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Bertelsmann-Studie
Ausbildungsgarantie könnte jährlich bis zu 20.000 zusätzliche Fachkräfte bringen

Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ließe sich mit einer Ausbildungsgarantie nach österreichischem Vorbild deutlich verbessern, zeigt eine Bertelsmann-Studie. Deutschland bekäme so besser qualifizierte Jugendliche, sagte Studienleiter Clemens Wieland im Dlf. Das zahle sich langfristig aus.

Clemens Wieland im Gespräch mit Matthis Jungblut |
Ausbilder Carsten Pohle (l) erläutert Auszubildenden im 2. Lehrjahr die Funktionsweise eines Hybridantriebes an einem Modellaufbau im Porsche Ausbildungszentrum
Eine Ausbildungsgarantie - sprich, eine überbetriebliche Ausbildung - könnte als Bindeglied zwischen Betrieb und Bewerber fungieren, meint Studienleiter Clemens Wieland (dpa-Zentralbild / Jan Woitas)
Trotz politischer Initiativen und Ausbildungsprämien für Betriebe fehlen Ausbildungsplätze auf der einen Seite und Bewerberinnen auf der anderen. Die sogenannte Ausbildungsgarantie für Jugendliche, wie sie der Deutsche Gewerkschaftsbund schon länger fordert, könnte da Abhilfe schaffen: Der Staat würde einspringen und dafür sorgen, dass jeder eine Ausbildung bekommt, der das möchte.
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Die Bertelsmann-Stiftung hat dazu jetzt eine Studie veröffentlicht: Die Ausbildungsgarantie könnte pro Jahr bis zu 20.000 zusätzliche Fachkräfte bringen, sagte Clemens Wieland, der Leiter der Studie im Deutschlandfunk. Davon profitierten im Endeffekt nicht nur die Ausgebildeten, sondern auch der Staat.
Darüber hinaus könnte eine Ausbildungsgarantie als Bindeglied zwischen Betrieben und Bewerbern fungieren: So würden nicht ausreichend qualifizierte Bewerber zunächst in einer überbetrieblichen Ausbildung fit gemacht – und erst dann an Betriebe vermittelt. In Österreich habe sich das Modell schon länger bewährt, betonte Wieland.

Das Interview im Wortlaut:

Matthis Jungblut: Wie sind Sie bei der Studie vorgegangen?
Clemens Wieland: Was wir gemacht haben, ist, wir haben übertragen, was passieren würde, wenn wir eine Ausbildungsgarantie so wie in Österreich auch in Deutschland hätten, und die Ergebnisse, die sind schon ermutigend, sag ich mal. Der Wirtschaft könnte sie bis zu 20.000 zusätzliche Fachkräfte pro Jahr bringen, und für diejenigen, die über die Ausbildungsgarantie einen Ausbildungsplatz bekommen und absolvieren, würde das durchschnittliche Lebenseinkommen um 580.000 Euro steigen im Vergleich dazu, was sie als Ungelernte verdienen würden.

Anspruch auf öffentlich geförderten Ausbildungsplatz

Jungblut: Österreich ist gefallen als Beispiel, das müssen Sie erklären: Was genau passiert in Österreich?
Wieland: In Österreich gibt es seit vielen Jahren eine Ausbildungsgarantie – das läuft so: Wenn Sie als Jugendlicher mit den Bewerbungen leer ausgehen und keinen Ausbildungsplatz finden, dann können Sie sich dort an den sogenannten Arbeitsmarktservice wenden, dem entspricht in Deutschland die Agentur für Arbeit. Dann versucht es die noch mal mit Ihnen und eine Vermittlung in eine betriebliche Ausbildungsstelle. Dann folgt ein zehnwöchiger Orientierungsvorbereitungskurs, wo auch geguckt wird, was für Kompetenzen, was für Stärken, Schwächen hat der Jugendliche.
Und wenn auch dabei die Vermittlung nicht gelingt, dann hat er Anspruch auf einen öffentlich geförderten Ausbildungsplatz. Das ist aber nur der Einstieg. Normalerweise oder viele von denen wechseln dann nach einem Jahr von der öffentlich geförderten in die betriebliche Ausbildung und machen dann ganz normal im Betrieb ihren Abschluss. Auf jeden Fall sind die Abschlüsse aber gleichgestellt, ob jetzt öffentlich beendet oder im Betrieb abgeschlossen.
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Überbetriebliche Ausbildung betriebsnah gestalten

