Eine Grundschule in Berlin. "Lillith, wo hast du den Bogen? Eigentlich müsstest du die neun üben, dazu brauchst du die Sandkiste."
Die Kinder hier starten unter verschiedensten Voraussetzungen in ihr Schulleben. Im Moment ist Freiarbeit. Dadurch sollen die Kinder individuell gefördert werden. Dass dies gelingt, dazu sind zwei Lehrerinnen in der Klasse. Nur zu zweit, davon ist Gabriele Roth überzeugt, seien sie in der Lage, die erforderliche Aufmerksamkeit aufzubringen.
"Man muss vorher sehr genau überlegen, was man tut, wie man es tut, für welches Kind, welches Material an dieser Stelle geeignet ist. Und man muss sehr genau planen. Auch zu zweit sehr genau planen. Also wir sitzen jede Woche zwei Stunden und planen sehr genau den Unterricht durch."
Grundschulen besonders vom Lehrermangel betroffen
Dass zwei Lehrerinnen in einer Klasse arbeiten, das wünscht sich Doro Moritz eigentlich für die meisten Schulen. Sie ist Vorsitzende der der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft – kurz GEW - in Baden Württemberg.
"Wir haben an den Grundschulen die Situation, dass nicht alle Stellen besetzt werden. Und die Grundschule ist der Beginn der schulischen Bildungskarriere. Das ist durchaus dramatisch."
Gerade hier aber ist der Lehrermangel besonders hoch. Von 1500 ausgeschriebenen Stellen konnten im Südwesten in diesem Schuljahr nur 1000 besetzt werden, so rechnet es die Gewerkschafterin vor. Und laut Dirk Zorn von der Bertelsmann Stiftung ist das erst der Anfang.
"In unserer neuen Studie haben wir uns in die Zukunft gewagt und müssen konstatieren, dass sich dieser Lehrermangel in den nächsten Jahren noch deutlich verschärfen wird. Insbesondere bis 2025 könnten bis zu 35.000 Lehrkräfte fehlen. Die Absolventenzahlen an den Lehrerbildenden Hochschulen halten mit dem Bedarf nicht Schritt."
Wie kann man kurzfristig reagieren?
Danach würde selbst eine kurzfristige rasche Erhöhung der Studienplätze, keine Abhilfe schaffen. Denn ein Studium auf Grundschullehramt dauert etwa sieben Jahre. Und die bundesweit 35.000 Lehrerstellen fehlen genau in den kommenden sieben Jahren, so Dirk Zorn.
"Das heißt, wir brauchen kurzfristige Maßnahmen."
Zum einen sollten Lehrerinnen dazu gebracht werden, später in Rente zu gehen oder nach dem Ausscheiden noch als Aushilfe weiter zu arbeiten. Außerdem empfiehlt die Stiftung, Lehrerinnen davon zu überzeugen, statt in Teilzeit in Vollzeit zu arbeiten. Dem kann sich Uschi Kruse, Vorsitzende der GEW in Sachsen, nur anschließen.
"In Sachsen sind zirka ein Drittel der Lehrkräfte insbesondere an Grundschulen sind Teilzeitbeschäftigt. Dort die Vollzeit anzureizen wäre einfach nur eine kluge Idee. Die Kollegen machen nun nicht Teilzeit, weil sie weniger Geld verdienen wollen, sondern weil sie mit der Belastung individuell umgehen. Und man kann die Kollegen nur in die Vollzeit bekommen, wenn man sie entlastet."
Doch gerade durch den Lehrermangel sei momentan das Gegenteil der Fall, so Uschi Kruse. Auch Katharina Kerner beobachtet, dass sich die Arbeitsbelastung der Lehrer immer weiter erhöht. Sie hat gerade ihre Tochter in die Schule gebracht. Sie geht hier im Westen von Leipzig in die dritte Klasse.
"Man merkt das hier auch an der Schule. Also wenn man dann sieht: Lehrerinnen mit Trillerpfeifen auf dem Gang die Kinder reinholen. Ja womit hat das zu tun? Mit 'ich kriege es anders nicht mehr geregelt'. Natürlich ist das eine Belastung, auf jeden Fall."
Quereinsteiger werden ins kalte Wasser geworfen
Auch in Sachsen gibt es viel zu wenig ausgebildete Lehrer. Deshalb setzt man hier massiv auf Quereinsteiger, also keine ausgebildeten Pädagogen. Über die Hälfte der neu eingestellten Lehrer für die Grundschulen waren in diesem Schuljahr Quereinsteiger. Diese werden berufsbegleitend, während sie schon unterrichten, pädagogisch ausgebildet und geschult.
"Transparent für uns gibt es kein System und keinen Leitfaden, wie werden die betreut. Es gibt auch von der Bildungsagentur sicherlich Empfehlungen. Aber letzten Endes macht das jede Schule, wie sie möchte. Ne? Und dann gibt es Schulen, die haben ein gutes System dafür, ein gutes Betreuungssystem, Analysesystem und dann gibt es Schulen, die haben das eben nicht."
Katharina Kerner sieht durchaus, dass viele Quereinsteiger motiviert sind, engagiert mit den Kindern arbeiten und guten Unterricht machen. Aber dass sie erst einmal ins kalte Wasser geworfen werden, sei ein Unding.
"Und das ist natürlich eine Belastung. Die Pädagogik, die trinkt man ja nicht mit dem Strohhalm, sondern das ist ja auch schon was, mit so einem Erstklässler zu kommunizieren."
Konkurrenzkampf um Lehrer
Die heutige Praxis, so Kerner, führe dann an den Schulen wieder zu mehr Stress, da das vorhandene Kollegium den neuen Lehrern erst vieles beibringen müsse und sie oft zu Schulungen fehlten.
"Das ist so ein Teufelskreislauf. Es gibt ja immer Lehrerinnen, die diesen Lehrermangel ausgleichen sozusagen, die das dann auch irgendwann trifft und die dann auch natürlich unter dieser Belastung leiden."
Dirk Zorn von der Bertelmann-Stiftung sieht außerdem die zunehmende Konkurrenz um Lehrer kritisch. Schon heute buhlen die Bundesländer, städtische und ländliche Regionen und auch die Schulen untereinander um diese ausgebildeten Pädogen.
"Wir kriegen ein Problem mit der Chancengerechtigkeit insofern, als dass die Schulen, die in sowieso schon besonders herausgeforderten sind, weil sie in schwierigen sozialen Lagen sind, mit Schülern zu tun haben, die in vielfachen sozialen Herausforderungssituationen leben. Diese Schulen werden verstärkt mit Seiteneinsteigern arbeiten müssen."
Die Chancen für sozial benachteiligte Kinder durch gute Bildung gesellschaftlich aufzusteigen würden dadurch weiter sinken. Das müsse man auf jeden Fall verhindern, so Dirk Zorn.