Claudia Hennen: Millionen Wähler nutzen den Wahl-O-Mat im Netz als Entscheidungshilfe. Mit dem Wahltool der Bundeszentrale für politische Bildung konnten Wähler vor der Europawahl ihre Positionen mit denen der größten europäischen Parteien abgleichen. Dass das Wahltool nicht alle Positionen der insgesamt 41 Parteien und politischen Vereinigungen berücksichtigte – führte nun zum Verbot. Das Verwaltungsgericht Köln sieht Kleinparteien benachteiligt und verbot gestern das Internetangebot. Es gab damit einem Antrag der Partei "Volt Deutschland" statt. Wie geht es nun weiter, Herr Küpper?
Moritz Küpper: Nun, ich habe gerade mit der Bundeszentrale für politische Bildung gesprochen und da hat man mir bestätigt, dass man gegen diesen Beschluss Beschwerde einlegen wird. Das Ganze muss dann vom Oberverwaltungsgericht mit Sitz in Münster entschieden werden und bei der Bundeszentrale ist man durchaus zuversichtlich, dass das in den nächsten Tagen geschehen wird. Sprich: Morgen oder übermorgen und sollten das Gericht dieser Beschwerde stattgeben, sozusagen die Entscheidung wieder aufheben, dann könnte der Wahl-O-Mat auch schnell, das hat die Bundeszentrale mir ebenfalls bestätigt, wieder online gehen. Letztendlich geht es ja dabei um die Europawahl, die in Deutschland am kommenden Sonntag ist. Also, in wenigen Tagen.
bpb: Keine technische, sondern eine didaktische Frage
Hennen: Klagen gab’s schon mehrere, dem wurde nie stattgegeben. Warum jetzt das Verbot?
Küpper: Die Richter argumentieren – und folgen damit der Argumentation der Partei "Volt Deutschland" – einer eher kleinen Partei, neugegründet, die sich selbst als erste paneuropäische Partei, also grenzübergreifend tätig, bezeichnet. Diese junge Partei hat den Mechanismus der Anzeige der Auswertung beanstandet. Also, konkret: Beim Wahl-O-Mat muss man zu Beginn acht Parteien auswählen, unter denen sich dann – mittels 38 Fragen oder Thesen, zu denen man seine Meinung äußern soll – eine persönliche Präferenz erstellt wird.
Die Richter am VG Köln bemängelt diesen Mechanismus, sahen in der Auswahl der acht Parteien eine "faktische Benachteiligung kleinerer beziehungsweise unbekannterer Parteien", zu denen auch die Antragstellerin gehöre. "Dieser Anzeigemechanismus verletze jedenfalls mittelbar das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit", so das Verwaltungsgericht Köln und sagte auch, dass die Bundeszentrale eine technische Unmöglichkeit "nicht hinreichend glaubhaft gemacht" habe.
Das war nämlich die Argumentation von Volt, das es doch technisch möglich sei, alle Parteien anzuzeigen. Das stimmt auch. Es ist im Übrigen auch immer möglich, die Parteiauswahl zu verändern, ohne dass die Einschätzungen und Antworten verloren gehen.
Bei der Bundeszentrale sieht man in dem Ganzen keine technische Fragen, sondern eher eine didaktische. Dass erklärt auch der Politikwissenschaftler Stefan Marschall, der als Professor an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf lehrt und als Berater den Wahl-O-Mat mitentwickelt hat:
"Die Logik dieser Auswahl von acht Parteien ist, dass man sich entscheiden soll, mit wem man sich selbst vergleichen möchte. Also die Nutzerinnen und Nutzer haben die Möglichkeit, selbst darüber zu befinden, mit wem sie sich konfrontieren lassen möchten. Und es soll eine übersichtliche Anzahl von Parteien sein. Es sollen nicht 40 Parteien sein, sondern eine Gruppe, die sich einigermaßen überblicken lässt."
Und so argumentiert denn eben auch die Bundeszentrale: Das Ganze sei keine technische, sondern eben eine didaktische Frage. Bei Volt heißt es dagegen heut: Man hoffe, dass der Wahl-O-Mat bald wieder zu Verfügung stehe, aber in "verfassungsgemäßer Weise".
"Mobilisierender Faktor geht verloren"
Hennen: Ob es nun nochmal online geht – ist offen. Welche Alternativen gibt’s denn zum Wahl-O-Mat?
Es gibt einige Alternativen im Netz. "You vote EU" beispielsweise, wo man im Stil der Dating-App Tinder, mittels 25 Entscheidungen des Europäischen Parlaments seine Partei finden kann. Es gibt den "Wahl Swiper", 35 Fragen sind das, die einem helfen sollen, eine Entscheidung zu wählen.
Letztendlich muss man aber auch sagen, dass der Wahl-O-Mat sicherlich der bekannteste, der etablierteste Weg war und ist, mit dessen Hilfe Wählerinnen und Wähler, vor allem auch Erstwähler, ihre Entscheidung treffen konnten. Das zeigen auch die aktuellen Nutzungszahlen. Bis gestern Abend hatten über sechs Millionen Menschen das Tool genutzt, bei der letzten Europa-Wahl waren es insgesamt vier Millionen, also eine deutliche Steigerung, weshalb auch Politikwissenschaftler Marschall sagt:
"Das Signal ist kein glückliches Signal. Hier wird ein Tool vom Netz genommen, kurz vor einer Wahl, das für viele Menschen mittlerweile auch zu einem Standard-Informationstool geworden ist. Wir sehen, dass Millionen von Menschen auf den Wahl-O-Mat zurückgreifen, ihnen auch gerne nutzen, um sich über Wahlen zu informieren. Wir sehen, dass der Wahl-O-Mat Diskussionen anregt, zur Information mobilisiert und auch einen Teil erst zu den Wahlurnen bringt. Von daher geht hier ein ganz wichtiger mobilisierender Faktor kurz vor den Europawahlen verloren."
Hennen: Abgeschaltet wurde bislang aber nur der Wahl-O-Mat zur Europawahl. Der Wahlomat zur ebenfalls am Sonntag stattfindenden Bremen-Wahl wird aber nicht aus dem Netz genommen?
Küpper: Nein, bisher nicht. Er ist noch erreichbar, ich war gerade auch noch einmal auf der Seite und der Grund ist einfach: Bei der Entscheidung ging es um die Europa-Wahl bei der Bundeszentrale sieht man aktuell auch nur diesen Wahl-O-Maten in Bedrängnis. Aber, auch das ist klar, letztendlich ist es eine grundsätzliche Frage, die – möglicherweise – dann irgendwann auch andere Wahl-O-Maten zu anderen Wahlen betreffen könnte.