Frauen bei der Arbeit im Musée d'Orsay: Zur Pressevorbesichtigung der Berthe-Morisot-Ausstellung sind fast ausschließlich Journalistinnen gekommen. Zwei Frauen haben die Schau kuratiert. Und "Femmes au travail" – "Frauen bei der Arbeit" ist auch ein Raum der Ausstellung überschrieben. Wir sehen Frauen beim Wäsche aufhängen, bei der Näharbeit, beim Hantieren mit Kittelschürze in Küche und Esszimmer; das Kindermädchen mit dem Kind. Und wir sehen eine Künstlerin bei der Arbeit. Berthe Morisot – sie hat sich ganz in der Tradition der Künstler-Selbstporträts gemalt. In der rechten Hand Palette und Pinsel, der Blick ist auf die Betrachterinnen und Betrachter des Bildes gerichtet. Es ist ein provokanter Blick.
"Berthe Morisot war sich ihres künstlerischen Werts bewusst, auch wenn sie oft zweifelte", sagt die Kuratorin Sylvie Patry.
"Die Tatsache, dass sie heute weniger bekannt ist als die anderen Impressionisten, hängt zweifellos damit zusammen, dass sie eine Frau war. Man hat sie weniger ernst genommen. Ihr ging es darum als professionell anerkannt zu werden, als "echte" Künstlerin, für die Malerei Arbeit ist. Und nicht nur ein ‚charmantes Talent‘ wie man damals sagte."
Intimität statt Kneipenatmosphäre
Berthe Morisot war eine "Malerin des modernen Lebens" und stand als solche ihren männlichen Kollegen in nichts nach. Dem dominierenden Klassizismus in der Malerei des 19. Jahrhunderts, der akademischen Pflicht zu historischen oder mythologischen Motiven und Themen setzt sie Momentaufnahmen des Lebens entgegen. Als Frau der französischen Bourgeoisie konnte sie das moderne Leben allerdings nicht wie die männlichen Impressionisten in den Bars, Cabarets und Theaters von Paris malen.
"Ihre Malerei des modernen Lebens ist eine Malerei des Innenlebens, der Intimität, letztlich zeigt sie die neue Lebensweise in den Pariser Appartements, das Leben mit der Familie und Freunden. Seestücke oder Strandszenen verweisen auf die Entwicklung des Tourismus in der Normandie. Sie malt keine Sozialchronik, keine Dokumente; es ist einfach die Welt, wie sie um sie herum ist. Modernes Leben, dass würdig genug ist, Gegenstand eines künstlerischen Werks zu sein."
Weniger pompös, aber nicht weniger bedeutend
Auch die impressionistischen Männer malten häusliche Szenen. Bei Berthe Morisot aber war das Fehlen vermeintlich spektakulärer Gemälde ein Vorwand, ihre Malerei weniger ernst zu nehmen. Dass sie an fast allen Ausstellungen der Impressionisten teilnahm, Edgar Degas sie in der impressionistischen Gruppe für "unverzichtbar" hielt und ihre Bilder zeitweise sogar höhere Preise erzielten als die der Männer – es half nicht. Berthe Morisot wurde nach ihrem Tod 1895 zu einer Randfigur der Kunstgeschichte. Frappierend zeigt sich diese Marginalisierung jetzt auch in der Ausstellung im Musée d’Orsay.
"Gut 40 Prozent der Werke stammen aus Privatsammlungen. Das zeigt das geringe Interesse der Museen an Berthe Morisot. Außer im Pariser Marmottan-Museum, das eine Schenkung der Familie bekam, gibt es kaum Bilder von ihr in musealen Sammlungen."
Spiel mit den Grenzen zur Abstraktion
Und das obwohl Morisot künstlerisch oft sogar radikaler, moderner erscheint als die berühmten Männer: In ihrer lichten, gestisch immer freier werdenden Malerei lösen sich Formen und Linien auf. In einem Seestück von 1875 sind die Menschen im Vordergrund kaum mehr als Farbe. In ihren Gartenszenen verschwimmen Menschen und Pflanzen in grünem Licht. Ähnlich wie Monet in seinen Seerosenbildern spielt Morisot mit den Grenzen zur Abstraktion. Was die zeitgenössische Kritik offenbar als weibliche Zögerlichkeit interpretierte. "Der Engel des Unfertigen" nannte sie 1880 ein Journalist.
Erst in den 1970er und 80er Jahren entdeckte eine neue Generation feministischer Kunsthistorikerinnen, vor allem in den USA und Großbritannien, die Impressionistin Berthe Morisot neu. Auch die Initiative zur aktuellen Ausstellung kam aus Nordamerika, wo sie – in Quebec, Philadelphia und Dallas – gezeigt wurde.
"Ungeachtet dessen, dass sie eine Frau ist, ist sie eine großartige Malerin," sagt Ko-Kuratorin Nicole Myers vom Dallas Museum of Art, "aber es ist sehr wichtig, an die Schwierigkeiten zu denken, mit denen sie im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen konfrontiert war."
Willkommen im 21. Jahrhundert
Das Musée d'Orsay geht jetzt noch einen Schritt weiter. Parallel zu der längst überfälligen und absolut sehenswerten Berthe Morisot-Schau wird in einigen Tagen ein neuer Parcours durch die Sammlung des Museums führen: Unter dem Titel "Frauen, Kunst und Macht" soll die Aufmerksamkeit auf Künstlerinnen, Sammlerinnen, Mäzeninnen und Kunstkritikerinnen gelenkt werden. Frankreichs Museum des 19. Jahrhunderts ist im 21. Jahrhundert angekommen. Endlich.