Stephanie Gebert: Das Berufsbildungsgesetz ist vom Bundestag verabschiedet worden. Welche Fortschritte es für die Azubis bringen könnte, haben wir schon ansatzweise in der Diskussion gerade im Parlament gehört, aber auch die Kritik daran, und die haben auch die Gewerkschaften schon im Vorfeld oft und durchaus vehement formuliert. Matthias Anbuhl ist für den Bildungsbereich im Deutschen Gewerkschaftsbund DGB zuständig.
Fangen wir mal mit dem Positiven an: Sie sehen ja durchaus Vorteile in der Reform des Berufsbildungsgesetzes. An welcher Stelle würde die Ministerin denn Applaus vom DGB für ihre Arbeit bekommen?
Anbuhl: Nun, man kann sagen, dass das Reformpaket, das jetzt heute verabschiedet wurde vom Parlament, auf den letzten Metern wirklich deutlich gewonnen hat. Der Applaus gebührt dabei allerdings weniger der Ministerin als den Parlamentariern, die hier nachgebessert haben. Ich denke, dass die Bedingungen für die Auszubildenden, für die Berufsschulen, aber auch für die Ehrenamtlichen, die in diesem System auch tätig sind, deutlich besser geworden sind. Wir sind sehr zufrieden mit der Mindestvergütung für Auszubildende. Wir sehen, dass der Besuch der Berufsschule für die Auszubildenden in Zukunft deutlich besser gestaltet wird, davon profitieren die Azubis, aber auch die Berufsschulen. Wir sehen auch, dass es jetzt eine Freistellung für ehrenamtliche Prüferinnen und Prüfer gibt, das heißt, die kommen garantiert aus ihrem Betrieb raus, wenn sie prüfen wollen. Auch die Lernmittelfreiheit für die Azubis wurde verbessert. Also da gibt es einige Punkte, die in der letzten Woche noch mit beschlossen worden, mit in das Gesetzespaket gekommen sind, und das führt dazu, dass wir sagen, dieses Gesetzespaket hat wirklich den Namen Reform verdient.
"Mindestausbildungsvergütung wird schrittweise erhöht"
Gebert: Ich würde ganz gerne einhaken wollen bei dem ersten Punkt, den Sie genannt haben, nämlich die Vergütung. Sie sagen, es ist gut, dass es jetzt einen Mindestlohn für Azubis gibt, aber effektiv müssen doch nur wenige Betriebe ab sofort mehr zahlen, denn die Betriebe, die zwar nach Tarif zahlen, aber sehr schlecht bezahlen, können das auch weiterhin tun.
Anbuhl: Nun, nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sind es ungefähr erst mal zunächst 110.000 Jugendliche, die von der Mindestausbildungsvergütung sofort profitieren würden, ungefähr sieben Prozent der Auszubildenden, aber in der Tat ist in dem Gesetzesentwurf ein Übergang noch geplant von den Jahren 2020 bis 2023, ein Übergang, wo die Mindestausbildungsvergütung erst mal schrittweise erhöht wird. Bei den Tarifverträgen ist auch eine Anpassung vorgesehen, da muss man aber beachten, im Gesetz steht, läuft ein Tarifvertrag aus, dann bekommen die Jugendlichen sofort die Mindestausbildungsvergütung. Wird er gekündigt von der Gewerkschaft, dann bekommen die Jugendlichen, also die Azubis, die neuen auch sofort die Mindestausbildungsvergütung, und ich kann mir nicht vorstellen, dass dann eine DGB-Gewerkschaft noch einen Ausbildungsvertrag unterhalb der Mindestausbildungsvergütung bekommt. Das heißt, ich denke, das ist ein Übergang für die nächsten ein, zwei Jahre. Dann ist die Anpassung aber voll da. Was man auch noch beachten muss, was auch auf den letzten Metern ins Gesetz genommen wurde, es sind zusätzliche Zielgruppen noch eingefügt, und zwar Jugendliche, die eine Ausbildung machen, von der Bundesagentur gefördert, bei einem Träger eine außerbetriebliche Ausbildung, die bekamen bisher 390 Euro, auch die bekommen jetzt die Mindestausbildungsvergütung, und auch Menschen mit Behinderung, die bekommen ein Ausbildungsgeld, wenn sie beim Berufsbildungswerk sind, und auch deren Geld wir angehoben auf die Mindestausbildungsvergütung, sodass wir denken, dass eine große Zahl von Jugendlichen profitiert und diese Zahl auch weiter wachsen wird in den nächsten Jahren.
