Die Autobahnen sind voll und in der S-Bahn gibt es nur Stehplätze. Dass Deutschland eine Pendler-Republik ist, lässt sich an Werktagen jeden Morgen sehen.
Eine gestern vorgelegte Auswertung des Bundesinstituts für Bau- Stadt- und Raumforschung belegt, dass mittlerweile die Mehrheit der deutschen Arbeitnehmer - also 60 Prozent - vom Wohnort zum Job pendeln. Das heißt, sie fahren von einer Gemeinde in eine andere, viele davon mit dem eigenen Auto. Das ist so viel wie nie zuvor. Die deutsche Pendlerhauptstadt ist München.
Was tun? Eine politische Antwort darauf soll die Förderung des Radverkehrs sein. Es gebe im Jahr 2017 erstmals zusätzlich 25 Millionen Euro für Radschnellwege. So das Verkehrsministerium am Vormittag in Berlin.
"Das ist, wenn sie so wollen, sind das Fahrrad-Autobahnen. Da gibt es keinen Ampel-Kreuzungsverkehr. Damit sie schnell von A nach B kommen können."
Dies gebe es bereits in einigen Kommunen und solle Vorbild sein, es auch an anderer Stelle umzusetzen. Das Vorhaben stehe jedoch noch ganz am Anfang, so das Verkehrsministerium:
"Es wird eine Förderrichtlinie dazu geben, das heißt, es gibt. Das Geld ist noch nicht vergeben. Die Projekte sind noch nicht gestartet. Dann können sich die Länder und Kommunen um das Geld ganz konkret bewerben."
Mobilitätsforscher: Keine Anreize fürs Pendeln schaffen
Gestiegen ist nicht nur die Zahl der Pendler, auch der Weg zum Arbeitsplatz ist länger geworden: von durchschnittlich 14,6 Kilometern im Jahr 2000 auf 16,8 Kilometer im Jahr 2015. Meistens gefahren im Auto. Vom Wachstum der wirtschaftsstarken Großstädte profitierten vor allem deren Umlandgemeinden, sagte Institutsdirektor Harald Herrmann.
Der Traum von einem Häuschen im Grünen sei nur mithilfe von niedrigen Energiepreisen sowie die steuerliche Förderung durch Pendlerpauschale zu erfüllen, die lange Wege zwischen Wohn- und Arbeitsort möglich machten, kritisierte der Verkehrsforscher Stephan Rammler heute Morgen im Deutschlandfunk. Pro Kilometer können 30 Cent als Werbungskosten geltend gemacht werden. Lange Wege gingen aber zu Lasten von Umwelt und Gesundheit. Mobilitätsforscher Rammler forderte die Politik auf, falsche Anreize in Zukunft zu vermeiden:
"Was man tun kann, ist Anreize zu setzen oder falsche Anreize zu lassen. Also die Pendlerpauschale wieder abzuschaffen. Man kann das ja auch ausschleichen und sagen, jedes Jahr ein bisschen weniger. Dann können sich die Konsumenten darauf einstellen und die Lebensmodelle darauf ausrichten."
Angesprochen auf diese Forderung reagiert das Finanzministerium heute Vormittag eher einsilbig:
"Es gibt keine Pläne, da irgendwelche Änderungen vorzunehmen."
Umstrittene Baurechtsnovelle
Die wachsenden Pendlerströme sind nach Ansicht der Gewerkschaft IG Bau als Reaktion auf die Auswertung auch eine Folge falscher Wohnungspolitik, die es versäumt habe, bezahlbaren Wohnraum in Städten zu schaffen. Der Sprecher des Umweltministeriums, in dessen Zuständigkeit auch das Thema Bauen fällt, verweist auf bereits geleistete Anstrengungen der vergangenen zwei bis drei Jahre, bezahlbaren Wohnraum in den Ballungsräumen zur Verfügung zu stellen.
"Wir haben die Mittel vor allem für den sozialen Wohnungsbau deutlich erhöht, wir liegen da jetzt bei zwei Milliarden pro Jahr. Ausgegeben wird das Geld von den Ländern, sie müssen jetzt schauen, wo wird das Geld am sinnvollsten eingesetzt."
Ob eine geplante Baurechtsnovelle für die sogenannten "urbanen Räume", die mehr Wohnungen in Mischgebieten mit Gewerbe ermöglichen soll, Abhilfe bei den Pendlerströmen schafft, bleibt umstritten. Experten rechnen kurz- bis mittelfristig nicht mit einem Sinken der Zahlen.