Laut Medienberichten hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Änderung des Infektionschutzgesetzes ins Gespräch gebracht. Das verstehe sie so, dass die Bundesregierung dann selber die Regelungen für die Länder erlassen könnte, sagte Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, im Dlf zur Diskussion über einen erneuten Lockdown. Dass die Exekutive die Entscheidungen treffe, sei aber der falsche Weg. "Es muss im Bundestag und in den Parlamenten entschieden werden", sagte Mohamed Ali.
Flächendeckende Ausgangssperren etwa trügen dem regionalem Infektionsgeschehen gar nicht Rechnung. Eine Ausgangssperre könne ein Mittel in gewissen Hotspot-Situationen sein, flächendeckend sei ein so starker Einschnitt nicht gerechtfertigt, sagte Mohamed Ali. Wichtiger sei auch ein Blick in die Arbeitswelt, wo sehr viel Infektionsgeschehen nach wie vor stattfinde. Hier bräuchte es deutlich bessere Regelungen, ein Recht auf Homeoffice, wo das möglich sei, und die Verpflichtung der Arbeitgeber zu sehr regelmäßigen Testungen, damit sicheres Arbeiten in den Betrieben gewährleistet sei.
Das Interview in voller Länge:
Stefan Heinlein: Erst Anfang nächster Woche, am Montag, wollen Bund und Länder also entscheiden über das künftige Corona-Krisenmanagement. Können wir so lange warten?
Amria Mohamed Ali: Na ja, es wird letztendlich dann ja so kommen, dass wir so lange warten, aber wissen Sie, das Problem finde ich weniger, dass erst jetzt am Montag eine Entscheidung kommt, sondern auf welchem Wege sie stattfindet. Wir müssen endlich wegkommen von den Entscheidungen durch den Bund-Länder-Gipfel und hinkommen dazu, dass der Bundestag diese Entscheidungen fällt nach vernünftiger Debatte, und dann ist es auch möglich, mal zu vernünftigen einheitlichen Regelungen zu kommen. Dieses Chaos muss endlich aufhören.
Heinlein: Wenn Sie die "Bild"-Zeitung heute Morgen aufschlagen, dann können Sie lesen, dass die Kanzlerin angeblich eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes plant. Wie interpretieren Sie diesen Vorstoß?
Mohamed Ali: Ich verstehe das so – wenn das denn so sein soll –, dass die Änderung des Infektionsschutzgesetzes darauf abzielen soll, dass die Bundesregierung selber die Regelungen für die Länder erlassen kann, das heißt der Bund das direkt bestimmt, was ja im Moment nicht der Fall ist. Aber es bleibt bei dem grundlegenden Problem, das ist ja auch der Grund, warum wir als Linke das Infektionsschutzgesetz damals abgelehnt haben: Dass die Exekutive hier diese Entscheidungen alleine trifft, ist der falsche Weg. Das muss in den Parlamenten und im Bundestag debattiert und entschieden werden.
Heinlein: Mit dieser Forderung, Frau Mohamed Ali, sind Sie ja nicht allein, ähnliche Töne hört man ja von der AfD und auch von den Querdenkern. Wie wohl fühlen Sie sich denn in dieser Gesellschaft?
Mohamed Ali: Na ja, diese Forderung nach der Parlamentsbeteiligung, die höre ich auch von der FDP und die höre ich auch von den Grünen, um das noch mal klarzumachen. Das ist eine Forderung nach mehr Demokratie und die Forderung danach, dass die Grundrechtseinschnitte, um die es ja geht, dass die im Parlament ein Stück debattiert und beschlossen werden. Das ist ein demokratisches Grundverständnis.
Heinlein: Also wenn der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla jetzt fordert, Zitat, "verfassungsgemäße Transparenz und Rückkehr der ergebnisoffenen Debatten in unsere Parlamente", Zitat Ende, das hätte auch von Ihnen, Frau Mohamed Ali, kommen können, von der Linksfraktion?
Mohamed Ali: Dass die AfD sich jetzt gerade als Hüterin der Verfassung gerieren möchte, ist natürlich extrem unglaubwürdig, und wir kennen es leider von der AfD, dass sie, ich sag mal, jede Gelegenheit nutzt, um sich zu inszenieren als Kontrastimme, als immer dagegen, aber das ist für die sehr durchsichtig. Also mit der AfD mache ich mich da in gar keiner Form gemein.
Heinlein: In den vergangenen Tagen hat die Linkspartei, haben auch Sie persönlich wiederholt das Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung als einzige Katastrophe bezeichnet, als fortwährenden Blindflug, im Bundestag nannten Sie die Bundesregierung einen Trümmerhaufen. Wie gefährlich ist es, mitten in einer Krise das Vertrauen der Bevölkerung in die Bundesregierung, in die Politik insgesamt mit diesen harschen Worten zu untergraben?
