Nein, zimperlich geht Brigitte Hamann mit ihrer Protagonistin nicht um. Bei allem Respekt, der für Suttners Lebenswerk im Buch oft durchscheint, offenbart Hamann dem Leser auch alle Schwächen und Tiefen, die zur Vita der Aktivistin gehörten. Größtenteils chronologisch, später nach Schwerpunkten geordnet führt die Historikerin durch das Leben einer Vorkämpferin für Frieden und Demokratie. Im Vorwort erläutert Hamann:
"Gerade das breite Spektrum der Sujets Politik, Pazifismus, Literatur, Journalismus, Frauenbewegung, Liberalismus, österreichische Aristokratie und internationales Mäzenatentum bildete für mich den Anreiz, Bertha von Suttners Leben in ihrer Zeit auszuleuchten."
Suttner selbst legte Wert darauf, dass ihre "schale, flitterige, kleine Jugend" in ihren Memoiren thematisiert wurde. Und so lässt auch die Biografin dieses Kapitel nicht aus. Man erfährt vom Geburtsmakel, der bürgerlichen Mutter, welcher der Komtesse Bertha von Kinsky eine vollwertige Zugehörigkeit zum österreichischen Adel verwehrte, vor allem da ihr Vater, Graf Kinsky, kurz vor ihrer Geburt 1843 gestorben war. Man folgt Mutter und Tochter durch verschiedene Phasen existenzieller Nöte. Nicht zuletzt daher war die junge Bertha lange nur auf eines aus: eine gute Partie zu erwischen, ohne Erfolg.
Ein Glücksfall für ihren Lebenslauf war die etwa gleichaltrige Cousine Elvira. Nach dem Tod des Onkels lebten sie und die Tante bei Bertha und ihrer Mutter. Die belesene Elvira machte großen Eindruck auf die damals knapp zwölfjährige Bertha, wie Hamann schildert, und brachte sie seitdem zum Studium der Klassiker und der Philosophen. Das verschaffte Bertha schließlich die Möglichkeit, ihre Existenz selbst zu sichern, als Gouvernante. Im Alter von 30 Jahren trat sie eine Stelle im Haus des Barons Carl von Suttner an. Dort lernte sie den sieben Jahre jüngeren Arthur kennen, mit dem sie drei Jahre später durchbrannte. Sie heirateten heimlich und wanderten in den Kaukasus aus. Bertha hoffte dort auf Unterstützung einer befreundeten Fürstin. Dieser Plan ging nur zum Teil auf, und das Paar schlug sich mehr schlecht als recht mit der Schriftstellerei durch. Hamann macht deutlich, dass Bertha von Suttner dieses Kapitel in ihren Memoiren offensichtlich geschönt hat.
"Dieses auffällige Fehlen von Berichten über die georgische Zeit kann nur auf Bertha selbst zurückgehen. Als sie ihre Memoiren schrieb, sichtete sie ihre Papiere und hob nur das auf, was ihre eigene, recht idyllische Schilderung unterstützte. Sehr bewusst bereitete sie künftigen Biografen das Material auf, mit dem sie zu arbeiten hatten."
Der Autorin gelingt es dennoch eindrücklich, die Armut und Entbehrung zu schildern, die das Paar in dieser Zeit durchlitten haben muss. Was beide aber auch zur Kreativität anspornte, Bertha überhaupt erst zum Schreiben brachte. Und Hamann zeichnet nach, wie sich Bertha von Suttner Fähigkeiten aneignete, die ihr späteres Handeln so erfolgreich machten. Sie warb für ihre Arbeit, schrieb anderen Autoren bewundernde Briefe und forderte Rückmeldungen auf ihre eigene Arbeit ein. Sie bat um Unterstützung, inhaltlich wie finanziell. Hamann führt aus, wie sich Bertha und Arthur mit verschiedenen Theorien und Ansätzen vertraut machten und darüber austauschten. In dieser Zeit entwickelte sich Bertha von Suttners Auffassung, dass sich der Mensch – der Darwinschen Theorie folgend - zu einem friedfertigen Wesen weiterentwickeln könne:
"Dieser Glaube, dass der Mensch sich quasi nach einem Naturgesetz fortwährend weiterentwickele vom Laster zur Tugend, vom Hass zur Liebe, von der Bestialität zur Humanität, gab Bertha einen schier unerschütterlichen Optimismus, der von skeptischen Zeitgenossen später meist weniger freundlich als Naivität abgetan wurde."
