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Berufungsverfahren gegen Karadžić
Als Kriegsverbrecher vor Gericht, in Ost-Sarajevo gefeiert

Der frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadžić hat Berufung gegen seine Verurteilung als Kriegsverbrecher eingelegt. Heute will das UN-Gericht in Den Haag sein Urteil dazu fällen. Das wird auch in Sarajevo aufmerksam verfolgt - denn dort wird Karadžić bis heute geschätzt.

Von Srdjan Govedarica |
Der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic bei der Urteilsverkündung des UNO-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag am 24.03.2016.
In Den Haag wurde Karadžić 2016 zu 40 Jahren Haft verurteilt. Im Berufungsverfahren plädiert er nun auf Freispruch. (afp / Robin van Lonkhuijsen)
In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo muss man nur wenige Kilometer zurücklegen, um völlig unterschiedliche Sichtweisen auf die Person Radovan Karadžić präsentiert zu bekommen. Im Zentrum der Stadt steht sein Name für die grausamsten Verbrechen, die in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg begangen wurden: "Er hat es verdient zu leiden. So wie viele von uns gelitten haben, Kinder, Söhne, Mütter. Er hat noch nicht mal die Todesstrafe verdient, er soll lebenslang leiden."
Ganz anders im Stadtteil Dobrinja, keine acht Kilometer vom Zentrum entfernt. Hier ist der serbische Teil der Stadt, auch Ost-Sarajevo genannt. Radovan Karadžić ist hier immer noch ein Nationalheld.
"Ich denke, dass er weder ein Verbrecher noch ein Provokateur war. Er war für den Frieden und für Verständigung, aber die andere Seite war es meiner Meinung nach nicht."
Youssef Hajir kennt Radovan Karadžić schon sehr lange. Der Palästinenser kam 1964 nach Sarajevo, um Medizin zu studieren und blieb wegen der Liebe. Einer seiner Kommilitonen ist Radovan Karadžić.
"Wir waren Nachbarn. Zimmer an Zimmer im Studentenwohnheim. Wir haben gut zusammengearbeitet, er hat mir viel geholfen, wir waren Freunde."
Karadžić inszenierte sich als Künstler und Poet
Radovan Karadžić wird 1945 in Montenegro geboren. Als Jugendlicher kommt er nach Sarajevo, studiert Medizin und spezialisiert sich auf Depressionen und Neurosen. Er veröffentlicht Gedichte und umgibt sich mit der Aura eines Künstlers. Sein Markenzeichen ist die stets nach hinten gekämmte Haartolle, die er künstlerisch zerzaust trägt. Er engagiert sich in den Studentenrevolten der 68-Bewegung, die auch das ehemalige Jugoslawien erfassen - fällt aber darüber hinaus politisch nicht auf. Auch nicht seinem damaligen Freund Youssef Hajir:
"Ich habe ihn stets respektiert. Er kümmerte sich um seine Poesie, etwas Spalterisches oder Trennendes habe ich an ihm nicht wahrgenommen, er war ein großzügiger Mensch."
In die Politik findet Radovan Karadžić 1990, als er die nationalistische Serbische Demokratische Partei mitgründete und die Idee eines Großserbiens propagiert. Im bosnischen Parlament gibt er sich 1991 zu erkennen. Den Abgeordneten der bosniakischen SDA droht er damals.
"Ihr müsst wissen, dass ihr Bosnien-Herzegowina in die Hölle stürzt und das muslimische Volk in den Untergang. Das muslimische Volk kann sich nicht verteidigen, wenn es zum Krieg kommt."
Wenige Monate nach dieser Rede ist Sarajevo eine belagerte Stadt und Radovan Karadžić als Präsident der neu ausgerufenen Republik Srpska Oberbefehlshaber der Truppen, die die Stadt beschießen. Youssef Hajir bleibt in Sarajevo und leitet ein improvisiertes Krankenhaus in einem besonders umkämpften Stadtviertel:
"Es war schwer für mich zu glauben, dass er so etwas tut. Weil er ein Arzt ist. Wir Ärzte schwören doch einen Eid, dass wir den Menschen helfen sollen und ihnen nicht schaden."
Karadžić lebte jahrelang untergetaucht
Nach dem Bosnienkrieg ist Karadžić jahrelang auf der Flucht - teilweise unterstützt durch den serbischen Geheimdienst. 2008 wird er in Belgrad festgenommen und an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert. Dort wird er 2016 zu 40 Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen der Belagerung Sarajevos und der Ermordung von über 8.000 Bosniaken in Srebrenica.
Im Berufungsverfahren plädiert Karadžić nun auf Freispruch. Als Politiker sei er für die begangenen Kriegsverbrechen nicht verantwortlich zu machen, so seine Verteidigung. Karadžićs ehemaliger Kommilitone Youssef Hajir ist anderer Meinung:
"Es gibt keine angemessene Strafe für ihn. Sie kann nur symbolisch sein, damit einer, der für die Gesellschaft gefährlich ist, von der Straße wegkommt. Aber eine gerechte Strafe für ihn gibt es nicht. Selbst wenn man ihn tötet, hat man die Rechnung noch nicht beglichen."