Mohamed Ali: Wissen Sie, ich glaube nicht, dass die Worte, die ich da gewählt habe, das Vertrauen untergraben. Ich glaube vielmehr, dass sehr viele Menschen diese Unsicherheit spüren und es genau so empfinden, denn wir erleben ja wirklich ein großes Chaos und eine große Unsicherheit, die damit anfängt, dass versprochene Hilfszahlungen nicht gekommen sind, dass versprochene Testmöglichkeiten in Schulen nicht gekommen sind, dass es mit dem Impfen so extrem schleppend vorangeht. Das sind alles Beispiele dafür, wo man sieht, dass das Management nicht gut läuft, und das führt zu großer Verunsicherung in der Bevölkerung, und ich finde, es ist wichtig, dass man das auch anspricht. Das hat nichts mit Unsicherheiten und Führen zu tun, sondern das hat etwas damit zu tun, die Unsicherheiten, die da sind, zu artikulieren. Ich glaube nicht, dass wir an eine Situation kommen sollten, in der es plötzlich verboten wird, dass Regierungshandeln, wenn es denn kritikwürdig ist, das auch zu kritisieren. Ich glaube, das ist weiterhin dringend notwendig. Und wissen Sie, was ich offen gesagt problematisch finde, und das ist gerade viel auch in dem Bericht gesagt worden, dass auch gerade vonseiten der Bundesregierung immer unterschiedliche Aussagen kommen, dass ich den Eindruck habe, jedem, dem gerade – ich überspitze das ein bisschen – irgendetwas einfällt, der muss es irgendwie gleich in die nächste Kamera sagen. Da würde ich mir eine abgestimmtere besondere Kommunikation wünschen. Ich glaube, dass das sehr viel zur Verunsicherung beiträgt. Aber berechtigte Kritik, das muss möglich sein.
Heinlein: Für diese Kakophonie, für dieses schlechte Management, wie Sie gerade sagen, ist ja auch ein Parteigenosse von Ihnen, Ministerpräsident Bodo Ramelow, aus Thüringen beteiligt, der ist Teil dieser Bund-Länder-Runden, die Sie kritisieren. Worin unterscheidet sich denn die Corona-Politik Ihrer Partei, Ihrer Fraktion von der anderer Parteien und Fraktionen?
Mohamed Ali: Na ja, Bodo Ramelow macht bei der Bund-Länder-Konferenz selbstverständlich mit, das ist ja auch eine Entscheidung, die er nicht getroffen hat, dass dieses Gremium zuständig sein soll. Aber natürlich, als verantwortlicher Ministerpräsident macht er mit und er macht das sehr gewissenhaft und in großer Verantwortung für Thüringen. Und an der Stelle muss man sagen, Thüringen, beim Impfen stehen sie sehr gut da, das heißt, es läuft sehr gut organisatorisch, aber an dem Grundkonzept, nämlich dass diese Entscheidungen getroffen werden in der Ministerpräsidentenrunde, daran kann jetzt auch Bodo Ramelow nichts ändern, sondern das sind Entscheidungen, die ja auf Bundesebene getroffen werden.
Heinlein: Über Bodo Ramelow können wir gleich noch mal reden, ich wiederhole noch mal meine Frage: In welchen Punkten der Corona-Politik setzen Sie als Linkspartei andere Akzente als Union, SPD oder Grüne?
Mohamed Ali: Ich sehe, dass wir im Rahmen der Möglichkeiten auf Länderebene andere Akzente setzen dahingehend, dass wir versuchen, mehr Menschen mitzunehmen und ich sag mal die sozial Schwachen auch mitzunehmen, und das sieht man auch in Thüringen, wo die Impfkampagne zum Beispiel sehr, sehr gut läuft. Aber es ist … Wissen Sie, das Problem ist doch, dass an der Stelle die Länder viele Handlungsoptionen gar nicht haben, weil zum Beispiel nicht genug Impfstoff beschafft worden ist vom Bund. Ich sag mal, das Management der vorhandenen Impfstoffe, das geschieht in den Ländern, und kann sich unsere Regierung in Thüringen wirklich sehr sehen lassen, aber dass viel zu wenig Impfstoff da ist, das ist ja auf Bundesebene versäumt worden, das heißt, da können die Länder gar nichts tun. Ähnlich sieht es auch aus mit den Tests, die ja auch von Bundesebene organisiert worden sind. Wenn Sie dann entsprechend nicht genug haben, dann können auch die Länder da wenig tun. Das heißt, ich sehe da wirklich die Hauptverantwortung beim Bund.
