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Bespitzelung und Hysterie

Loudun, ein Städtchen mit rund 7000 Einwohnern, wurde Mitte des 17. Jahrhunderts bekannt. Damals gerieten mehrere Nonnen unter Hexenverdacht, der Priester Urbain Grandier wurde nach einem Schauprozess verbrannt. Komponist Krzysztof Penderecki machte daraus 1969 seine erste Oper "Die Teufel von Loudun": Es geht um Doppelmoral, religiösen Fanatismus und politische Intrige.

Von Frieder Reininghaus |
    "Dem Teufel ist nicht zu trauen, auch wenn er die Wahrheit spricht" – Aldous Huxleys "Devils of Loudun" zielten 1952 auf den Umgang mit Wahrheitsfindung, Rechtsstaatlichkeit und im weitesten Sinn die Anerkennung evidenter Tatsachen durch die Machthaber in Geschichte und Gegenwart. Er schrieb gestützt auf akkurate historische Recherchen. An der Oberfläche seines Textes, der ein paar Jahre später von John Robert Whiting dramatisiert wurde, geht es um politische Auseinandersetzungen, religiösen Wahnsinn und Hexenhysterie in einer südfranzösischen Kleinstadt während des Dreißigjährigen Kriegs.

    Freilich zielt die Geschichte nicht zuletzt auch auf den virulenten Totalitarismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts: auf den noch immer staatstragenden terroristischen Stalinismus wie auf den in der westlichen Hemisphäre aufblühenden und eben auch menschenverderbenden McCarthyismus.

    Der Plot, den sich Penderecki aus Huxleys Vorlage und anderen Quellen selbst arrangierte, kontrastiert die Lebens- und Leidensgeschichte des attraktiven und wortgewaltigen Geistlichen Grandier mit besonders krassen Fällen von Hysterie unter Ursulinen-Ordensschwestern. Der Pfarrer, der für die Reize der Frauen empfänglich ist, gerät politisch zwischen die Fronten, indem er es mit denen hält, die auf die Zusagen des jungen Königs Louis XIII bauen und zu spät realisieren, dass Kardinal Richelieu das Gesetz des Handelns an sich zog und die Zentralmacht in Frankreich sich rabiat durchsetzen wird.

    Das Staatstheater Hannover hat das Glück, für die Rolle Grandiers mit Brian Davies über einen Sängerdarsteller zu verfügen, der nicht nur den wechselhaften stimmlichen Anforderungen der Partie in vollem Umfang gerecht wird, sondern auf den auch die Beschreibung der historischen Figur zutrifft: hoch gewachsen, schlank, gewinnend und auch unter verschärfter Folter noch standhaft. Der geschmeidige und entschiedene Bariton findet in Khatuna Mikaberidze eine Gegenspielerin, die der Partie der Priorin Jeanne nichts schuldig bleibt – weder beim Aussingen der unerfüllten Geilheit noch bei der geheuchelten Naivität, die sie an den Tag legt, als der aufgeklärte Prinz Henri öffentlich demonstriert, dass sich die von ihr vorgespielte Befreiung von den bösen Dämonen einem Placebo-Effekt verdankt.

    Mit dieser Oper geht es um Besessenheit, Obsessionen und die Obszönität der Macht. Regisseur Balász Kovalik und seine Ausstatter bedienen diese Sphäre ohne sentimentale Rücksichten. Sie zeigen die Vergewaltigung von Nonnen mit Klistierspritzen im Namen eines grotesken Exorzismus. Auch das Leiden und den Tod des Hauptakteurs: Er wird nach Mafiamanier in einer kreuzförmigen Schalung einbetoniert.

    Der Regisseur aktualisierte das Werk also partiell, hielt aber zugleich – und erkennbar ironisch – an dessen Historizität fest: Immer wieder zeigt ein Bildkasten vorn in der Mitte der Bühne Tableaux vivants: Pontius Pilatus in den Kostümen und Bildinszenierungen der großen Wandgemälde des frühen 17. Jahrhunderts, Salome mit dem Kopf des Täufers, eine von Pfeilen durchbohrte Heilige, eine wilde Orgie am letzten Abendmahlstisch und verschiedenen Ensembles mit schönen Schwangeren. Die ironisch gebrochene Kunstschönheit der barocken Bilder kontrastiert den ernüchternden Fortgang der brutalen Realpolitik und des kirchlichen Terrors.

    So doppelbeinig gelangt die Produktion zu einer klaren Botschaft. Die lautet: dass vor noch nicht all zu langer Zeit die Rechtsstaatlichkeit und der Umgang mit Menschenrechten so funktionierte, wie dies von diesem Libretto behauptet und von der grobkörnigen Musik drastisch unterstrichen wird. Mag sein, dass diese Botschaft gerade auch an jenen Menschenschlag adressiert ist, der glaubt, "wir" müssten "die Chinesen", "die Russen" und insbesondere "die arabische Welt" hinsichtlich "westlicher Werte" belehren. Kovaliks Arbeit ruft wie beiläufig in Erinnerung, dass noch kein halbes Jahrhundert vergangenen ist, seit die Katholische Kirche und einige ihr besonders ergebene Fußtruppen Aufführungen der "Teufel von Loudun" verhindern und die nicht ernsthaft zu bestreitenden Wahrheiten des Textes unterdrückt wissen wollten. Und da diese Kräfte sich derzeit erneut anschicken, in dieser Weise zu agieren, war es höchste Zeit für eine Erinnerung an diese Oper mit ihrer einst provozierend plakativen Musik. Stefan Klingele sorgt dafür, dass sie aufs Neue im besten Theatersinn funktioniert.