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Beschlagnahmte Bücher

Vor einem knappen Jahr hat die Staatsbibliothek zu Berlin ein Forschungsprojekt zum Thema "Beschlagnahmte Bücher" gestartet. Es sollte wissenschaftlich aufgearbeitet werden, wie und in welchem Umfang der systematische Raub von Büchern durch die Nazis vonstattenging.

Telefoninterview mit Barbara Schneider-Kempf |
    Karin Fischer: Frage an Barbara Schneider-Kempf, die Generaldirektorin der Staatsbibliothek. Ihr Institut hat ja hier ein ebenso reiches wie schweres Erbe angetreten, was haben Sie im letzten Jahr Neues erfahren über das traurige Kapitel der verschleppten Bücher?

    Schneider-Kempf: Ja, was wir neu erfahren haben bzw. was wir neu angegangen sind, ist eine systematische Aufarbeitung dieses sehr wenig ruhmreichen Kapitels der "Preußischen Staatsbibliothek", wie sie damals hieß. Wir befassen uns seit einem Jahr mit Förderung der Thyssen-Stiftung mit der Erforschung der so genannten "Reichstauschstelle". Das war eine Institution, die Anfang der 20er Jahre einen eher harmlosen Anfang nahm, nämlich das Ziel verfolgte, den Wissenschaftsinstitutionen in Deutschland durch Tausch Bücher, Literatur zur Verfügung zu stellen, die dann aber ab Ende der 30er Jahre und ganz stark ab 1943 an der Staatsbibliothek sich widmete dem systematischen Raub, muss man sagen, von Buchbeständen, der Verteilung derselben an deutsche Bibliotheken.

    Das wussten wir natürlich, dass das so war, wir hatten aber keine Vorstellung von der Dimension. Also diese Reichstauschstelle im Nationalsozialismus für uns bisher unvorstellbare große Buchmengen bewegt. Es geht um circa eine Million Bücher. Und wenn man sich vorstellt, dass Krieg war - und es war schon Luftkrieg ab 1943 -, wenn man sich dann überlegt, wie diese Bücher durch andere Länder bis nach Berlin und von Berlin weitertransportiert wurden, dann war das eine sehr ernst zu nehmende und sehr wirkungsreiche - natürlich im negativen Sinne - Unternehmung.

    Fischer: Gibt es denn Einzelfälle, die Sie schon studieren konnten, oder Beispiele, wie diese Reichstauschstelle umfunktioniert wurde, wie die gearbeitet haben, nach welchem Muster?

    Schneider-Kempf: Einzelbeispiele können wir noch nicht vorweisen. Wir haben vorher in der Staatsbibliothek, da regierte der Zufall, zweimal Buchbestände oder Materialien entdeckt, die vielleicht auch mit den Aktivitäten der Reichstauschstelle - in dem einen Fall wissen wir es nicht, im anderen können wir es ausschließen - zu tun hatten. Das eine Beispiel, an das ich denke, sind Materialien, Notendrucke aus dem Besitz von Arthur Rubinstein, die im Exil in Paris ihm gestohlen wurden, dann nach Russland gebracht über den Einsatzstab Rosenberg, und der stand mit Sicherheit in Beziehung zur Reichstauschstelle. Von da in den 50er Jahren zurückgegeben wurden an die damalige deutsche Staatsbibliothek in der DDR gelegen und da Jahre, Jahrzehnte in einer Ecke standen, bis wir vor zwei Jahren darauf stießen. Und wir haben sie zurückgeben können an Erben von Arthur Rubinstein in New York.

    Fischer: Wenn wir den Blick ein bisschen von Akten wegnehmen und auf das Gesamtbild schauen des Raubs durch die Nationalsozialisten, welche These würden Sie in den Raum stellen, was vermittelt sich für ein Bild in Bezug auf die geraubten Bücher?

    Schneider-Kempf: Es ist ein Riesenunterschied, der uns unterscheidet von den Museen. Es geht halt bei den Museen immer um spektakuläre, wunderbare Bilder, es geht um Millionenwerte, bei uns geht es um Gegenstände des Alltags, die ungleich schwieriger herauszufinden sind. Oft, fürchte ich, werden wir gar nicht herausbekommen, an wen wir zurückgeben können, denn es ist nicht immer ein Besitzvermerk in einem solchen Buch. Aber ich erhoffe mir, dass, wenn es nicht um fantastische Bilder geht, doch eine Versachlichung dieser ganzen Thematik stattfindet und wir mit unserem Bibliotheksprojekt einen Beitrag leisten können für die viel größer angelegte Problematik - Raubgut in Museen, Archiven und eben auch in Bibliotheken.