Heinlein: Werden Sie denn nächtliche Ausgangssperren, wenn sie denn kommen, ab Montag bekämpfen, werden Sie da auf die Barrikaden gehen? Ihre Parteichefin Wissler hat da ja schon Ähnliches angedeutet.
Mohamed Ali: Ich halte flächendeckende Ausgangssperren tatsächlich für den falschen Weg, weil es, ich sag mal, regionalem Infektionsgeschehen gar nicht Rechnung trägt. Ich denke, eine Ausgangssperre als Mittel kann in gewissen Hotspot-Situationen eine Maßnahme sein, die sinnvoll sein kann, flächendeckend, denke ich, ist es ein so starker Einschnitt, den ich da nicht gerechtfertigt sehe. Aber ich finde, der wesentlich wichtigere Punkt als die Debatte über Ausgangssperren ist, dass wir endlich einen Blick werfen in die Arbeitswelt, wo ja sehr viel Infektionsgeschehen nach wie vor stattfindet. Hier bräuchte es wirklich deutlich bessere Regelungen – einmal mit einem Recht auf Homeoffice überall da, wo das möglich ist, und mit der Verpflichtung der Arbeitgeber zu Tests, und zwar zu sehr regelmäßigen Testungen, damit sicheres Arbeiten in den Betrieben gewährleistet ist. Hier sehen wir, dass viel schiefläuft. Ich meine, auf der einen Seite über Ausgangssperren reden – ich überspitze das mal –, aber auf der anderen Seite, ich sag mal in der Meyer-Werft weiterhin die Sammelunterkünfte zulassen, wo eben sehr viel Infektionsgeschehen stattfindet, also für die Beschäftigten dort, das, finde ich, ist ein Ungleichgewicht, das so nicht fortgesetzt werden sollte. Wenn man Maßnahmen verhängt, dann müssen sie bitte auch konsequent sein, und auch da, wo das Infektionsgeschehen erkennbar groß ist, muss auch es auch eingedämmt werden.
Heinlein: Reden wir noch über Bodo Ramelow, Sie haben mir die Vorlage gegeben: Im Januar hat der thüringische Ministerpräsident eingeräumt, er habe sich in der Corona-Politik getäuscht, als er den harten Merkel-Kurs kritisierte, und dann ist er in der Folge bei diesen Bund-Länder-Runden ja vor allem auffällig geworden durch seine Candy-Crush-Qualitäten oder einen Tweet mit 279-mal dem Buchstaben Ä. Wie glücklich sind Sie mit dem Auftritt Ihres Parteigenossen aus Erfurt?
Mohamed Ali: Bodo Ramelow macht eine sehr verantwortungsvolle Politik in Thüringen, und das ist so und das bleibt auch, ich hoffe, lange Zeit noch so, aber selbstverständlich war es richtig von ihm, dass er rückblickend eingeräumt hat, dass er die Lage falsch eingeschätzt hat. Ich finde, das muss auch möglich sein, dass wenn man einen Fehler gemacht hat, dass man den entsprechend auch zugesteht. Da, finde ich, hat er sich nichts vorzuwerfen. Ich glaube, zu der Sache mit Candy Crush hat er sich selber auch geäußert, da muss ich nichts mehr ergänzen.
Heinlein: Ist Ihr Parteifreund Ramelow in dieser MPK-Runde als einziger Linkspolitiker oft allein auf weiter Flur oder hat er Verbündete im Kreis der Ministerpräsidenten?
Mohamed Ali: Wissen Sie, ich bin in diesen MPK-Runden ja nicht dabei …
Heinlein: Aber Sie reden mit ihm.
Mohamed Ali: Ja, gut, aber ich meine, das sind ja interne Runden, wir tauschen uns mit ihm jetzt nicht darüber aus, wie da genau die Gespräche verlaufen sind oder wer bei welchem Punkt jetzt bei wem gestanden hat, also diese Details müssten Sie dann mit ihm selber besprechen, aber ich denke, das hängt an einzelnen Fragen. Ich glaube nicht, dass es überhaupt sinnvoll ist, hier jetzt nur in Parteifarben zu denken, sondern ich glaube, das hängt an einzelnen Maßnahmen, was man für sinnvoll hält und was nicht. Und ich glaube, dass das da jetzt nicht an einzelnen Parteizugehörigkeiten sehr stark hängt, was man für sinnvoll hält, sondern die Debatte ist ja viel breiter. Die gibt’s auch bei uns in der Partei. Natürlich gibt es unterschiedliche Auffassungen über die einzelnen Maßnahmen, was das Richtige wäre, das halte ich für ganz normal.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.