Weniger freundlich ist auch das Echo auf Berthas literarische Qualitäten, wie Hamann darlegt. Und sie scheint diese Einschätzung zu teilen. Suttner schrieb Romane, Erbauungsliteratur und konnte sich und ihren Mann damit über Wasser halten. Ihre Artikel und späteren Bücher allerdings, in denen sie ihren Fortschrittsgedanken weiterentwickelte, fanden schon mehr Beachtung.
1886, als ein Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Russland auszubrechen drohte, kehrten die Suttners nach Österreich zurück. Bertha war damals 42 Jahre alt. Ihre schriftstellerische Arbeit setzte sie fort, und sie wurde politischer. Sie kritisierte die Aufrüstungsprogramme, das veraltete Bildungswesen, den Antisemitismus und die Diskriminierung der Frau. Diese zweite, sehr aktive Lebenshälfte nimmt zu Recht den größten Teil des Buches ein. Der Leser kann schrittweise nachvollziehen, wie das praktische pazifistische Engagement begann, wie ihr berühmter Antikriegsroman "Die Waffen nieder" entstand und wie es dazu kam, dass Suttner die österreichische Friedensgesellschaft mit gleich 2000 Mitgliedern gründete sowie internationale Friedenskongresse organisierte.
"Ihre Aufgaben bei den Kongressen gingen weit über die Repräsentation hinaus. Denn fast immer gab es Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Nationen zu schlichten, meist wegen gerade akuter politischer Probleme, die sich auch in die Reihen der Friedenskämpfer schlichen. Oft brauchte sie ihre ganze Kraft und Überzeugungsstärke, um die Kampfhähne zu versöhnen."
Eine mühsame und von wenig Erfolg gekrönte Arbeit, wie die Autorin deutlich macht.
Auf die Spur der Friedensbewegung ist Bertha nach Hamanns Ansicht durch Alfred Nobel, ihren Freund und Förderer, gekommen. Der Sprengstofffabrikant steckte in einem moralischen Dilemma und unterstützte Friedensaktivisten, mit denen er Suttner nach ihrer Rückkehr aus dem Kaukasus zusammenbrachte. Für ihre spätere Arbeit floss regelmäßig Geld, und nach seinem Tod 1896 ließ Nobel bekanntermaßen einen Fonds einrichten:
"... aus dessen Zinsen jährlich fünf Preise zu verteilen seien für jene, die, ungeachtet ihrer Nationalität, für das Wohl der Menschheit Ersprießliches geleistet hätten, und zwar auf dem Gebiet der Physik, der Chemie, der Medizin, der Literatur und für "denjenigen oder diejenige, welcher oder welche am besten für die Verbrüderung der Menschheit, die Herabminderung der Heere und die Förderung von Friedenskongressen gewirkt hat."
Zu Recht erkannte Suttner sich in diesen Formulierungen wieder; bis sie den Preis schließlich bekam, musste sie allerdings noch neun Jahre warten. Hamann verdeutlicht, wie visionär Suttners Vorstellungen zum Teil waren, so schrieb sie von einem vereinten Europa, das den Frieden sichern sowie wirtschaftliche Vorteile bringen sollte.
Die Bemühungen um eine Friedenskonferenz in Wien gehörten zu Suttners letzten Aktivitäten, sie starb im Juni 1914, unmittelbar vor Ausbruch des Krieges, vor dem sie 20 Jahre lang gewarnt hatte. Die Konferenz fand nie statt, und die österreichische Friedensgesellschaft wurde von den Behörden kaltgestellt.
Brigitte Hamann ist es gelungen, eine ungewöhnliche Vita kritisch und zugleich lebendig in nachahmenswert unwissenschaftlicher Sprache aufzuarbeiten. Die laufend eingefügten Zitate aus Tagebüchern, Briefen und Memoiren machen die Lektüre angenehm. Allerdings hätte hier und da noch etwas mehr Distanz zu den Quellen gut getan.
Dass die Historikerin Hamann die politischen Ereignisse aus Suttners Lebenszeit nur streift, ist ein weiterer Pluspunkt des Buches. Die Ursachen und die offensichtliche Unvermeidbarkeit des Ersten Weltkrieges werden in dieser Biografie mehr als deutlich, auch ohne etliche Daten, Namen und Konfliktherde aufzuzählen.
Brigitte Hamann: "Bertha von Suttner. Kämpferin für den Frieden"
Christian Brandstätter Verlag, 320 Seiten, 25 Euro
ISBN: 978-3-85033-755-7
Christian Brandstätter Verlag, 320 Seiten, 25 Euro
ISBN: 978-3-85033-755-7