplätze entstehen werden, beispielsweise im Bereich der Software-Technologien. Nur die werden nicht alles auffangen können. Klar bleibt, dass bei ausscheidendem Personal in den nächsten Jahren nicht immer zwingend eine Wiederbesetzung erfolgen wird und von daher die Automobilindustrie dann sich deutlich reduzieren wird.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie – darüber wird ja gerne in Deutschland trefflich gestritten bis hin zu Forderungen, Autos am besten ganz zu verbieten. Verbessen wir dabei nicht: Sie ist die Grundlage des Wohlstandes in Deutschland. Das sind fast eine Million Beschäftigte, 420 Milliarden Euro Umsatz. VW investiert mehr in die Forschung und Entwicklung mit 13 Milliarden Euro als Maschinenbau und chemische Industrie zusammen. Insofern ist das schon ein erheblicher Faktor und das muss behutsam in den nächsten Jahren begleitet werden.
Neue Antriebstechnologien mit erheblichen Potentialen
Barenberg: Was spricht denn aber dagegen, dass der Wandel zu klimaneutraler und emissionsfreier Mobilität nicht mindestens ebenso viele neue Arbeitsplätze entstehen lässt, wie alte wegfallen?
Althusmann: Dagegen spricht gar nichts. Ich glaube, die technologischen Entwicklungen in den nächsten Jahren durch die Veränderung des Autos, aber auch durch Aufrechterhalten des individuellen Anspruchs an Mobilität lassen sehr wohl hoffen, dass wir mit neuen Antriebstechnologien, unter anderem der Elektromobilität – ich persönlich glaube, auch die Wasserstofftechnologie wird gerade für die schweren Nutzfahrzeuge, für die LKW, für die Busse, aber auch für die Schiffsindustrie erhebliche Potenziale in den nächsten Jahren bieten, um klimaneutraler, klimaschonender in den nächsten Jahren dann Mobilität zu gewährleisten. Insofern glaube ich schlicht, dass Deutschland als das Innovationsland auch der Ingenieure, der Tüftler in der Lage sein wird, bestmögliche Technologien zu bieten, um damit ein deutliches Mehr an Klimaschutz zu erreichen.
Barenberg: Aber wenn das so ist, Herr Althusmann, dann verstehe ich nicht ganz, wenn die Chancen größer sind als die Risiken, wenn Sie das so einschätzen, warum braucht es dann staatliche Unterstützung für die Branche?
Althusmann: Ich glaube, wir müssen gerade die drei Autoländer, Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen, deutlich machen, auch gegenüber dem Bund, die Gesetzgebung der Europäischen Union und auch die Ziele Deutschlands zwingen jetzt auch die Automobilindustrie zu einem deutlichen Kurswechsel, was die Antriebstechnologien betrifft. Das lässt andererseits erwarten, jenseits von Dieselskandal und Stickoxid-Problematik, dass jetzt die Automobilindustrie als die Kernindustrie des Wohlstands in Deutschland auch dabei begleitet wird, dass sie diese Ziele auch erreichen kann. Denn letztendlich zehn Millionen Elektrofahrzeuge bis 2030 allein von VW zu produzieren, auch zu verkaufen, setzt voraus, dass wir eine vernünftige Ladeinfrastruktur haben, dass die Herstellung von Batteriezellen regenerativ erfolgt. Das ist mit hohem Energieaufwand verbunden. Das heißt, die Energiepreise werden hier ein zusätzlicher belastender Faktor dann für das neue Automobil der Zukunft. Bis hin zu Fragen von Ladeinfrastruktur in Wohngebäuden, in Mehrfamiliengebäuden. Auch hier muss der Bund gemeinsam mit den Ländern natürlich nach Lösungen suchen. Wer weiß, welche Bedeutung die Kernindustrie der Bundesrepublik Deutschland hat, der kann diese jetzt nicht einfach alleine im Regen stehen lassen. Das werden sie alleine nicht leisten können, sondern da müssen Bund und Länder gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, damit auch die Voraussetzungen für diese sogenannte Mobilitätswende entstehen. Der Strukturwandel in der Automobilindustrie ist in etwa dann zu vergleichen mit einem Strukturwandel in der Landwirtschaft, in der Kohle-Energieversorgung. Insofern ist das schon erheblich für Deutschland und wir vergessen gerne, dass das Automobil ein Großteil auch unserer heutigen Wirtschaftskraft ist.
Barenberg: Aber wir vergessen nicht, Herr Althusmann, dass es gerade die Automobilindustrie war, die lange ihr bisheriges Geschäftsmodell verteidigt hat. Viele sagen, die Branche hat den Wandel schon seit vielen Jahren verschlafen. Umso drängender ist doch die Frage, warum in dieser Situation die Allgemeinheit, der Staat einspringen soll.