Weiterbildung attraktiver machen
Gebert: Kommen wir mal zu einem Kritikpunkt. Sie haben gesagt, Sie selber sehen viel Licht, aber auch einiges an Schatten. Viel Kritik hat sich die Ministerin vorab schon eingehandelt für ihre Idee, neue Bezeichnungen für die Weiterbildung in den Berufen zu schaffen. Etikettenschwindel, sagen die Kritiker, die Bundesbildungsministerin erhofft sich aber dadurch einen besseren Überblick über die Abschlüsse und dass die berufliche Bildung insgesamt attraktiver wird, auch für Abiturienten. Werden die jetzt mit den neuen Bezeichnungen reihenweise in die Ausbildung starten, oder was ist der Effekt? Was glauben Sie aus DGB-Sicht?
Anbuhl: Na ja, ich glaube erst mal nicht, dass die Ausbildung attraktiver wird, weil der Bäckermeister jetzt in Zukunft vielleicht den Zusatz Bachelor-Professional haben soll, sondern ich glaube, dass wir in der Tat mit Meister, Fachwirt und Techniker auch schon sehr etablierte Titel haben. Zweitens glaube ich, das geht ja um die Aufstiegsfortbildung, das heißt, dieser Bachelor-, Mastertitel für die normalen Azubis, die eine drei-, dreieinhalbjährige Ausbildung machen, greift hier ja gar nicht, sondern es gilt für die Leute, die dann später sich noch weiterqualifizieren wollen. Auch die gucken eher auf den Inhalt, nicht auf das Etikett, was draufklebt. Das heißt, die sagen, habe ich eine hohe Qualität, kann ich das verwerten am Arbeitsmarkt. Deswegen hätten wir uns eigentlich auch gewünscht, wenn man die Aufstiegsfortbildung aufwerten will, dass man nicht einfach nur ein Etikett dranpappt, sondern dass man wirklich schaut, was passiert inhaltlich, denn bisher ist es bei den Aufstiegsfortbildungen nur so, dass die Prüfungsanforderungen definiert werden, der Lernprozess daher nicht, und wir würden uns wünschen, dass man die Qualität anhebt und nicht einfach nur einen neuen Zettel draufklebt.
Bei Prüferinnen und Prüfern stehe Riesengenerationenwechsel an
Gebert: Und Prüfung ist vielleicht auch ein ganz gutes Stichwort. Die Prüfer hatten Sie auch genannt, die Situation der Prüferinnen und Prüfer. Bislang ist das ein Ehrenamt, das aber zentral ist natürlich für die berufliche Bildung. Diejenigen, die sich da freiwillig engagieren, können freigestellt werden, wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, aber die gucken, was das Finanzielle angeht, weiterhin in die Röhre.
Anbuhl: Nun, also erst mal ist es richtig, dass das Prüferehrenamt ganz, ganz wichtig ist für die duale Ausbildung, weil die Betriebe auch wollen, dass die jungen Auszubildenden von Praktikern geprüft werden, die den Betriebsalltag, die Anforderungen der Arbeitswelt kennen. In der Tat stehen wir da vor einem Riesengenerationenwechsel, und wir stellen fest erst mal, dass viele Prüfer eigentlich gar nicht aus dem Betrieb kommen, um die Prüfungen zu machen. Das heißt, die prüfen dann … entweder nehmen sie Urlaub für die Prüfung oder sie prüfen am Wochenende, und das wird zunehmend schwieriger, Prüfer für dieses Ehrenamt zu gewinnen, weil sie sagen, nein, wir wollen jetzt nicht noch unseren Urlaub aufgeben, wir wollen nicht Gehaltsverzicht haben, sondern wir wollen auch eine Anerkennung dafür haben. Da ist das als erster Schritt schon mal wichtig, dass wir jetzt ein Gesetz verankert bekommen, die Freistellung, das ist auch neu jetzt, aber in der Tat ist dies nur der erste Schritt. Der zweite Schritt ist, dass wir eigentlich auch den Verdienstausfall ausgeglichen bekommen müssen, denn nur so können wir es schaffen, den Generationswechsel auch wirklich aufzufangen, der bei dem Prüferehrenamt ansteht. Die Bundesregierung hat vereinbart, jetzt erst mal zu evaluieren und zu gucken, wie sich die Zahl der Prüferinnen und Prüfer entwickelt und wird in fünf Jahren noch mal Bilanz ziehen. Da kann ich schon garantieren, dass wir als DGB sagen, in fünf Jahren stehen wir hier und werden auch für Verbesserungen im Ehrenamt eintreten.
Gebert: Machen wir mal einen Strich drunter unter das, was da heute beschlossen wurde. Welche Note bekommt das Bundesministerium für Bildung bei der Reform von Ihnen? Nehmen wir mal klassische Zeugnisnoten, die wir alle aus der Schule kennen.
Anbuhl: Okay, wenn ich eine klassische Zeugnisnote nehme, muss ich sagen, die Bundesbildungsministerin hat Anfang des Jahres einen Entwurf vorgelegt, dem ich eine 4- gegeben hätte, und dank der Parlamentarier und Parlamentarierinnen in der letzten Woche ist das ganze Reformpaket auf eine 2- geklettert.
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