Katja Scherer: Nicht nur Güter fahren täglich durch die Republik, sondern auch Menschen. Mehr als 18 Millionen Berufstätige pendeln jeden Tag zu ihrer Arbeitsstätte, zwei Drittel davon nach wie vor mit dem Auto. Das zeigen die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Ich habe mit Herrn Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gesprochen und ihn gefragt: Woran liegt es denn eigentlich, dass wir immer mehr pendeln?
Andreas Knie: Ja, weil wir die Biografie, die wir leben, quasi um das Auto herumgebaut haben. Das heißt: Die Entscheidung, wo wollen wir denn wohnen, wie wollen wir denn arbeiten, wird meistens klammheimlich mit dem Auto als Grundlage gemacht, denn man kann ja dann schnell mal auf dem Land wohnen, um dann einfach fix mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Das geht ja alles prima. Das ist der Grund, warum wir immer so große Pendlerzahlen hatten und die sogar noch steigen.
Scherer: Also auch eine Mentalitätsfrage. Oft ist es ja wirklich auch familien- oder wohnortbedingt, das Pendeln. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, das zu reduzieren?
Knie: Wir müssen als erstes mal die Innenstädte wieder attraktiv machen. Und das Zweite ist: Wir müssen natürlich nachdenken, wir haben das Thema Digitalisierung. Muss denn noch jeder Mensch jeden Tag fahren? Muss man denn jeden Tag an seiner Arbeitsstätte sein, um zu arbeiten? Das gilt sicherlich für Produktionsanlagen, von denen wir in Deutschland immer weniger haben, und es gilt nicht mehr für Dienstleistungen. Das heißt, wir müssen darüber nachdenken, ob wir nicht mehr von Zuhause aus machen können.
"Verkehr ist Gewohnheitssache"
Scherer: Es steigen immer noch 40 Prozent der Menschen bei Strecken unter fünf Kilometern ins Auto. Warum ist es so schwer, die Menschen vom Auto weg zu bekommen?
Knie: Ja, es ist eine Gewohnheit. Verkehr ist vor allen Dingen zu 90 Prozent Routine. Sie denken gar nicht über Dinge nach. Das, was Sie einmal sich vorgenommen haben, das machen Sie dann immer, es sei denn, es ist irgendein objektiver Tatbestand eingetreten, und dann sind die Leute bereit, was Neues nachzudenken. Aber wie gesagt: Verkehr ist Gewohnheitssache.
Scherer: Und gibt es keine Möglichkeit, die Leute auch in ihrem Alltag anzustupsen, damit die mal umdenken?
Knie: Ja, es passiert ja schon. Der Diesel-Skandal ist nicht spurlos an den Leuten vorbeigegangen und immer mehr Leute finden das Pendeln und das Pendlerdasein auch mühselig. Deshalb suchen die Leute jetzt, kann ich nicht mit anderen mitfahren. Und für die Kurzpendler kommt jetzt immer stärker auch das Thema, kann ich vielleicht doch mit dem ÖPNV fahren. Das entwickelt sich so langsam, aber wir werden in den nächsten Jahren da sicherlich noch mal eine Bewegung sehen, die das Auto deutlich dann auch einschränkt.
"Es gibt überhaupt keine Bewegung von der Politik"
Scherer: Was konkret muss gemacht werden, damit man noch mehr Leute dazu bekommt, diese Möglichkeiten auch konkret zu nutzen?
Knie: Da hilft natürlich leider nichts als der klare Zwang. Als erstes müssen wir mal die Pendlerpauschale, denn wenn man längere Strecken pendelt, kann man das ja von der Steuer noch absetzen, die muss einfach abgeschafft werden. Das ist das Erste. Und das Zweite: Es muss eine Arbeitsstättenverordnung herbei, dass Menschen das Recht haben, an mindestens zwei Tagen der Woche an ihrem heimischen Arbeitsplatz die Arbeit zu verrichten. Dann hätten wir schon mal eine ganze Menge weniger Pendelströme.
Scherer: Sehen Sie in der Hinsicht schon genug Bewegung, auch vonseiten der Politik?
Knie: Nein, es gibt überhaupt keine Bewegung von der Politik. Die jetzige Regierungskoalition hat das ja nahezu ausgeschlossen. Es passiert dort nichts. Wir sehen sehr viel Bewegung bei den Menschen selber, denen das auch alles klar ist, dass wir so weiter nicht fahren können. Das ist Stau, das ist Stress, das ist für die Umwelt nicht gut, aber auch letztendlich für die Gesundheit. Das heißt, die Menschen sind dort viel weiter, als die Politik glaubt. Wir müssen in der neuen Regierung hoffentlich da neu starten.
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