Nur wenige Betriebe geben Jugendlichen mit Handicap eine Chance, eine Ausbildung zu beginnen. Konferenz der Ebert-Stiftung am Dienstag (13.10.)
Benjamin Bechtle sitzt in einem elektronischen Rollstuhl. Er leidet seit seiner Kindheit an einer Muskelkrankheit. Seine Behinderung hat den 27-jährigen aber nicht davon abgehalten, eine normale Regelschule zu besuchen. Mit 18 Jahren hatte er sein Abi in der Tasche. Danach wollte er gerne eine Ausbildung machen. Am liebsten im kaufmännischen Bereich, erzählt er. Viele Bewerbungen habe er geschrieben. Nur zwei Mal sei er zu einem Gespräch eingeladen worden. Und nach der Vorstellungsrunde habe es dann geheißen, für den Job sei er überqualifiziert.
Benjamin Bechtle:
"Also mein Eindruck war, dass die Unternehmen einfach a) Berührungsängste haben mit Menschen mit Behinderungen und b) sehr skeptisch sind, wenn ein Mensch mit Behinderung Abitur auf einer Regelschule hat, nicht den Sonderweg gegangen ist, also komplett ohne Sonderkindergarten, Sonderschule wie auch immer ausgekommen ist, das ist einem Unternehmen total suspekt schon von vorneherein.
"Also mein Eindruck war, dass die Unternehmen einfach a) Berührungsängste haben mit Menschen mit Behinderungen und b) sehr skeptisch sind, wenn ein Mensch mit Behinderung Abitur auf einer Regelschule hat, nicht den Sonderweg gegangen ist, also komplett ohne Sonderkindergarten, Sonderschule wie auch immer ausgekommen ist, das ist einem Unternehmen total suspekt schon von vorneherein.
Also blieb Benjamin Bechtle nichts anderes übrig, als zu studieren. Ganz ähnlich erging es auch Janis Geiger. Der junge Mann ist schwerhörig. Auf dem Podium der Friedrich-Ebert-Stiftung spricht er Gebärdensprache über seine frustrierenden Beratungstermine bei der Bundesagentur für Arbeit. Sein Berufswunsch Berater für Gesundheitsvorsorge deckte sich nicht mit den Jobangeboten der Arbeitsagentur für Schwerbehinderte. Also blieb auch Janis Geiger nichts anderes übrig, als zu studieren. Jahr für Jahr verlassen etwa 50.000 Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf die Schulen. Aber nur ein Bruchteil davon absolviert eine betriebliche Ausbildung. Dabei würden laut einer Bertelsmann-Studie 52 Prozent der befragten Betriebe gerne mehr behinderte Jugendliche ausbilden. Wo also liegt das Dilemma? Schon in der Diagnose, meint der Göttinger Soziologieprofessor Martin Baethge.
"Wir diagnostizieren für das System, das Unterstützungsleistungen gewährt und nicht für das System, das ausbildet. Wir plädieren im Nationalen Bildungsbericht deswegen dafür, eine stärkere Akzentuierung der Ausbildungs- und Lernvoraussetzungsdiagnostik und Lernverlaufsdiagnostik.
Bundesagentur setzt bei Inklusion nur auf Freiwilligkeit
Ausbilder – egal ob in Betrieben oder Berufsbildungswerken – müssen über mehr psychologische, diagnostische und sonderpädagogische Kenntnisse verfügen, fordert Baethge. In Verbindung mit einem dualen Vorbereitungsjahr könnten es viel mehr Jugendliche in eine betriebliche Ausbildung schaffen. Aber wenn die Bundesregierung beim Thema betriebliche Ausbildung weiterhin auf Freiwilligkeit setze, dann werde sich auch in Zukunft an den Zahlen nichts ändern. Sandra Theede, Inklusions-Beraterin bei der Berliner Industrie- und Handelskammer ist gegen solch eine verpflichtende Regelung.
Sandra Theede:
"Ich finde, der Gedanke der Inklusion bedeutet auch eine gewisse Freiwilligkeit, ein Verständnis für Inklusion entwickeln."
"Ich finde, der Gedanke der Inklusion bedeutet auch eine gewisse Freiwilligkeit, ein Verständnis für Inklusion entwickeln."
In Deutschland gibt es inzwischen mehrere Programme, die behinderten Jugendlichen den Sprung in eine betriebliche Ausbildung erleichtern sollen, lobt Theede. Parallel wachse auch das Interesse der Unternehmen. Aber wer einem behinderten Jugendlichen eine Ausbildung anbietet, der muss erst einmal einen Behördenmarathon absolvieren. Das schrecke viele wieder ab, sagt die IHK-Inklusions-Beraterin.
Behördenmarathon bremst Unternehmen aus
Sandra Theede:
"Wenn man sich da ganz neu mit beschäftigt, dann gibt es verschiedene Förderkreise, den Integrationsfachdienst, dann gibt es einen technischen Berater, es gibt die Agentur für Arbeit, vielleicht auch die Deutsche Rentenversicherung Bund, das heißt, als Arbeitgeber muss ich erst einmal schauen, wen stelle ich ein."
Konzerne können sich diese Recherche leisten, kleinere und mittelständische Betriebe aber oft nicht. Darum wäre es hilfreich, wenn es bei den Behörden künftig nur einen Ansprechpartner gebe, findet auch Rollstuhlfahrer Benjamin Bechtle.
"Dass man wüsste okay, wen ich dann anspreche, der organisiert alles durch, holt die anderen ins Boot, die sich dran beteiligen sollen, dann wird es viel einfacher. "
Benjamin Bechtle hat es aus eigenem Antrieb geschafft. Nach seinem Studium arbeitet er jetzt als Referent an einem Bildungsinstitut. Aber nicht jeder behinderte Jugendliche ist vermutlich so hartnäckig, wie er es damals war.