Jungblut: Diese überbetriebliche Ausbildung, die da ein Jahr wahrscheinlich dann laufen soll, wie praxisnah kann denn so was sein, wenn das ja so überbetrieblich stattfindet?
Wieland: In Österreich ist das so gestaltet, das wird von einem Träger durchgeführt – die verwenden den Begriff überbetrieblich ein bisschen anders –, also einem Bildungsträger durchgeführt, aber in enger Kooperation mit einem Partnerbetrieb. Es gibt eine Variante, da ist das ein fester Betrieb, das ist dann schon sehr einem Ausbildungsverhältnis ähnlich, und es gibt noch eine andere Variante, da sind es in Praktika in unterschiedlichen Betrieben. Aber das ist schon ein besonderes Merkmal, dass es sehr betriebsnah gestaltet ist, um eben auch die Anschlussfähigkeit zu gewährleisten.

Ausbildungsgarantie als Bindeglied zwischen Jugendlichem und Betrieb

Jungblut: Wenn man sich jetzt mal die Seite der Betriebe anschaut, da klagen ja seit vielen Jahren viele Betriebe darüber, dass es eben nicht mehr genug qualifizierte Bewerber gibt. Das ändert ja dann aber auch so eine Ausbildungsgarantie nicht wirklich, oder?
Wieland: Ach, ich glaube schon, dass eine Ausbildungsgarantie nicht in Konkurrenz zur betrieblichen Ausbildung steht, sondern sie auch ergänzen kann. Gut, viele Betriebe sagen, sie bekommen überhaupt keine Bewerbungen, aber manche bekommen ja auch Bewerbungen, aber die Bewerber sind ihnen einfach noch nicht genügend qualifiziert – die sogenannte Ausbildungsreife wird da immer bemängelt.
Da kann die Ausbildungsgarantie auch als Bindeglied wirken, nämlich gerade dadurch – Jugendliche, die leer ausgehen, machen ihren Einstieg in der öffentlich geförderten Ausbildung, dann gehen sie über in die betriebliche, und das ist dann ein Vorteil für beide Seiten: Der Jugendliche bekommt einen Ausbildungsplatz und der Betrieb einen bereits vorqualifizierten Jugendlichen, der dann direkt zum Beispiel ins zweite Ausbildungsjahr übernommen werden kann.

"Wir hätten besser qualifizierte Jugendliche"

Jungblut: Sie beziffern die Kosten da mit 1,44 Milliarden Euro, das ist ja ganz schön viel. Meinen Sie, das ist politisch durchzusetzen?
Wieland: Ach, das kommt immer auf die Relationen an. Wir haben ja auch ausgerechnet, was das langfristig bringen würde. Also, was das bewirkt, ist ja, wir hätten besser qualifizierte Jugendliche. Da würde die Arbeitsproduktivität steigen, sie würden dazu beitragen, dass das Bruttoinlandsprodukt steigt, damit auch die Einnahmen aus Steuern und Sozialversicherungen – das muss man zum einen sehen.
Zum anderen ist es ja jetzt auf der Grundlage eben von 20.000 zusätzlichen Absolventinnen, das sind dann 72.000 Euro pro Kopf, da sind aber auch schon die Abbrecher miteingerechnet. Und was wir auch noch nicht abgezogen haben, sind die Kosten, die man einspart dadurch, dass man zum Beispiel keine Übergangsmaßnahmen mehr braucht. Also, es ist nicht so viel, wie man auf den ersten Blick denkt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.