Althusmann: Weil ich letztendlich davon ausgehe, dass wir alle ein gemeinsames Interesse daran haben, dass Deutschland als Industrieland auch weiterhin stark ist. Die drei Automobilländer, die sich jetzt noch mal zusammenschließen, um hier die Stärke und Innovationskraft Deutschlands mit Blick auf die Automobilindustrie voranzubringen, dass die nicht allein gelassen werden wie alle anderen Bundesländer bei verschiedenen Strukturwandeln – denken wir an die Kohle, ging auch über Jahrzehnte dem Grunde nach. Natürlich kann man den Automobilländern oder den Automobilherstellern vorwerfen, sie hätten vielleicht zu lange gezögert, aber manche Entwicklung ist in den letzten Jahren, gerade was die Rechtsetzung betrifft – denken Sie an die CO2-Problematik, Reduzierung jetzt bis 2030, bis 2025 in unterschiedlichen Schritten. Das für einen gesamten Automobilkonzern umzudrehen, heißt auf Elektromobilität oder aber auf andere Antriebstechnologien jetzt zu setzen, und die Gefährdung für viele Arbeitsplätze darf man ja auch noch mal ins Feld führen. Ich finde, wir brauchen hier eine gute nationale Kraftanstrengung, gemeinsam mit den Automobilherstellern, die über eine Million Arbeitsplätze in Deutschland sichern. Insofern bin ich sehr zuversichtlich, dass der Bund dies auch erkannt hat.
Thema Wasserstoff ist ein kluger Ansatz
Barenberg: Der Bund hat bisher etwa für die Förderung der Elektromobilität schon drei Milliarden Euro ausgegeben und dazugegeben. Gerade wurde beschlossen, dass die Unterstützung bei Forschung und Entwicklung für Batterien für Elektroantriebe aufgestockt wird. Das ist aber noch nicht genug?
Althusmann: Das wird jetzt alles seine Zeit dauern und die Ziele der Europäischen Union kommen mit Massivität (und natürlich auch Deutschlands), die entsprechende Klimagesetzgebung, die jetzt auf den Weg gebracht werden soll, kommen jetzt auf uns zu. Aber klar ist: Wer den Anschluss nicht verlieren will mit der deutschen Automobilindustrie im weltweiten Wettbewerb, ob nun China, USA oder andere, die schlafen ja nicht, sondern letztendlich geht es darum, möglichst zügig, möglichst schnell diese Mobilitätswende auf den Weg zu bringen und gleichzeitig steuerliche Anreize auch in Deutschland zu geben für die Bürger, dass sie beispielsweise auf elektromobile Fahrzeuge umsteigen. Das greift sehr eng ineinander und wenn der Bund das Ganze noch mit Elektrobatterie-Fertigung unterstützt und Forschung, dann ist das richtig. Aber wenn wir uns mal anschauen, was andere Länder in die Forschung investieren, dann ist das im Vergleich zu Deutschland immer noch relativ übersichtlich, und wir dürfen schlicht die Kompetenzen und die Fähigkeiten in Deutschland nicht verlieren, gerade was neue Antriebstechnologien betrifft, und das wird nicht nur das elektromobile Fahrzeug sein. Es wird auch andere Antriebstechnologien geben. Verstärkt jetzt auch das Thema Wasserstoff in den Blick zu nehmen, gerade für die schweren Nutzfahrzeuge, ist, glaube ich, ein kluger Ansatz.
Barenberg: Herr Althusmann, ich mochte zum Schluss gerne noch mal einen Schlenker machen zur Vergangenheit, die heute in Braunschweig vor dem Oberlandesgericht aufgearbeitet wird. Da geht es um Klagen von über 400.000 Dieselkunden. Im Rahmen der Musterklage wird Schadenersatz von VW verlangt. Niedersachsen ist Anteilseigner bei VW. Sie sind Mitglied im Aufsichtsrat. Finden Sie es eigentlich in Ordnung, dass der Konzern sich so beharrlich bisher geweigert hat, betrogenen Kunden eine Entschädigung zu zahlen?
Althusmann: Als Aufsichtsratsmitglied von VW ist man natürlich auch immer dem Wohle des Unternehmens verpflichtet. Andererseits als politisch Verantwortlicher sehe ich die berechtigten Klagen vieler, die sagen, sie fühlen sich hier nicht ausreichend behandelt. Das Problem bleibt ein rechtliches in der Frage der Beweisbarkeit einer Umsetzung letztendlich des Einbaus einer entsprechenden Software. Darüber gibt es sehr viel Streit, darüber gibt es sehr viel unterschiedliche Auffassungen, auch mit Blick wiederum auf die unterschiedliche Gesetzgebung. Ich kann den Unmut vieler, vieler Kunden verstehen. Ich hoffe sehr, dass man hier weiterhin aufeinander zugeht.
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